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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 23.07.2013<br />

feine Kost erhalten und Gelegenheit gehabt, harmonische Stimmen und Musik zu hören. Meint<br />

ihr, das [884] Gehirn des Pudels habe sich nicht ganz anders entwickelt als das des Köters? Ja,<br />

darauf könnt ihr euch fest verlassen! Solche zivilisierte Pudel sind es, welche die Gaukler zu<br />

den unglaublichsten Kunststücken abrichten. So etwas vermag ein gemeiner Bauernköter niemals<br />

zu lernen, und wenn er sich auf den Kopf stellt.“ 1<br />

Ich lasse hier die Frage vollkommen offen, inwieweit ein japanesisches Huhn, ein Pudel oder<br />

irgendeine andere Abart der gezähmten Tiere zu den „besten“ des Tierreichs gezählt werden<br />

kann. Ich will bloß bemerken, daß die „naturwissenschaftlichen“ Argumente unseres Doktors<br />

ihn selbst widerlegen. In der Tat, ihrem Sinn nach können nur diejenigen Personen zu den Besten,<br />

zu den Führern der Gesellschaft gehören, deren Vorfahren mehrere Generationen hindurch<br />

in vornehmen Häusern lebten, wo sie „Gelegenheit hatten, harmonische Stimmen und<br />

Musik zu hören“. Ich erlaube mir nun die unbescheidene Frage: Gehört Doktor Stockmann<br />

selbst zu solchen Leuten? Im Drama finden sich zwar nicht die geringsten Anhaltspunkte in<br />

bezug auf seine Vorfahren, es kann jedoch schwerlich angenommen werden, daß die Stockmanns<br />

zu den Aristokraten gehörten. Und was sein eigenes Leben betrifft, so war dieses voll<br />

der Entbehrungen eines intellektuellen Proletariers. Es wäre folglich besser gewesen, wenn er<br />

von den Vorfahren ganz geschwiegen hätte, eingedenk des Rates, den der Krylowsche Bauer<br />

den ahnenstolzen Gänsen erteilte. Ist ein intellektueller Proletarier gesellschaftlich stark, dann<br />

dankt er dies nicht seinen Vorfahren, sondern jenen neuen Kenntnissen und Ideen, die er selbst<br />

im Laufe seines eigenen mehr oder weniger arbeitsvollen Lebens gewinnt.<br />

Doch das ist es eben, daß Doktor Stockmanns Ideen weder neu noch überzeugend sind. Das<br />

sind bunte Ideen, wie der selige Karonin sich ausgedrückt hätte. Unser Doktor kämpft gegen<br />

die „Majorität“. Was gab denn Anlaß zu diesem Kampf? Einfach der Umstand, daß die „Majorität“<br />

den radikalen Umbau der Badeanstalt nicht vornehmen wollte, der im Interesse der<br />

Kranken unbedingt notwendig war.<br />

Bei diesen Verhältnissen wäre es für Doktor Stockmann ein leichtes gewesen, einzusehen,<br />

daß die „Majorität“ in diesem Falle auf seiten der Kranken war, die von allen Seiten in dem<br />

Städtchen zusammenströmten, während ihnen gegenüber die gegen den Umbau protestierenden<br />

Einwohner die Rolle der Minorität spielten. Hätte er dies eingesehen – und das konnte er,<br />

wiederhole ich, sehr leicht einsehen, weil die Tatsache zu augenfällig war –‚ so wäre er<br />

gleichzeitig zur Überzeugung gelangt, daß es gegebenenfalls vollkommen unsinnig war, gegen<br />

die „Majorität“ zu donnern. Doch ist dies nicht alles. Wer bildete eigentlich jene „kompakte<br />

Majorität“ im Städtchen, mit welcher unser Held in Kollision geriet? Da [885] waren<br />

erstens die Aktionäre der Badeanstalt, zweitens – die Hausbesitzer, drittens – die Zeitungsschreiber<br />

und Buchdrucker, die sich vollkommen nach dem Winde richteten, und zuletzt –<br />

der städtische Plebs, der unter dem Einfluß der ersten drei Elemente stand und diesen blindlings<br />

folgte. Im Verhältnis zu den ersten drei Kategorien bildete der Plebs naturgemäß die<br />

Majorität in der „kompakten Majorität“. Hätte Doktor Stockmann seine Aufmerksamkeit auf<br />

diese Tatsache gelenkt, so könnte er eine Entdeckung machen, die weit wichtiger für ihn war<br />

als die, welche er nach Ibsen gemacht hat: er hätte eingesehen, daß nicht die „Majorität“, gegen<br />

die er zum Gaudium der Anarchisten donnert, der wahre Feind des Fortschrittes ist, sondern<br />

daß es die Rückständigkeit jener Majorität ist, welche hervorgerufen wird durch ihre<br />

abhängige Stellung von der wirtschaftlich mächtigen Minorität.<br />

Da aber unser Held seinen anarchistischen Unsinn nicht aus Böswilligkeit, sondern aus Rückständigkeit<br />

ausspricht, so hätte er nach dieser seine Entwicklung ungemein fördernden Entdeckung<br />

nicht mehr gegen die Majorität gedonnert, sondern gegen die ökonomisch mächtige<br />

1 [Ebenda, S. 79/80.]<br />

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