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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 23.07.2013<br />

[869]<br />

II. Westeuropäische Literatur<br />

Von Polenz, „Der Büttnerbauer“*<br />

„Der Büttnerbauer“. Roman von Wilhelm von Polenz. Aus dem Deutschen übertragen von W. Welitschkina. Mit<br />

einem Vorwort von Graf Lew Nikolajewitsch Tolstoi. Ausgabe des „Posrednik“ für gebildete Leser. Moskau 1902.<br />

Bisher wurden in der „Sarja“ belletristische Werke fast gar nicht besprochen. Und auch in<br />

Zukunft werden wahrscheinlich recht wenige solcher Besprechungen erscheinen: aus Raummangel<br />

müssen wir uns in unserer Bücherrundschau auf literarische Werke beschränken, die<br />

zum Sozialismus in näherer Beziehung stehen. Aber der Roman „Der Büttnerbauer“ des<br />

Schriftstellers von Polenz schildert genau die gleichen Seiten des gesellschaftlichen Lebens<br />

recht gut, von denen in der sozialistischen und überhaupt in der sozialen und politischen Literatur<br />

soviel gesprochen wird. Es ist eine überaus interessante Exkursion in das Gebiet der<br />

„Agrarfrage“. Wir möchten unsere Leser darauf aufmerksam machen.<br />

Der wohlhabende Bauer Traugott Büttner, der sich sein Leben lang mit seiner ganzen Familie<br />

unermüdlich abgerackert hat und das ganze Leben hindurch der Religion des „Sparens“ treu<br />

geblieben ist, gerät allmählich in die Hände von Wucherern, verliert sein ganzes Gut und erhängt<br />

sich schließlich, bettelarm und von allen verlassen, an einem Baum. Das ist der Inhalt<br />

des Romans. Dieser Inhalt diente von Polenz als Stoff zu einer feinen Analyse der Mentalität<br />

des heutigen bäuerlichen Mittelstandes in Deutschland. Wie lebende Gestalten treten diese<br />

zähen, unermüdlichen Männer der Arbeit vor uns hin, welche fühlen, daß sie den Boden unter<br />

den Füßen verlieren, krampfhafte, fast instinktmäßige Bewegungen machen, um sich im<br />

Gleichgewicht zu halten, aber schließlich erkennen, daß sie im Kampf gegen die unbekannte,<br />

namenlose Macht nichts ausrichten können. „Traugott Büttner“, so sagt von Polenz, „hatte<br />

nur ein dumpfes Gefühl, eine dunkle Ahnung, daß ihm großes Unrecht widerfahre. Aber wer<br />

wußte denn zu sagen: wie und von wem! Wen sollte er anklagen? Das war ja gerade das Unheimliche,<br />

daß es eine Erklärung nicht gab. Das Verderben war gekommen über Nacht, er<br />

wußte nicht von wannen. Menschen hatten Rechte über ihn und sein Eigentum gewon-<br />

[870]nen, Fremde, die ihm vor zwei Jahren noch nicht einmal dem Namen nach bekannt waren.<br />

Er hatte diesen Leuten nichts Böses angetan, nur ihre Hülfe, die sie ihm aufgenötigt hatten,<br />

in Anspruch genommen. Und daraus waren durch Vorgänge und Wendungen, die er<br />

nicht verstand, Rechte erwachsen, durch die er diesen Menschen hilflos in die Hände gegeben<br />

war. Er mochte sich den Kopf zermartern, er konnte das Ganze nicht begreifen.“<br />

In Polenz’ Roman sind die unmittelbare Ursache des Ruins Traugott Büttners die Juden<br />

Harrassowitz und Schönberger. Dieser Umstand legt den Gedanken nahe, daß die Sozialphilosophie<br />

des Verfassers dieses Romans nicht ohne eine gewisse Beimischung von Antisemitismus<br />

sei. Aber wir glauben nicht, daß er christliche Kapitalisten den jüdischen vorgezogen<br />

habe. Der christliche Wirt Ernst Kaschel erscheint bei ihm als eine noch weniger sympathische<br />

Figur denn die jüdischen Wucherer. Zudem wird in seinem Roman gerade die anonyme<br />

Macht des Kapitals in grellen Farben geschildert, und es wäre töricht, deren Wirken irgendeiner<br />

besonderen Rasse zuschreiben zu wollen. Und so wollen wir, ohne uns mit dieser Frage<br />

länger aufzuhalten, den Leser bitten, darauf zu achten, wie schön bei von Polenz der ursächliche<br />

Zusammenhang zwischen dem ökonomischen Sein der Bauern einerseits und ihrer Mentalität<br />

anderseits hervortritt. In der Gegend, wo Traugott Büttner mit seiner Familie lebt –<br />

offenbar irgendwo in dem sogenannten Ostelbien –‚ ist der Bauer ein kleiner selbständiger<br />

Produzent, der zwar die Taglöhner verächtlich über die Schulter ansieht, sich aber trotzdem<br />

noch nicht für einen Vertreter der höheren Klasse hält. Die höhere Klasse ist dort durch den<br />

* Anmerkungen zu: Von Polenz, „Der Büttnerbauer“ (S. 869-874) am Ende des Kapitels.<br />

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