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erschien nennen menschenähnlichen

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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 22.07.2013<br />

fach unmöglich war, uns einig zu werden. Zugleich aber sah ich voraus, daß ich aus dem Streit<br />

mit ihm keine nutzlose Verärgerung – was bei Wortgefechten meistens herauskommt –‚ sondern<br />

eine angenehme und für mich nützliche geistige Anregung davontragen würde.<br />

Hier ein Beispiel, das eine kleine Vorstellung vermitteln kann, wie rasch sich Alexander Nikolajewitsch<br />

neue Objekte der Theorie aneignete.<br />

Als ich ihn in Boliasco kennenlernte, war ihm die materialistische Geschichtsauffassung von<br />

Marx und Engels völlig unbekannt. Ich lenkte seine Aufmerksamkeit auf die große philosophische<br />

Bedeutung dieser Anschauung hin. Einige Monate später, als ich mit ihm in der<br />

Schweiz zusammentraf, sah ich, daß er, ohne auch nur im geringsten ein Anhänger des historischen<br />

Materialismus geworden zu sein, es fertiggebracht hatte, das Wesen dieser Anschauung<br />

so gründlich zu erfassen, daß er mit dieser Lehre viel besser umgehen konnte als viele<br />

„felsenfeste“ Marxisten sowohl in Rußland als auch im Ausland. „Ihr Marxisten könnt die<br />

Bedeutung. der Ideologien nicht bestreiten“, sagte er zu mir, „ihr erklärt nur den [865] Gang<br />

ihrer Entwicklung auf eine bestimmte Art.“ Das war eine unumstößliche Wahrheit, leider<br />

wußte ich aber, daß sich bei weitem nicht jeder Marxist die Mühe gibt, diese unumstößliche<br />

Wahrheit zu verstehen und sich anzueignen.<br />

Skrjabin wollte in seiner Musik nicht diese oder jene Stimmungen, sondern eine ganze Weltanschauung<br />

zum Ausdruck bringen, die er auch nach allen Seiten auszuarbeiten sich bemühte.<br />

Es wäre gänzlich abwegig, hier von neuem die alte Frage aufzuwerfen, ob die Musik oder<br />

überhaupt die Kunst abstrakte Ideen zum Ausdruck bringen könne. Es genügt, wenn ich sage,<br />

daß unsere Meinungen auch in diesem Falle auseinandergingen und daß es deswegen zwischen<br />

uns ebenfalls zu vielen Streitigkeiten kam. Obgleich ich der Meinung war, daß<br />

Skrjabin der Kunst eine Aufgabe stellte, die sie nicht erfüllen kann, schien mir, daß sein Irrtum<br />

ihm großen Nutzen brachte: indem er den Kreis seiner geistigen. Interessen stark erweiterte,<br />

steigerte er auch das ohnedies gewaltig große spezifische Gewicht seiner künstlerischen<br />

Begabung. Ich mußte an den griechischen Maler Pamphilos denken, der von seinen Schülern<br />

die Kenntnis der Philosophie, Mathematik und Geschichte verlangte. Und ich sagte mir:<br />

Apelles ist durch die Schule des Pamphilos gegangen.<br />

Nur Menschen, die dem Dahingegangenen näherstanden als ich, könnten Aufschluß geben,<br />

auf welchen psychologischen Bahnen sich der Einfluß der philosophischen Ansichten Skrjabins<br />

auf seine künstlerische Tätigkeit ausbreitete. Aber die Tatsache dieses Einflusses unterliegt<br />

für mich nicht dem geringsten Zweifel. Und mir scheint, wenn Skrjabins Musik die<br />

Stimmungen eines ganz beträchtlichen Teils unserer Intelligenz in einer bestimmten Periode<br />

ihrer Geschichte so vollständig zum Ausdruck gebracht hat, so lag die Ursache dessen darin,<br />

daß er nicht nur auf dem Gebiete der „Emotionen“, sondern auch auf dem Gebiete der philosophischen<br />

Problemstellung und der nach den Umständen der Zeit und des Milieus möglichen<br />

„Leistungen“ mit ihr völlig wesensgleich war.<br />

Alexander Nikolajewitsch Skrjabin war ein Kind seiner Zeit. Wenn man den bekannten Ausspruch<br />

Hegels bezüglich der Philosophie in einem anderen Sinne gebrauchen darf, kann man<br />

sagen: Skrjabins Schöpfung war seine Zeit, ausgedrückt in Tönen. Wenn aber das Zeitliche,<br />

Vergängliche im Schaffen eines großen Künstlers seinen Ausdruck findet, gewinnt es dauernde<br />

Bedeutung und wird unvergänglich.<br />

Vielleicht hätte Alexander Nikolajewitsch, in die Heimat zurückgekehrt, von Zeit zu Zeit<br />

nicht ungern brieflich den Gedankenaustausch mit mir erneuert. Allein, das Schicksal hat es<br />

so gewollt, daß ich zu den Russen gehöre, mit denen in Briefwechsel zu stehen für ihre<br />

Landsleute nicht immer gerade gut ist. So habe ich meinerseits nichts getan, um einen [866]<br />

Briefwechsel zustande zu bringen. Auch er hat mir kein einziges Mal geschrieben. Das hat<br />

mir sehr gefehlt. Von meiner persönlichen Sympathie für ihn ganz zu schweigen, begriff ich,<br />

daß alles, was sich auf den Entwicklungsgang dieses hervorragenden Menschen bezog, die<br />

Bedeutung eines überaus instruktiven „menschlichen Dokuments“ hatte.<br />

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