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erschien nennen menschenähnlichen

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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 22.07.2013<br />

sehen, keine Prosa mehr; die Begeisterung für dieses Ziel ist die erhabenste Poesie, zu der<br />

nur ein geistig hochstehender Mensch fähig ist.<br />

IV<br />

„Die Kopeke vernichten!“ Schluß machen mit jenem grausamen und schändlichen Kampf<br />

ums Dasein, der jetzt in der menschlichen Gesellschaft geführt wird!<br />

Selbst ein Mensch auf dem Standpunkt der „höheren Gesellschaftsklassen“ ist durchaus imstande,<br />

sich von der Erhabenheit dieses Ziels durchdringen zu lassen. Aber wir haben schon<br />

gesehen: nach der „Kopeke“ streben bedeutet bei ihm soviel wie sich neue Mittel zur Befriedigung<br />

der materiellen Bedürfnisse schaffen. Darum bezieht sich für ihn die Frage der „Abschaffung<br />

der Kopeke“ nicht auf die gesellschaftlichen Verhältnisse, sie wird in das Gebiet<br />

der Moral verlegt. Die Macht der Kopeke vernichten, das bedeutet schlicht leben, sich nicht<br />

an Luxus gewöhnen, sich mit wenigem zufriedengeben. Die Kopeke vernichten, das heißt in<br />

sich selbst die Habsucht und andere Laster ausmerzen. Werdet mit euch selbst fertig, und<br />

alles wird gut. „Das Reich Gottes ist in euch.“<br />

Für Menschen wie Lewschin wird die Frage der Abschaffung der „Kopeke“ notwendigerweiser<br />

zu einer gesellschaftlichen Frage. Lewschin gehört zu jener Gesellschaftsklasse, die den<br />

Kampf um die „Kopeke“ auch dann nicht aufgeben könnte, falls sie sich entschlösse, dem<br />

guten Rat der guten Menschen aus den „höheren Gesellschaftsklassen“ zu folgen:<br />

Schlicht leben könnte sie einfach darum nicht, weil sie nicht um das Überflüssige, sondern um<br />

das Notwendige kämpfen muß. Für Lewschin besteht [856] das Übel nicht darin, daß die „Kopeke“<br />

ihn moralisch verdirbt, indem sie ein Bild jener „künstlichen“ Vergnügungen vor ihm<br />

erstehen läßt, die er sich dafür verschaffen könnte, sondern darin, daß er sich ihr unterordnen<br />

muß, denn wenn er sich ihr nicht unterordnet, wird er jeder Möglichkeit beraubt, seine lebensnotwendigsten<br />

und dringendsten physischen und geistigen Bedürfnisse zu befriedigen; folglich<br />

wird die Frage der Moral für ihn unvermeidlich zu einer sozialen Frage. „Das Reich Gottes ist“,<br />

natürlich, „in uns.“ Um es aber in uns zu finden, muß man die „Pforten der Hölle“ bezwingen,<br />

und diese „Pforten“ sind nicht in uns, sondern außer uns, nicht in unserer Seele, sondern in<br />

unseren gesellschaftlichen Verhältnissen. So müßte Lewschin antworten, käme irgendein „guter<br />

Herr“ zu ihm, um ihm meinetwegen die Lehre des Grafen Leo Tolstoi zu predigen.<br />

Lewschin ist Sozialist geworden, weil er die Macht der „Kopeke“ in ihrer ganzen objektiven,<br />

d. h. gesellschaftlichen Bedeutung aus der Erfahrung kennt. Und gerade weil er diese Macht<br />

kennengelernt hat, schreckt er, der von Natur so überaus weichherzige Mensch, er, der alles<br />

gern verzeiht, auch vor der Gewalt nicht zurück. Wir wissen schon, daß er beileibe kein Anhänger<br />

des sogenannten Terrors ist. Aber er ist gegen den Terror eigentlich aus taktischen<br />

Erwägungen, d. h. aus Erwägungen der Zweckmäßigkeit. Als Rjabzow sein Bedauern äußert,<br />

wegen eines bösen Menschen zugrunde gehen zu müssen, da erwidert der gutmütige und alles<br />

verzeihende Lewschin mit völlig unerwarteter, so kann man wohl sagen, Grausamkeit:<br />

„Schlechte Menschen muß man umbringen. Ein guter Mensch kann allein sterben.“ Er ist voll<br />

Liebe, aber die Dialektik des gesellschaftlichen Lebens widerspiegelt sich in seinem Herzen<br />

in der Dialektik des Gefühls, und die Liebe macht ihn zu einem Kämpfer, der zu den härtesten<br />

Entschlüssen fähig ist. Er fühlt, daß man auf sie nicht verzichten kann, daß es ohne sie<br />

noch schlimmer sein wird, und er schreckt vor ihnen nicht zurück, obwohl er ihre Notwendigkeit<br />

als etwas sehr Bedrückendes empfindet.<br />

„Widersetzt euch dem Übel nicht gewaltsam“, lehrt Graf Tolstoi. Und er bekräftigt seine<br />

Lehre durch eine Art elementarer arithmetischer Berechnung. Gewalt ist an und für sich ein<br />

Übel. Dem Übel die Gewalt entgegensetzen bedeutet nicht das Übel beseitigen, sondern dem<br />

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