18.09.2015 Views

erschien nennen menschenähnlichen

Zur PDF-Datei... - Max Stirner Archiv Leipzig

Zur PDF-Datei... - Max Stirner Archiv Leipzig

SHOW MORE
SHOW LESS
  • No tags were found...

Create successful ePaper yourself

Turn your PDF publications into a flip-book with our unique Google optimized e-Paper software.

OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 22.07.2013<br />

einst in einem seiner Gedichte ein altes Mütterlein auf dem Dorfe, die den Tod ihres Sohnes<br />

beweinte, also klagen:<br />

Geht dieser warme Pelz nun mal entzwei –<br />

Wer wird mir neue Hasen jagen?<br />

Dann gedenkt die Alte unter Tränen ihres Sohnes, sie spricht davon, daß ihre Hütte schon ganz<br />

zusammenfällt usw. Das hat manchem unter den damaligen Kritikern nicht gefallen. Sie fanden<br />

es „roh“. Wie kann man von der Hütte und vom Pelz reden – ereiferten sie sich –‚ wo doch der<br />

liebe Sohn tot ist! Wenn ich mich recht erinnere, hat einer Nekrassow sogar vorgeworfen, daß<br />

er das Volk schlechtmache. Die Sache sieht sich bei Nekrassow in der Tat auf den ersten Blick<br />

sozusagen allzu „materialistisch“ an. Es scheint, als weine die Alte nicht so sehr deshalb, weil<br />

sie den Sohn verloren hat, sondern vielmehr, weil sie keinen neuen Pelz mehr bekommen kann.<br />

Und wenn man mit diesem Werk der russischen „Muse der Rache und des Leids“ zum Beispiel<br />

das Gedicht vergleicht, das Victor Hugo auf den Tod seines Kindes geschrieben hat, so erscheint<br />

der Vorwurf, den die erwähnten Kritiker Nekrassow gemacht haben, noch begründeter.<br />

Der berühmte französische Romancier erwähnt nicht nur keine solchen Dinge wie Hütte und<br />

Pelz, sondern überhaupt keine materiellen Dinge. Bei ihm ist nur von Gefühlen, natürlich von<br />

den aufrichtigsten und achtbarsten, die Rede. Der Dichter denkt zurück, wie er abends, nach der<br />

Arbeit, sein Kind auf den Schoß zu nehmen und ihm Spielsachen zu geben pflegte usw. Ich<br />

bedaure sehr, daß ich diese beiden Gedichte gegenwärtig nicht zur Hand habe und daß ich sie<br />

nicht auswendig weiß. Man brauchte nur einige Bruchstücke zum Vergleiche heranzuziehen,<br />

um klar zu erkennen, wie stark sich die Art der Darstellung des Schmerzes bei Hugo von der<br />

Nekrassowschen Art der Darstellung desselben Gefühls unterscheidet. Das beweist jedoch<br />

durchaus noch nicht, daß [853] die Kritiker recht hatten, die die unglückliche alte Frau in dem<br />

Nekrassowschen Gedicht des groben Materialismus beschuldigten. Wodurch unterscheidet sich<br />

eigentlich der Schmerz Hugos vom Schmerz der alten Frau bei Nekrassow? Dadurch, daß die<br />

Erinnerung an den Verlust des geliebten Wesens bei Hugo mit völlig anderen Vorstellungen<br />

verknüpft ist als bei der alten Frau. Und nur dadurch. Die Gefühle sind die gleichen, aber die<br />

Assoziation der Vorstellungen, von der sie begleitet sind, ist eine völlig andere. Wodurch ist<br />

diese Verschiedenheit der Assoziation der Vorstellungen bedingt? Durch Umstände, die vom<br />

Gefühl völlig unabhängig sind. Erstens kann ein Kind überhaupt weder eine Hütte bauen noch<br />

Hasen schießen. Zweitens – und darauf kommt es hier natürlich am meisten an –‚ Victor Hugo<br />

war in materieller Hinsicht in einer so gesicherten Lage, daß er die Frage nach den Existenzmitteln<br />

mit der Frage nach dem Leben seiner Kinder gar nicht zu verknüpfen brauchte. Diesen<br />

letzteren Umstand bezeichne ich als einen Umstand, der vom Gefühl in keiner Weise abhängig<br />

ist: bekanntlich steht die materiell sichere Lage eines Menschen mit seinen Gefühlen im allgemeinen<br />

und mit seinen elterlichen Gefühlen im besonderen nicht in ursächlichem Zusammenhang.<br />

Die materielle Sicherheit eines Menschen hängt von seiner ökonomischen Stellung in der<br />

Gesellschaft ab; diese Lage wird aber nicht durch psychologische, sondern durch ganz andere<br />

Ursachen bestimmt.<br />

Wenn die ökonomische Lage der Menschen auch keineswegs von der Tiefe ihrer Gefühle<br />

abhängt, so werden doch durch diese Lage im großen und ganzen die Verhältnisse bedingt,<br />

in denen die Menschen leben; und diese Verhältnisse bestimmen den Charakter der Vorstellungen,<br />

mit denen sich bei ihnen die Vorstellung von den ihnen teuren Wesen verknüpft (assoziiert).<br />

Somit bestimmt die Ökonomie der Gesellschaft die Psychologie ihrer Mitglieder.<br />

Die Lebensbedingungen Victor Hugos glichen nicht den Lebensbedingungen der russischen<br />

Bauernschaft. So nimmt es nicht wunder, daß sich bei ihm auch die Vorstellung vom Verlust<br />

des Kindes mit Vorstellungen assoziierte, die sich von den Vorstellungen, mit den sich bei<br />

den Bauern die Vorstellungen vom Verlust ihnen teurer Wesen verknüpfen müssen, grundle-<br />

11

Hooray! Your file is uploaded and ready to be published.

Saved successfully!

Ooh no, something went wrong!