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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 22.07.2013<br />

Stauffachers über den Raub des gemeinsamen Gutes zu denken. Wenn es nun so ist, warum<br />

legt die öffentliche Meinung dann dem Tell die Bezeichnung eines Helden bei und nicht dem<br />

Stauffacher? Das ist durch viele Umstände bedingt. Hier sind zwei.<br />

In Handlungen wie der Tat Tells offenbart sich die ganze Kraft der Persönlichkeit in einem<br />

einzigen Moment. Darum wird durch solche Handlungen eine Maximalwirkung des Eindrucks<br />

erzielt. Wer diese Handlung sieht oder von ihr hört, braucht gar nicht seine Aufmerksamkeit<br />

anzuspannen, um die sich offenbarende Kraft zu würdigen. Auch ohnedies ist ersichtlich,<br />

daß es eine große Kraft ist.<br />

Anders die Tätigkeit von Männern wie Stauffacher. Sie ist auf einen [844] unvergleichlich<br />

länger andauernden Zeitraum ausgedehnt, und darum tritt die Kraft, die sich in einer solchen<br />

Tätigkeit zeigt, unvergleichlich weniger in Erscheinung. Um ihre Ausmaße zu bestimmen,<br />

muß man eine gewisse geistige Anstrengung machen, wozu nicht alle Lust haben und auch<br />

nicht fähig sind.<br />

Ich sage: „nicht alle fähig sind“, denn unsere Einstellung zu verschiedenen Arten historischen<br />

Wirkens hängt von unserer allgemeinen Geschichtsauffassung ab. Es gab eine Zeit, wo man die<br />

Geschichte vom Standpunkt der Taten einzelner Personen wie Romulus, Augustus oder Brutus<br />

betrachtete. Die Volksmasse, all die, welch von Augustus und Brutus unterdrückt oder befreit<br />

wurden, waren im Blickfeld der Historiker nicht anzufinden. Und da die Volksmasse in ihrem<br />

Blickfeld nicht auftauchte, befaßten sie sich, einleuchtenderweise, auch nicht mit den Männern<br />

des öffentlichen Lebens, die auf die Geschichte ihres Landes mittels des Einflusses auf die<br />

Masse einwirkten. Es wäre nicht angebracht, hier zu untersuchen, woher eine solche Geschichtsauffassung<br />

meinetwegen im Europa der neueren Zeit kam. Es mag genügen, wenn ich<br />

sage, daß schon Augustin Thierry sie sehr treffend mit dem Bestehen der Adelsmonarchie in<br />

den führenden Ländern des Westens in ursächlichen Zusammenhang gebracht hat. Die Masse<br />

erwähnten die Historiker – und Augustin Thierry erwähnte sie als einer der ersten –‚ erst dann,<br />

als sie die Adelsmonarchie gestürzt hatte. Heutzutage findet man schon selten einen Historiker,<br />

der etwa noch glaubte, die Geschichte finde in der bewußten Tätigkeit einzelner, mehr oder<br />

weniger machthungriger, mehr oder weniger heroischer Personen eine hinreichende Erklärung.<br />

Die Wissenschaft hat die Notwendigkeit erschöpfender Erklärungen schon begriffen. Aber das<br />

„breite Publikum“ erkennt diese Notwendigkeit noch recht schwach. Seine Blicke bleiben noch<br />

an der Oberfläche der historischen Ereignisse haften. Und an der Oberfläche sieht man nur einzelne<br />

Persönlichkeiten. Unter einzelnen Persönlichkeiten sind wiederum Gestalten wie Tell für<br />

das „breite Publikum“ verständlicher als Männer wie Stauffacher. Und deshalb würdigt das<br />

„breite Publikum“, das Teil den Lorbeerkranz aufs Haupt setzt, Männer wie Stauffacher fast<br />

überhaupt nicht seiner „aufgeklärten Aufmerksamkeit“. 1<br />

[845] Aber die Masse kann die Geschichte nur so lange mit solchen Augen betrachten, als sie<br />

ihrer selbst noch nicht bewußt geworden ist, als sie ihre Kraft und ihre Bedeutung noch nicht<br />

erkannt hat. Wenn schon ein gelehrter Ideologe der Bourgeoisie, Augustin Thierry, jene Historiker<br />

scharf verurteilte, die alles den Königen zuschreiben und den Völkern nichts, so können<br />

sich die klassenbewußten Vertreter der werktätigen Masse um so weniger mit einer Geschichtserklärung<br />

zufriedengeben, die alles auf die Taten ruhmvoller „Helden“ und nichts auf<br />

die Aktionen der grauen „Masse“ zurückführt. Deshalb werden die klassenbewußten Vertre-<br />

1 Wie weit das Vorurteil über den „Terrorismus“ verbreitet ist, zeigt unter anderem folgendes Beispiel aus der<br />

jüngsten Vergangenheit. In dem Sammelband „Galerie der Schlüsselburger Gefangenen“ (T[eil] I, St.-Pbg.<br />

1907) heißt es über die Teilnahme M. R. Popows an dem Kongreß in Woronesh im Jahre 1879: „... auf dem<br />

Kongreß stand er auf der äußersten Rechten“ (S. 160). Das heißt, daß Michail Rodionowitsch einer der entschiedensten<br />

Gegner des „Terrorismus“ war. Und dabei gehört die Person, die den Artikel über M. R. Popow<br />

geschrieben hat, nicht einmal zu den Sozialrevolutionären.<br />

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