erschien nennen menschenähnlichen
Zur PDF-Datei... - Max Stirner Archiv Leipzig Zur PDF-Datei... - Max Stirner Archiv Leipzig
OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 22.07.2013 Zeit gar nicht viel übrig hat, sagt, daß letzterer sich als eine Größe empfindet, die für sich allein genommen nichts bedeutet, Bedeutung aber gewinnt, sowie sie mit vielen anderen zusammengefügt ist. 1 Hieraus ergibt sich für manchen bürgerlichen „Übermenschen“ gar leicht die Schlußfolgerung, daß diese Größe an und für sich null und unter Proletariern für starke „Persönlichkeiten“ kein Platz ist. Aber das ist ein ganz gewaltiger Irrtum, der durch die Beschränktheit des bürgerlichen Gesichtskreises bedingt ist. Die Entwicklung der Persönlichkeit als Charakter steht in direktem Verhältnis zur Entwicklung der Selbständigkeit, d. h. der Fähigkeit, fest auf eigenen Füßen zu stehen. Und diese Fähigkeit erlangt und bekundet der Proletarier, wie derselbe Werner Sombart zugibt, in viel früherem Alter als der Bourgeois. Der Proletarier verdient seinen Unterhalt in zäher, schwerer Arbeit in einem Alter, da sich die Kinder der „guten Familien“ immer noch auf fremde Hilfe verlassen. Und wenn sich der Proletarier trotzdem wirklich als eine Größe vorkommt, die ihre Bedeutung verliert, wenn sie nicht mit vielen anderen zusammengefügt ist, so gibt es hierfür zwei Ursachen. Die eine ist die technische Organisation der modernen Produktion; die andere ihre soziale Organisation oder, wie sich Marx ausdrückt, die Produktionsverhältnisse, die der kapitalistischen Gesellschaft eigen sind. Der Proletarier besitzt keine Produktionsmittel und existiert nur durch den Verkauf seiner [840] Arbeitskraft. Als Verkäufer der Arbeitskraft, d. h. als Warenbesitzer, der auf dem Markte nichts als sich selbst verkauft, stellt der Proletarier wirklich etwas äußerst Schwaches, man kann sagen Hilfloses dar. Er ist gänzlich abhängig von denen, die seine Arbeitskraft kaufen und in deren Händen die Produktionsmittel konzentriert sind. Und diese seine Abhängigkeit von dem Besitzer der Produktionsmittel bekommt der Proletarier um so früher zu fühlen, je früher er auf eigenen Füßen steht, d. h. je früher er selbständig wird. Auf diese Weise bedingt die proletarische Selbständigkeit beim Proletarier das Bewußtsein seiner Abhängigkeit vom Kapitalisten und das Bestreben, sich daraus zu befreien oder sie wenigstens zu mildern. Und dazu gibt es keinen anderen Weg als den Zusammenschluß der Proletarier: es gibt keinen anderen Weg als ihre Vereinigung zum gemeinsamen Kampf um die Existenz. Je stärker darum beim Arbeiter die Unzufriedenheit mit der Abhängigkeit vom Kapitalisten wird, desto stärker wird er sich bewußt, daß er in Übereinstimmung mit den anderen Arbeitern handeln, daß er in ihrer ganzen Masse das Gefühl der Solidarität wecken muß. Sein Gravitieren zur Masse hin steht in direktem Verhältnis zu seinem Streben nach Unabhängigkeit, zu seinem Bewußtsein der eigenen Würde, mit einem Wort: zur Entwicklung seiner Individualität. Werner Sombart hat dies natürlich nicht bemerkt. So stellt sich die Sache vom Standpunkt der modernen Produktionsverhältnisse dar. Vom Standpunkt der modernen Technik stellt sie sich folgendermaßen dar. Der Proletarier, der in einem kapitalistischen Betrieb arbeitet, produziert nicht das Produkt, sondern nur einen gewissen Teil des Produkts. Das Produkt als Ganzes ist vielmehr die Frucht der vereinigten und organisierten Anstrengungen vieler, manchmal sehr vieler Produzenten. So führt die moderne Technik ebenfalls dazu, daß sich der Proletarier als eine Größe empfindet, der nur dann Bedeutung zukommt, wenn sie zu anderen addiert wird. Kurz gesagt, die Technik trägt ebenfalls dazu bei, daß der Proletarier zu einem vorzugsweise geselligen Tier wird. Diese beiden Umstände, die der proletarischen Psychologie ein so bestimmtes Gepräge verleihen, bestimmen ebenfalls – mittels der gleichen Psychologie – die Taktik des Proletariats in seinem Kampf gegen die Bourgeoisie. Seine Bewegung ist eine Massenbewegung: sein Kampf ist ein Massenkampf. Je mehr sich die Einzelpersonen, welche die Masse bilden, in ihren Anstrengungen zusammenschließen, desto wahrscheinlicher wird der Sieg. Der Arbeiter kennt auch das schon aus der Erfahrung seiner Jugendzeit. Und einer der Helden Gorkis, der Arbeiter Jagodin, bringt das naiv zum Ausdruck, wenn er sagt: „Alle zusammen los, um- 1 Werner Sombart, „Das Proletariat“ („Die Gesellschaft“, herausgegeben von Martin Buber). 2
OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 22.07.2013 zingelt und draufgedrückt – und die Sache ist erledigt.“ Freilich, [841] „erledigt“ ist die Sache in Wirklichkeit nicht so schnell, wie Jagodin meint; aber daraus folgt nur, daß man sich um so mehr und um so enger zusammenschließen muß, damit die Sache dann schließlich doch „erledigt“ ist. In dieser Richtung der Vereinigung und Organisation der proletarischen Kräfte bewegt sich natürlicherweise fast instinktiv die Tätigkeit der führenden Vertreter der Arbeiterklasse. Die Vereinigung und die Organisation erscheinen ihnen natürlicherweise als das wirksamste, fruchtbarste taktische Mittel des Kampfes um eine bessere Zukunft. Und im Vergleich zu diesem fruchtbaren und wirksamen taktischen Mittel erscheinen ihnen alle anderen Mittel als von untergeordneter Bedeutung, als unwesentlich, und manche – die zuweilen, unter anderen gesellschaftlichen Bedingungen, nicht ohne Erfolg angewandt werden – mitunter als geradezu unzweckmäßig. In dem neuen Stück Gorkis bemerkt der Arbeiter Lewschin anläßlich der Tötung eines der Fabrikbesitzer, des grausamen Michail Skrobotow, durch seinen Genossen Jakimow: „Ach, Andrej hätte nicht schießen sollen! Was hat es denn für einen Sinn, einen Menschen umzubringen? Es hat gar keinen Sinn! Den einen Hund schlägt man tot – und der Besitzer kauft einen andern, das ist die ganze Geschichte.“ Der sogenannte Terrorismus ist keine proletarische Kampfmethode. Ein wirklicher Terrorist ist Individualist dem Charakter nach oder infolge von „Umständen, die nicht in seiner Gewalt stehen“. Schiller hat das mit seinem Instinkt eines genialen Künstlers begriffen. Sein Wilhelm Tell ist Individualist im vollen Sinne des Wortes. Als Stauffacher zu ihm sagt: „Wir könnten viel, wenn wir zusammenstünden“, antwortet er: „Beim Schiffbruch hilft der einzelne sich leichter.“ Und als Stauffacher ihm vorwirft, daß er die gemeinsame Sache schnöde verlasse, erwidert er, daß ein jeder nur sicher auf sich selbst zähle. Das sind zwei einander diametral entgegengesetzte Ansichten. Stauffacher legt dar, daß „verbunden auch die Schwachen mächtig werden“, aber Wilhelm Tell behauptet hartnäckig, daß „der Starke am mächtigsten allein“ sei. Dieser Überzeugung bleibt Tell bis zum Ende unverändert treu. Er rechnet „allein“ mit Geßler ab. Stauffacher hingegen ist bei Schiller als der typische Agitator, Organisator und Führer der Massenbewegung geschildert. Wie Tell schreckt auch dieser energische Mann nicht vor den extremsten Mitteln zurück. Bei der Zusammenkunft auf dem Rütli spricht er die berühmten Worte: auch die Tyrannenmacht habe eine Grenze und der Gedrückte, der nirgends Recht finden kann, dem die Last unerträglich wird, appelliere dann eben an seine ewigen, unveräußerlichen Rechte und greife zum Schwert. Aber die Hauptgewähr des Erfolgs erblickt er im Zusammenschluß; er verlangt, daß am Befreiungskampf alle Waldkantone teilnehmen und daß sie alle geschlossen handeln: [842] Wenn Uri ruft, wenn Unterwalden hilft, Der Schwytzer wird die alten Bünde ehren... Und anders kann man gar nicht vorgehen. Stauffacher fürchtet die Unternehmungen einzelner geradezu, weil sie für den Erfolg der gemeinsamen Sache hinderlich sein können. Er rät den auf dem Rütli Versammelten eindringlich: Jetzt gehe jeder seines Weges still Zu seiner Freundschaft und Genossame. Wer Hirt ist, wintre ruhig seine Herde Und werb’ im stillen Freunde für den Bund, Was noch bis dahin muß erduldet werden, Erduldet’s! Laßt die Rechnung der Tyrannen Anwachsen, bis ein Tag... usw. 3
- Page 547 and 548: OCR-Texterkennung durch Max Stirner
- Page 549 and 550: OCR-Texterkennung durch Max Stirner
- Page 551 and 552: OCR-Texterkennung durch Max Stirner
- Page 553 and 554: OCR-Texterkennung durch Max Stirner
- Page 555 and 556: OCR-Texterkennung durch Max Stirner
- Page 557 and 558: OCR-Texterkennung durch Max Stirner
- Page 559 and 560: OCR-Texterkennung durch Max Stirner
- Page 561 and 562: OCR-Texterkennung durch Max Stirner
- Page 563 and 564: OCR-Texterkennung durch Max Stirner
- Page 565 and 566: OCR-Texterkennung durch Max Stirner
- Page 567 and 568: OCR-Texterkennung durch Max Stirner
- Page 569 and 570: OCR-Texterkennung durch Max Stirner
- Page 571 and 572: OCR-Texterkennung durch Max Stirner
- Page 573 and 574: OCR-Texterkennung durch Max Stirner
- Page 575 and 576: OCR-Texterkennung durch Max Stirner
- Page 577 and 578: OCR-Texterkennung durch Max Stirner
- Page 579 and 580: OCR-Texterkennung durch Max Stirner
- Page 581 and 582: OCR-Texterkennung durch Max Stirner
- Page 583 and 584: OCR-Texterkennung durch Max Stirner
- Page 585 and 586: OCR-Texterkennung durch Max Stirner
- Page 587 and 588: OCR-Texterkennung durch Max Stirner
- Page 589 and 590: OCR-Texterkennung durch Max Stirner
- Page 591 and 592: OCR-Texterkennung durch Max Stirner
- Page 593 and 594: OCR-Texterkennung durch Max Stirner
- Page 595 and 596: OCR-Texterkennung durch Max Stirner
- Page 597: OCR-Texterkennung durch Max Stirner
- Page 601 and 602: OCR-Texterkennung durch Max Stirner
- Page 603 and 604: OCR-Texterkennung durch Max Stirner
- Page 605 and 606: OCR-Texterkennung durch Max Stirner
- Page 607 and 608: OCR-Texterkennung durch Max Stirner
- Page 609 and 610: OCR-Texterkennung durch Max Stirner
- Page 611 and 612: OCR-Texterkennung durch Max Stirner
- Page 613 and 614: OCR-Texterkennung durch Max Stirner
- Page 615 and 616: OCR-Texterkennung durch Max Stirner
- Page 617 and 618: OCR-Texterkennung durch Max Stirner
- Page 619 and 620: OCR-Texterkennung durch Max Stirner
- Page 621 and 622: OCR-Texterkennung durch Max Stirner
- Page 623 and 624: OCR-Texterkennung durch Max Stirner
- Page 625 and 626: OCR-Texterkennung durch Max Stirner
- Page 627 and 628: OCR-Texterkennung durch Max Stirner
- Page 629 and 630: OCR-Texterkennung durch Max Stirner
- Page 631 and 632: OCR-Texterkennung durch Max Stirner
- Page 633 and 634: OCR-Texterkennung durch Max Stirner
- Page 635 and 636: OCR-Texterkennung durch Max Stirner
- Page 637 and 638: OCR-Texterkennung durch Max Stirner
- Page 639 and 640: OCR-Texterkennung durch Max Stirner
- Page 641 and 642: OCR-Texterkennung durch Max Stirner
- Page 643 and 644: OCR-Texterkennung durch Max Stirner
- Page 645 and 646: OCR-Texterkennung durch Max Stirner
- Page 647 and 648: OCR-Texterkennung durch Max Stirner
OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 22.07.2013<br />
Zeit gar nicht viel übrig hat, sagt, daß letzterer sich als eine Größe empfindet, die für sich<br />
allein genommen nichts bedeutet, Bedeutung aber gewinnt, sowie sie mit vielen anderen zusammengefügt<br />
ist. 1 Hieraus ergibt sich für manchen bürgerlichen „Übermenschen“ gar leicht<br />
die Schlußfolgerung, daß diese Größe an und für sich null und unter Proletariern für starke<br />
„Persönlichkeiten“ kein Platz ist. Aber das ist ein ganz gewaltiger Irrtum, der durch die Beschränktheit<br />
des bürgerlichen Gesichtskreises bedingt ist. Die Entwicklung der Persönlichkeit<br />
als Charakter steht in direktem Verhältnis zur Entwicklung der Selbständigkeit, d. h. der Fähigkeit,<br />
fest auf eigenen Füßen zu stehen. Und diese Fähigkeit erlangt und bekundet der Proletarier,<br />
wie derselbe Werner Sombart zugibt, in viel früherem Alter als der Bourgeois. Der<br />
Proletarier verdient seinen Unterhalt in zäher, schwerer Arbeit in einem Alter, da sich die<br />
Kinder der „guten Familien“ immer noch auf fremde Hilfe verlassen. Und wenn sich der Proletarier<br />
trotzdem wirklich als eine Größe vorkommt, die ihre Bedeutung verliert, wenn sie<br />
nicht mit vielen anderen zusammengefügt ist, so gibt es hierfür zwei Ursachen. Die eine ist<br />
die technische Organisation der modernen Produktion; die andere ihre soziale Organisation<br />
oder, wie sich Marx ausdrückt, die Produktionsverhältnisse, die der kapitalistischen Gesellschaft<br />
eigen sind. Der Proletarier besitzt keine Produktionsmittel und existiert nur durch den<br />
Verkauf seiner [840] Arbeitskraft. Als Verkäufer der Arbeitskraft, d. h. als Warenbesitzer,<br />
der auf dem Markte nichts als sich selbst verkauft, stellt der Proletarier wirklich etwas äußerst<br />
Schwaches, man kann sagen Hilfloses dar. Er ist gänzlich abhängig von denen, die seine Arbeitskraft<br />
kaufen und in deren Händen die Produktionsmittel konzentriert sind. Und diese<br />
seine Abhängigkeit von dem Besitzer der Produktionsmittel bekommt der Proletarier um so<br />
früher zu fühlen, je früher er auf eigenen Füßen steht, d. h. je früher er selbständig wird. Auf<br />
diese Weise bedingt die proletarische Selbständigkeit beim Proletarier das Bewußtsein seiner<br />
Abhängigkeit vom Kapitalisten und das Bestreben, sich daraus zu befreien oder sie wenigstens<br />
zu mildern. Und dazu gibt es keinen anderen Weg als den Zusammenschluß der Proletarier:<br />
es gibt keinen anderen Weg als ihre Vereinigung zum gemeinsamen Kampf um die Existenz.<br />
Je stärker darum beim Arbeiter die Unzufriedenheit mit der Abhängigkeit vom Kapitalisten<br />
wird, desto stärker wird er sich bewußt, daß er in Übereinstimmung mit den anderen<br />
Arbeitern handeln, daß er in ihrer ganzen Masse das Gefühl der Solidarität wecken muß. Sein<br />
Gravitieren zur Masse hin steht in direktem Verhältnis zu seinem Streben nach Unabhängigkeit,<br />
zu seinem Bewußtsein der eigenen Würde, mit einem Wort: zur Entwicklung seiner Individualität.<br />
Werner Sombart hat dies natürlich nicht bemerkt.<br />
So stellt sich die Sache vom Standpunkt der modernen Produktionsverhältnisse dar. Vom<br />
Standpunkt der modernen Technik stellt sie sich folgendermaßen dar. Der Proletarier, der in<br />
einem kapitalistischen Betrieb arbeitet, produziert nicht das Produkt, sondern nur einen gewissen<br />
Teil des Produkts. Das Produkt als Ganzes ist vielmehr die Frucht der vereinigten und<br />
organisierten Anstrengungen vieler, manchmal sehr vieler Produzenten. So führt die moderne<br />
Technik ebenfalls dazu, daß sich der Proletarier als eine Größe empfindet, der nur dann Bedeutung<br />
zukommt, wenn sie zu anderen addiert wird. Kurz gesagt, die Technik trägt ebenfalls<br />
dazu bei, daß der Proletarier zu einem vorzugsweise geselligen Tier wird.<br />
Diese beiden Umstände, die der proletarischen Psychologie ein so bestimmtes Gepräge verleihen,<br />
bestimmen ebenfalls – mittels der gleichen Psychologie – die Taktik des Proletariats in<br />
seinem Kampf gegen die Bourgeoisie. Seine Bewegung ist eine Massenbewegung: sein<br />
Kampf ist ein Massenkampf. Je mehr sich die Einzelpersonen, welche die Masse bilden, in<br />
ihren Anstrengungen zusammenschließen, desto wahrscheinlicher wird der Sieg. Der Arbeiter<br />
kennt auch das schon aus der Erfahrung seiner Jugendzeit. Und einer der Helden Gorkis,<br />
der Arbeiter Jagodin, bringt das naiv zum Ausdruck, wenn er sagt: „Alle zusammen los, um-<br />
1 Werner Sombart, „Das Proletariat“ („Die Gesellschaft“, herausgegeben von Martin Buber).<br />
2