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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 22.07.2013<br />

[838]<br />

Zur Psychologie der Arbeiterbewegung*<br />

(Maxim Gorki, „Die Feinde“)<br />

I<br />

Über die Stücke „Kinder der Sonne“ und „Barbaren“ mußte ich wiederholt ungünstige Urteile<br />

hören. „Gorkis Talent geht merklich zurück; seine neuen dramatischen Werke sind in künstlerischer<br />

Beziehung schwach und werden den Anforderungen der Zeit nicht gerecht“, so haben<br />

sich sogar Leute geäußert, die sich für die engsten Gesinnungsgenossen unseres hochbegabten<br />

Proletarier-Künstlers halten. Jetzt, nachdem ich die „Feinde“ gelesen habe, möchte ich<br />

wissen, was sie darüber denken, die über die „Barbaren“ und die „Kinder der Sonne“ die<br />

Achsel gezuckt haben. Sollte ihnen vielleicht auch das Stück „Die Feinde“ als schwach und<br />

unzeitgemäß erscheinen? Das wäre zuviel! Denn es sind sehr „ernsthafte“ Leute. Die verstehen<br />

schon etwas von Kunst!<br />

Was mich Sünder betrifft, so will ich ganz offen sagen: die neuen Szenen Gorkis sind ausgezeichnet.<br />

Sie sind außerordentlich inhaltsreich, und man müßte schon die Augen absichtlich<br />

verschlossen haben, wenn man das nicht merkte.<br />

Selbstverständlich gefällt mir das Stück „Die Feinde“ nicht deshalb, weil es den Klassenkampf<br />

schildert, und zwar unter den besonderen Umständen schildert, unter denen er bei uns<br />

dank dem unermüdlichen Eifer der fürsorglichen Behörden vor sich geht. Die Gärung unter<br />

den Arbeitern in der Fabrik, die Tötung eines der Fabrikbesitzer, das Erscheinen der Soldaten<br />

und Gendarmen – all das bietet natürlich viel dramatischen und „aktuellen“ Stoff. Aber all<br />

das bietet nur die Möglichkeit zu einem guten dramatischen Werk. Die Frage ist die: Ist diese<br />

Möglichkeit zur Wirklichkeit geworden? Und bei der Lösung dieser Frage kommt es bekanntlich<br />

darauf an, inwieweit die künstlerische Bearbeitung des interessanten Stoffes befriedigt.<br />

Der Künstler ist kein Publizist. Er urteilt nicht, er schildert. Der Künstler, der den Klassenkampf<br />

schildert, muß uns zeigen, wie dieser die seelische Haltung der handelnden Personen<br />

bestimmt, wie er ihr Denken und Fühlen lenkt. Mit einem Wort: dieser Künstler muß unbedingt<br />

Psychologe sein. Und das neue Werk Gorkis hat den Vorzug, daß es auch in dieser Hinsicht<br />

den strengsten Anforderungen [839] gerecht wird. Das Stück „Die Feinde“ ist gerade in<br />

sozial-psychologischem Sinne interessant. Ich kann diese Szenen all denen bestens empfehlen,<br />

die sich für die Psychologie der Arbeiterbewegung unserer Zeit interessieren.<br />

Der Freiheitskampf des Proletariats ist eine Massenbewegung. Darum ist auch die Psychologie<br />

dieser Bewegung eine Psychologie der Masse. Natürlich besteht die Masse aus Einzelpersonen,<br />

und die Einzelpersonen sind einander nicht identisch. An der Massenbewegung nehmen<br />

Magere und Dicke, Kleine und Große, Blonde und Schwarzhaarige, Ängstliche und<br />

Kühne, Schwache und Starke, Zarte und Robuste teil. Aber die Individuen, die die Masse<br />

hervorbringt, die ihr eigenes Fleisch und Blut sind, stellen sich ihr nicht gegenüber – wie sich<br />

die Helden aus dem bürgerlichen Milieu so gern dem gemeinen Haufen gegenüberstellen –‚<br />

sondern sind sich bewußt, daß sie ein Teil der Masse sind, und es ist ihnen um so wohler zumute,<br />

je deutlicher sie verspüren, wie eng sie mit ihr verbunden sind. Der Proletarier ist vor<br />

allem ein „geselliges Tier“, um hier mit einer leichten Änderung seines Sinnes einen bekannten<br />

Ausspruch von Aristoteles zu gebrauchen. Das muß allen auffallen, die einige Beobachtungsgabe<br />

besitzen. Werner Sombart, der für das Fühlen und Denken des Proletariers unserer<br />

* Anmerkungen zu: Zur Psychologie der Arbeiterbewegung (Maxim Gorki „Die Feinde“) (S. 838-858)<br />

Der Aufsatz wurde erstmals gedruckt in der Zeitschrift „Sowremenny Mir“ (1907, Nr. 5, Mai). Hier wird der<br />

Text der Gesamtausgabe der Werke (Bd. XXIV, S. 257 bis 276) gedruckt.<br />

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