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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 22.07.2013 entwickelnd, sagt T[olstoi], daß ein anständiger Mensch nicht nur kein Kalb, keinen Hund und kein Huhn, sondern auch keinen Menschen quält. Verzicht auf Fleischnahrung. Er widerlegt den Gedanken, daß das Gebot, dem Übel nicht zu widerstreben, der Natur des Menschen widerspricht. Siehe Auszug Nr. 3. 1 Ein solches Leben ist wirklich kein Hirngespinst, sondern Wirklichkeit. Aber das ist nicht wichtig. Wichtig ist die Haltung T[olstois]. Woher kommt dieses widernatürliche Streben, Böses zu tun? Es wird hervorgerufen durch die schlechte Einrichtung der menschlichen Gesellschaft. Unsere Gesellschaft ist so schlecht eingerichtet, daß das, was für einen Menschen gut ist, nur durch die Leiden anderer Menschen erzielt wird. Wer wird in den Gerichten abgeurteilt? Verbrecher. Was ist ein Verbrechen? Eine Verletzung der gegebenen Norm (des Eigent[ums] u. a.). Der Richter – wie auch der Henker – sind vorwiegend Bewahrer. So erscheint T[olstoi] die Frage der Gerichte. Beachten Sie das, und Sie werden seine Verwunderung darüber verstehen, daß die Revolutionäre – die er als die einzigen gläubigen Menschen unserer [835] Zeit bezeichnet – ihm um keinen Preis beistimmen wollen. Unter Beschränkung auf das Dargelegte muß man zugeben, daß die Revolutionäre – d. h. eigentlich die Sozialisten – mit T[olstoi] übereinstimmen müßten. Ist das richtig? Das ist bis zu dem Grade richtig, als die Sozialisten tatsächlich mit Tolstoi übereinstimmen. Ich wiederhole: unter Beschränkung auf das Dargelegte, in den Grenzen dessen, was T[olstoi] über die Gerichte sagt. Zum Beweise will ich mich gerade auf H[erzen] berufen, dessen Name im Titel meines Vortrags neben dem T[olstois] steht. ‹„Im Vorbeifahren“ 2* . Disput mit Samarin 3* , aber vorher möchte ich zur Vermeidung von Mißverständnissen noch bemerken, daß sich die Lehre vom Verzicht auf Widerstand gegen das Böse bei T[olstoi] nicht auf die Worte beschränkt: „Richtet nicht!“ Er sagt auch: „Führt nicht Krieg!“ Aber das ist ein spezieller Fall der allgemeinen Regel. Hätten die Italiener niemand gerichtet, dann hätten sie auch die Türken nicht durch ein Schemjak-Urteil gerichtet und wären folglich auch nicht über Tripolis hergefallen. Aber im höchsten Grade bemerkenswert ist die T[olstoische] Interpretation des Gebotes der Feindesliebe. Der Feind – das ist der Fremdländische. Ich bitte Sie, das zu beachten.› 4 Und nun zu H[erzen]. Er ist Sozialist. Auszüge. 5 Disput mit Samarin. „Anhäufung von Atoblick der Hinrichtung von Menschen durch Menschenhand wie durch Spießrutenlaufen, Guillotine und Galgen.“ („Mein Glaube“, Berlin 1902, S. 36; in der Moskauer Ausgabe von 1913 fehlt diese Stelle.) Red. L. N. 1 Wir bringen Auszug Nr. 3: „Man braucht nur für einen Augenblick den Gedanken aufzugeben, daß die Organisation – die gesellschaftliche Organisation (G. P.) –‚ die gegenwärtig besteht und von Menschen gemacht ist, die allerbeste gesellschaftliche Organisation des Lebens ist, und sofort richtet sich der Einwand, daß die Lehre Christi der Natur des Menschen widerspreche, gegen die, die diesen Einwand vorbringen.“ Red. L. N. 2* Plechanow meint das Bruchstück „Im Vorbeifahren“ von Herzen, wo dieser von den Gerichten und von den Strafen spricht. (Herzen, Sämtliche Werke, herausg. von M. K. Lemke, Bd. VII, S. 465-467.) 3* Das Wesen des Streites Herzens mit Samarin wird von Plechanow ausführlich dargelegt in dem Text des unveröffentlichten Vortrags (siehe S. 822-832). 4 Der ganze eingeklammerte Absatz ist im Manuskript durchgestrichen. Red. L. N. 5 Wir bringen den im Archiv aufbewahrten Auszug, der die Überschrift „Herzen und der Sozialismus“ trägt und auf zwei Seiten eines Blattes geschrieben ist: „Herzen und der Sozialismus“ („Kolokol“ Nr. 191, 15. November 1864). „Ich bin nicht erst seit gestern Sozialist. Vor dreißig Jahren hat mir Nikolai Pawlowitsch den Titel eines Sozialisten verliehen – celà commence à compter [damit beginnt die Rechnung]. Zwanzig Jahre später habe ich seinen Sohn in dem Brief, den Sie kennen, daran erinnert, und weitere zehn Jahre später sage ich Ihnen, daß ich aus der allgemeinen Impasse (d. h. Sackgasse) der gebildeten Welt keinen anderen Ausweg sehe als greisenhaftes Absterben oder eine soziale Umwälzung, ob eine jähe gewaltsame oder eine allmählich ansteigende, aus dem Leben des Volkes herauswachsende oder eine durch das theoretische Denken in dieses hineingetragene, ist dabei gleichgültig. Man kommt um diese Frage nicht herum, sie kann nicht veralten, sie kann nicht von der Tagesordnung verschwinden, sie kann durch andere Fragen beiseite geschoben oder verdeckt werden – aber sie ist da wie eine verborgene Krankheit, und wenn sie nicht eines Tages, da man es am wenigsten erwartet, ans Tor klopft, 2

OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 22.07.2013 men“. 1* [836] M[eine] H[erren]! Zweite Stunde Ich behaupte, daß die Ideen T[olstois] über die Gerichte und über den Krieg – über die internationalen Beziehungen – eine eigentümliche Widerspiegelung mancher sozialistischer Ideen in seinem Kopfe darstellen, und ich versprach zu erläutern, worin ihre Eigentümlichkeit besteht. Das will ich jetzt tun. Hier muß ich an die Vernunftgründe erinnern, die die Sozialisten zur Rechtfertigung ihrer Ablehnung der Gerichte angeführt haben. H[erzen] hat sich nicht ohne Grund auf den Materialisten Owen berufen. Der Owenschen Lehre lag die materialistische Lehre zugrunde, derzufolge der Mensch nicht als gut oder schlecht geboren wird. Tscher[nyschewski]. Er wird nicht als Tischler oder Schuster geboren, sondern er wird es unter dem Einfluß der ihn umgebenden – hauptsächlich gesellschaftlichen – Umstände. Helvétius. Marx hat gezeigt, wie dieser Gedanke die Grundlage des Sozialismus des 19. Jahrhunderts bildete. Schlußfolgerung aus dieser These. Das Verbrechertum – ein gesellschaftliches Produkt. Notwendigkeit der sozialen Reform. So verhält sich H[erzen]. 2 In dem Disput mit Samarin appelliert er wegen der Auspeitschung an die soziale Reform. Und T[olstoi]? Die ganze Eigentümlichkeit seiner Lehre besteht darin, daß er diese Schlußfolgerung nicht zieht. Warum? Weil sie ihm nicht als notwendig erscheint. Und warum erscheint sie ihm so? Weil ihm die materialistische Auffassung vom Menschen zuwider ist. Er spottet über den Materialismus mit seiner erstaunlich begeisterten Behauptung, der Mensch sei ein Prozeß und weiter nichts („Mein Glaube“ [das heißt: „Worin besteht mein Glaube?“], S. 110). Seiner Meinung nach ist der Materialismus das legitime Kind der christlichen Kirchenlehre, derzufolge das Leben auf Erden das Leben nach dem Sündenfall ist („Mein Glaube“, S. 110). Er schreibt. Siehe Auszug Nr. 0. 3 Dementsprechend betrachtet er auch die menschliche Geistesgeschichte als etwas von der tatsächlichen Geschichte der Menschheit, d. h. unter anderem auch von der Geschichte der gesellschaftlichen Verhältnisse, Unabhängiges. „Reifejahren“, S. 95. Was Diderot über die Willensfreiheit sagt. 4* Der Mensch als Ursache; aber vorher war er Folge, bei T[olstoi] ist er nur Ursache. Schlußfolgerungen [837] hieraus. Wieviel Land braucht der Mensch? Drei Arschin. Haltung gegenüber Eroberern. Gegenüber Ausbeutern. Der „Zulu“. „R[eife] Äh[ren]“, S. 220. 5 Sein Aufruf an die Arbeiter. 1* Schreckliche Naivität dann wird der Tod anklopfen.“ („Briefe an einen Gegner. Erster Brief“; Sämtl. Werke, Bd. XVII, S. 372. [A. I. Herzen, Ausgewählte philosophische Schriften, Moskau 1949, S. 571, deutsch.]) Red. L. N. An einer anderen Stelle: „Unsere zehn Gebote, unser bürgerlicher Katechismus sind im Sozialismus enthalten ... der Sozialismus, wie das Mädchen im Evangelium, ist nicht tot, sondern er schläft.“ (Ebenda, S. 561, im zweiten Brief an einen Reisenden, Frühjahr 1865.) Sämtl. Werke, Bd. XVIII, S. 114/115. Red. L. N. 1* Über diese Frage findet man nähere Einzelheiten im Text des Vortrags; S. 822 bis 832. 2 Am Rande steht noch, zweimal unterstrichen: „Nr. 3. Eher seinen Materialismus.“ Red. L. N. 3 In diesen Auszug, „Die Materie“, hat Plechanow folgende Stelle aus dem Sammelband „Reife Ähren“ aufgenommen: „Die Materie ist die Grenze des Geistes. Das wahre Leben aber ist die Aufhebung dieser Grenze. Hat man das begriffen, dann versteht man zugleich auch das wahre Wesen der Wahrheit. Jenes Wesen, das dem Menschen das Bewußtsein des ewigen Lebens gibt. Die Materialisten halten die Grenze für das wahre Leben“ (S. 95). Red. L. N. 4* Gemeint sind die Worte Diderots über die Willensfreiheit, die von Plechanow bereits im Jahre 1896 in dem Aufsatz „Zur Verteidigung des ökonomischen Materialismus“ erläutert wurden: „die Illusion eines Wesens, das sich als Ursache, nicht aber als Folge erkennt“. Diese schöne Definition Diderots ist anwendbar auf den Einzelmenschen wie auch auf den Gesellschaftsmenschen, wie Marx sich ausdrückt. 5 [Das Zitat über den Zulu aus dem Sammelband „Reife Ähren“ hat Plechanow in seinem Aufsatz „Verwirrung der Begriffe“ angeführt; siehe S. 752/753.] 3

OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 22.07.2013<br />

entwickelnd, sagt T[olstoi], daß ein anständiger Mensch nicht nur kein Kalb, keinen Hund<br />

und kein Huhn, sondern auch keinen Menschen quält. Verzicht auf Fleischnahrung. Er widerlegt<br />

den Gedanken, daß das Gebot, dem Übel nicht zu widerstreben, der Natur des Menschen<br />

widerspricht. Siehe Auszug Nr. 3. 1 Ein solches Leben ist wirklich kein Hirngespinst, sondern<br />

Wirklichkeit. Aber das ist nicht wichtig. Wichtig ist die Haltung T[olstois]. Woher kommt<br />

dieses widernatürliche Streben, Böses zu tun? Es wird hervorgerufen durch die schlechte<br />

Einrichtung der menschlichen Gesellschaft. Unsere Gesellschaft ist so schlecht eingerichtet,<br />

daß das, was für einen Menschen gut ist, nur durch die Leiden anderer Menschen erzielt wird.<br />

Wer wird in den Gerichten abgeurteilt? Verbrecher. Was ist ein Verbrechen? Eine Verletzung<br />

der gegebenen Norm (des Eigent[ums] u. a.). Der Richter – wie auch der Henker – sind vorwiegend<br />

Bewahrer. So erscheint T[olstoi] die Frage der Gerichte. Beachten Sie das, und Sie<br />

werden seine Verwunderung darüber verstehen, daß die Revolutionäre – die er als die einzigen<br />

gläubigen Menschen unserer [835] Zeit bezeichnet – ihm um keinen Preis beistimmen<br />

wollen. Unter Beschränkung auf das Dargelegte muß man zugeben, daß die Revolutionäre –<br />

d. h. eigentlich die Sozialisten – mit T[olstoi] übereinstimmen müßten. Ist das richtig? Das ist<br />

bis zu dem Grade richtig, als die Sozialisten tatsächlich mit Tolstoi übereinstimmen.<br />

Ich wiederhole: unter Beschränkung auf das Dargelegte, in den Grenzen dessen, was<br />

T[olstoi] über die Gerichte sagt. Zum Beweise will ich mich gerade auf H[erzen] berufen,<br />

dessen Name im Titel meines Vortrags neben dem T[olstois] steht.<br />

‹„Im Vorbeifahren“ 2* . Disput mit Samarin 3* , aber vorher möchte ich zur Vermeidung von<br />

Mißverständnissen noch bemerken, daß sich die Lehre vom Verzicht auf Widerstand gegen<br />

das Böse bei T[olstoi] nicht auf die Worte beschränkt: „Richtet nicht!“<br />

Er sagt auch: „Führt nicht Krieg!“ Aber das ist ein spezieller Fall der allgemeinen Regel.<br />

Hätten die Italiener niemand gerichtet, dann hätten sie auch die Türken nicht durch ein<br />

Schemjak-Urteil gerichtet und wären folglich auch nicht über Tripolis hergefallen. Aber im<br />

höchsten Grade bemerkenswert ist die T[olstoische] Interpretation des Gebotes der Feindesliebe.<br />

Der Feind – das ist der Fremdländische. Ich bitte Sie, das zu beachten.› 4<br />

Und nun zu H[erzen]. Er ist Sozialist. Auszüge. 5 Disput mit Samarin. „Anhäufung von Atoblick<br />

der Hinrichtung von Menschen durch Menschenhand wie durch Spießrutenlaufen, Guillotine und Galgen.“<br />

(„Mein Glaube“, Berlin 1902, S. 36; in der Moskauer Ausgabe von 1913 fehlt diese Stelle.) Red. L. N.<br />

1 Wir bringen Auszug Nr. 3:<br />

„Man braucht nur für einen Augenblick den Gedanken aufzugeben, daß die Organisation – die gesellschaftliche<br />

Organisation (G. P.) –‚ die gegenwärtig besteht und von Menschen gemacht ist, die allerbeste gesellschaftliche<br />

Organisation des Lebens ist, und sofort richtet sich der Einwand, daß die Lehre Christi der Natur des Menschen<br />

widerspreche, gegen die, die diesen Einwand vorbringen.“ Red. L. N.<br />

2* Plechanow meint das Bruchstück „Im Vorbeifahren“ von Herzen, wo dieser von den Gerichten und von den<br />

Strafen spricht. (Herzen, Sämtliche Werke, herausg. von M. K. Lemke, Bd. VII, S. 465-467.)<br />

3* Das Wesen des Streites Herzens mit Samarin wird von Plechanow ausführlich dargelegt in dem Text des<br />

unveröffentlichten Vortrags (siehe S. 822-832).<br />

4 Der ganze eingeklammerte Absatz ist im Manuskript durchgestrichen. Red. L. N.<br />

5 Wir bringen den im Archiv aufbewahrten Auszug, der die Überschrift „Herzen und der Sozialismus“ trägt und<br />

auf zwei Seiten eines Blattes geschrieben ist:<br />

„Herzen und der Sozialismus“ („Kolokol“ Nr. 191, 15. November 1864).<br />

„Ich bin nicht erst seit gestern Sozialist. Vor dreißig Jahren hat mir Nikolai Pawlowitsch den Titel eines Sozialisten<br />

verliehen – celà commence à compter [damit beginnt die Rechnung]. Zwanzig Jahre später habe ich seinen<br />

Sohn in dem Brief, den Sie kennen, daran erinnert, und weitere zehn Jahre später sage ich Ihnen, daß ich aus der<br />

allgemeinen Impasse (d. h. Sackgasse) der gebildeten Welt keinen anderen Ausweg sehe als greisenhaftes Absterben<br />

oder eine soziale Umwälzung, ob eine jähe gewaltsame oder eine allmählich ansteigende, aus dem Leben<br />

des Volkes herauswachsende oder eine durch das theoretische Denken in dieses hineingetragene, ist dabei<br />

gleichgültig. Man kommt um diese Frage nicht herum, sie kann nicht veralten, sie kann nicht von der Tagesordnung<br />

verschwinden, sie kann durch andere Fragen beiseite geschoben oder verdeckt werden – aber sie ist da wie<br />

eine verborgene Krankheit, und wenn sie nicht eines Tages, da man es am wenigsten erwartet, ans Tor klopft,<br />

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