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erschien nennen menschenähnlichen

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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 22.07.2013<br />

Kämpfer nicht überzeugen – schon im Hinblick auf den unbestreitbaren Umstand, der<br />

Tolstoi, wie es scheint, völlig unbekannt geblieben ist –‚ daß das Verbrechertum und folglich<br />

auch das in ihm enthaltene Übel mit der Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse<br />

zunimmt oder geringer wird. Wenn wir die gesellschaftliche Ordnung, indem wir dem Übel<br />

gewaltsam entgegentreten, so verändern, daß sich ein bedeutender Rückgang der Kriminalität<br />

ergibt, so kann es sich zeigen, daß wir vermittels eines zwar unzweifelhaften, aber geringeren<br />

Übels ein viel größeres Übel beseitigt haben. Mit anderen Worten: aus Bitterkeit wird, nach<br />

einem bekannten Bibelspruch, Süße, aus dem Übel wird das Gute erzeugt. Zu solchen<br />

Schlußfolgerungen konnte sich die primitive Kriminalarithmetik Tolstois niemals erheben,<br />

aber ihre Unvermeidlichkeit konnte Herzen auf seinem sozialen Standpunkt nicht verborgen<br />

bleiben.<br />

Herzen war niemals ein Apologet der Gewalt für die Gewalt. Und solche Apologeten sind<br />

unter Menschen seiner Richtung auch nicht möglich. In seiner Jugend schwärmte er unter<br />

dem Einfluß seines „französischen“ Lehrers, des Terroristen Bouchotte aus Metz, voller Begeisterung<br />

für den düsteren Heroismus der Terroristen des Jahres 1793. Später, namentlich<br />

unter dem Einfluß der Ereignisse von 1848, wurde er zum bewußten Anhänger eines friedlichen<br />

Vorgehens. Im „Kolokol“ sprach er das vor der damaligen russischen Jugend wiederholt<br />

und entsprechend seiner Gewohnheit ganz offen aus. Bereits in der zweiten Nummer dieser<br />

Zeitschrift (1. Aug. 1857) schrieb er, daß er den Weg der friedlichen Entwicklung von ganzem<br />

Herzen dem Weg der blutigen Entwicklung vorziehe. Aber er stand zu fest auf dem Boden<br />

des Sozialismus, und er hatte sein logisches Denkvermögen zu gut in der harten Schule<br />

der Hegelschen Philosophie gestählt, als daß er zu einem Doktrinär der friedlichen Entwicklung<br />

um jeden Preis geworden wäre. In derselben 2. Nummer des „Kolokol“ fügt er, nach<br />

seiner Erklärung, aufrichtig für eine friedliche Entwicklung einzutreten, hinzu, daß er zugleich<br />

die stürmischste und ungehemmteste Entwicklung dem Starrezustand des status quo<br />

[der bestehende Zustand] unter Nikolaus vorziehe. Man darf wohl annehmen, daß er auch<br />

jetzt nicht an-[830]stehen würde, diesen Satz zu wiederholen, wobei er diesmal unter dem<br />

Stillstand des status quo unter Nikolaus jenen Stillstand verstände, an dem der Regierung<br />

Nikolaus’ II. so viel gelegen ist. Allein, wir wollen uns nicht auf Vermutungen einlassen. Wir<br />

wollen uns auf das beschränken, was wir sicher wissen. Und was wir zum Beispiel wissen, ist<br />

folgendes.<br />

In Nummer 97 des „Kolokol“ (1. Mai 1861), in einer kleinen Notiz, die dem Gedenken des<br />

russischen Obersten Reitern gewidmet war, der sich in Warschau erschossen hatte, weil er<br />

sich an der Niederwerfung des polnischen Aufstandes nicht beteiligen wollte, schrieb Herzen:<br />

„Der Oberst Reitern hat sich [in Warschau] erschossen, [um nicht bei dieser Henkerarbeit<br />

mithelfen zu müssen. Friede seiner Asche, er ist ein Held, aber wozu diese todbringende Kugel,<br />

gerichtet gegen eine reine Brust? Wenn man schon jemand erschießen will, dann erschießt<br />

man doch lieber jene Generale, die auf Unbewaffnete schießen lassen. Zwei bis drei<br />

Exempel werden einer Unmasse von Schurken Einhalt gebieten. Und was wird dann sein?<br />

Nichts Schlimmeres als der Tod Reiterns].“ 1<br />

Hier beurteilt er die Dinge, so kann man wohl sagen, wie ein russischer Terrorist der folgenden<br />

Zeit. Indes, auch diese Argumentation machte ihn weder zu einem Terroristen noch zu<br />

einem blutdürstigen Menschen – was ihm Samarin gern vorgeworfen hätte –‚ sondern er<br />

bleibt human. Unsere Terroristen sind durchaus humane Menschen. Mehr als zwei Jahre später<br />

schrieb er in dem Artikel „Journalisten und Terroristen“ („Kolokol“ Nr. 141 vom 15. Au-<br />

1 Der Auszug ist in vollem Wortlaut der Notiz „Reitern“ entnommen; „Kolokol“ Nr. 97 vom 1. Mai 1861 (Ges.<br />

Werke, herausgeg. von M. K. Lemke, Bd. XI, S. 89). Die Red.<br />

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