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erschien nennen menschenähnlichen

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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 22.07.2013<br />

richtlicher Raub des Arbeitsverdienstes und Zwangsarbeit der Schuldigen, das alles sind körperliche<br />

Strafen, und sie können nur durch eine neue Gesellschaftsordnung ersetzt werden...“<br />

1<br />

Sie sehen hieraus, daß es sich bei H[erzen] wirklich nicht nur um Todesurteile oder Verbannungen<br />

wegen politischer Vergehen handelte und daß sich seine Neigung, die Angeklagten<br />

„freizusprechen“, statt sie für schuldig zu „erkennen“, nicht mit politischen Sympathien erklären<br />

läßt. Hier handelt es sich nicht um politische Sympathien – oder nicht einzig um politische<br />

–‚ sondern um die sozialen Ansichten Herzens.<br />

Es dürfte schwerfallen, die eine Ansicht zu bestreiten, daß Kerkerstrafen, Auspeitschungen,<br />

Geldstrafen – daß all das nur verschiedene Formen der Körperstrafe sind, wenn man berücksichtigt,<br />

daß alle diese verschiedenen Arten der Bestrafung den Verbrecher zwingen, entweder<br />

zu leiden oder auf gewisse Lebensgüter zu verzichten oder schließlich gewisse Handlungen<br />

zu begehen. Und der Zwang stützt sich schließlich immer auf die physische Kraft. Das<br />

jus puniendi [Strafrecht] beruhte immer und überall auf Gewalt. Das ist eine unbestreitbare<br />

Wahrheit. Und diese Gewalt lehnt Herzen ab. Er wendet sich entschieden gegen sie und beruft<br />

sich auf die Sozialisten Owen und Fourier. 2* Er bestreitet durchaus nicht das Vorhandensein<br />

jenes sozialen Übels, das als Verbrechertum bezeichnet wird. Aber er will es nicht gewaltsam<br />

bekämpfen. Er wendet sich gegen die Strafe, fast mit den gleichen Worten wie<br />

Tolstoi, und folglich auch gegen die Gerichtsurteile. Es ergibt sich, daß Herzen ebenfalls an<br />

der Lehre: „Richtet nicht!“ festhielt, daß auch er dafür war, sich nicht zu „widersetzen“. Soll<br />

das heißen, daß er schon vor Tolstoi Tolstojaner gewesen ist? Nein, das nicht! Das soll nur<br />

heißen, daß er Sozialist gewesen ist. Die von mir zitierten Stellen aus den Briefen Herzens an<br />

Samarin sind etwa fünfzehn Jahre vor Tolstois Betrachtungen über die Gerichte, über das<br />

Übel und den Verzicht auf Widerstand gegen das Übel geschrieben worden. Es ist klar, daß<br />

nicht Herzen seine Ideen von Tolstoi entlehnt hat, sondern [825] Tolstoi vielmehr von Herzen,<br />

oder, richtiger gesagt, von den Sozialisten. Er legt sich nur nicht Rechenschaft darüber<br />

ab. Er glaubt sie im Evangelium gefunden zu haben. Die religiösen Menschen haben, einer<br />

Bemerkung Herzens zufolge, einen Boden unter den Füßen und einen anderen über dem<br />

Kopf, und sie ziehen es vor, sich auf diesen letzteren zu stützen. Darum erscheinen ihnen die<br />

Dinge auf der Erde auf den Kopf gestellt. Tolstoi erklärte gewisse Gedanken im Evangelium<br />

unter dem Einfluß der großen sozialen Ideen unserer Zeit (wohlgemerkt). 3<br />

Die Lehre des Verzichts auf Widerstand ist in den Worten: „Richtet nicht!“ nicht erschöpfend<br />

ausgesprochen. Es finden sich auch die Worte: „Führt nicht Krieg!“ Das ist ein Fall spezieller<br />

Anwendung einer allgemeinen Idee. Charakteristisch ist jedoch, wie Tolstoi diese Idee aus<br />

dem Evangelium herausgelesen hat. Der Feind ist der Bewohner des fremden Landes; der<br />

Nächste ist der eigene Landsmann. Nicht alle legen das Evangelium so aus. Die Tolstoische<br />

Auslegung ist scharfsinnig und richtig. Wie wurde er darauf gebracht? Durch die Internatio-<br />

1 [„Briefe an einen Gegner. Erster Brief“; Zit. Werk, S. 576/577, deutsch.]<br />

2* Über Owen und Fourier sagt Herzen in dem gleichen ersten „Brief an den Gegner“ folgendes: „Der Materialist<br />

Owen suchte weder nach Verbrechern noch nach Strafen, noch nach Gleichungen für Ketten und Prügel – er dachte<br />

darüber nach, wie man Lebensbedingungen schaffen könnte, die die Menschen nicht mehr zu Verbrechen treiben.<br />

Er begann mit der Erziehung; erschrocken darüber, daß die Kinder unbestraft blieben, schlossen die Pietisten<br />

seine Schule.<br />

Fourier versuchte, die Leidenschaften selbst, die in ihrem ungehemmten und zugleich beengten Zustand alle verbrecherischen<br />

Ausbrüche und Anomalitäten verursachen, für die Gesellschaft nutzbar zu machen; man bemerkte an<br />

ihm nur das, was er Komisches hat...“ (Herzen, Ausgewählte philosophische Schriften, S. 577, deutsch.)<br />

3 Mit Bleistift ist noch hinzugefügt: „H[erzen] als Sozialist. Siehe ‚Auszug‘.“ Siehe diesen Auszug im später folgenden<br />

Text der Disposition zum Vortrag „Tolstoi und Herzen“, S. 835. Die Red.<br />

3

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