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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 11.07.2013 Regelung ihres Verbrauchs, Vermögensansammlung, Übertragung der Kulturerrungenschaften von Geschlecht zu Geschlecht.“ 1 Aber in der Lebensweise der primitivsten Stämme sind nur ganz schwache Ansätze dieser Merkmale anzutreffen. „Streicht man aus dem Leben des Buschmanns oder Wedda den Feuergebrauch, Bogen und Pfeil, so bleibt nichts mehr übrig als ein Leben, das in der individuellen Nahrungssuche aufgeht. Jeder einzelne ist hierbei ganz auf sich selbst gestellt. Nackt und [80] waffenlos durchstreift er mit seinesgleichen, wie das Standwild, ein enges Revier... Jeder und jede verzehrt roh, was sie mit den Händen erhaschen oder mit den Nägeln aus dem Boden scharren: niedere Tiere, Wurzeln, Früchte. Bald schart man sich zu kleinen Rudeln oder größeren Herden zusammen; bald trennt man sich wieder, je nachdem die Weide oder der Jagdgrund ergiebig ist. Aber jene Vereinigungen werden nicht zu Gemeinschaften; sie erleichtern dem einzelnen nicht die Existenz. Es mag dieses Bild nicht sehr anmuten; aber wir sind durch das aus der vergleichenden Beobachtung gewonnene Ergebnis geradezu gezwungen, es zu konstruieren. Es ist daran auch kein Zug erfunden. Wir haben aus dem Leben der niedrigst stehenden Stämme nur das hinweggenommen, was anerkanntermaßen kulturell ist: Waffen- und Feuergebrauch.“ 2 Man muß gestehen, daß dieses Bild der Darstellung des urkommunistischen Wirtschaftslebens gar nicht ähnelt, wie es sich in unserem Geist unter dem Einfluß der Arbeiten M. M. Kowalewskis und N. I. Siebers abzeichnet. Ich weiß nicht, welches der zwei Bilder Ihnen „gefällt“, geehrter Herr; aber das ist eine wenig interessante Frage. Es handelt sich nicht darum, was Ihnen oder mir oder einer dritten beliebigen Person gefällt, sondern darum, ob die von Bücher entworfene Darstellung richtig ist, ob sie mit der Wirklichkeit übereinstimmt, ob sie dem von der Wissenschaft gesammelten empirischen Material entspricht. Diese Fragen sind nicht nur für die Geschichte der ökonomischen Entwicklung wichtig; sie haben ungeheure Bedeutung für jeden, der diese oder jene Seite der Kultur der Urzeit untersucht. In der Tat, die Kunst wird nicht umsonst eine Widerspiegelung des Lebens genannt. Erweist sich der „Wilde“ als ein solcher Individualist, wie ihn Bücher darstellt, so muß seine Kunst sicherlich die ihm eigenen Züge des Individualismus nachbilden. Darüber hinaus ist Kunst die Widerspiegelung vorwiegend des gesellschaftlichen Lebens; und wenn Sie den Wilden mit den Augen Büchers betrachten, werden Sie mich völlig konsequenterweise darauf aufmerksam machen, daß man da nicht von Kunst sprechen kann, wo die „individuelle Nahrungssuche“ vorherrscht und wo unter den Menschen fast keine Gemeinschaftsarbeit besteht. Zu all diesem ist noch folgendes hinzuzufügen: Bücher gehört zweifellos zu den denkenden Gelehrten, deren Zahl leider nicht so groß ist, wie es wünschenswert wäre; und deshalb verdienen seine Ansichten ernste Beachtung – selbst wenn er irrt. Betrachten wir das von ihm entworfene Bild der Lebensweise des Wilden etwas näher. [81] Bücher hat es gezeichnet, indem er auf Fakten aufbaute, die sich auf die Lebensweise der sogenannten niederen Jägerstämme beziehen, und nachdem er aus diesen Fakten die Kennzeichen der Kultur beseitigt hat: den Gebrauch der Waffe und des Feuers. Damit hat er selbst uns den Weg gewiesen, den wir bei der Erörterung seines Bildes zu gehen haben. Namentlich müssen wir zunächst das von ihm verwandte empirische Material prüfen, d. h., wir müssen sehn, wie die niederen Jägerstämme wirklich leben, und dann die wahrscheinlichste Annahme bezüglich dessen auswählen, wie sie in jener weit zurückliegenden Zeit gelebt ha- 1 Siehe [Karl Bücher,] „Vier Skizzen aus dem Gebiete der Volkswirtschaft“, Aufsätze aus dem Buch „Die Entstehung der Volkswirtschaft“, Petersburg 1898, S. 91. [Obiger Titel, Erste Sammlung von Vorträgen und Aufsätzen, Tübingen 1922, S. 26.] 2 Ebenda, S. 91/92. [Karl Bücher, zit. Werk, S. 26/27.] 28

OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 11.07.2013 ben, als ihnen der Gebrauch des Feuers und der Waffe noch unbekannt war. Zuerst die Tatsachen und dann die Hypothese. Bücher beruft sich auf die Buschmänner und auf die Weddas auf Ceylon. Es ergibt sich die Frage, ob man sagen kann, die Lebensweise dieser Stämme, die zweifellos zu den niedrigsten Jägerstämmen gehören, sei aller Kennzeichen einer Wirtschaft bar, und das Individuum sei bei ihnen ganz und gar auf seine eigenen Kräfte angewiesen. Ich behaupte, man kann das nicht. Nehmen wir zunächst die Buschmänner. Bekanntlich schließen sie sich nicht selten zu Parteien von 200 bis 300 Menschen zusammen, um gemeinsam zu jagen. Eine solche Jagd, die ganz unzweifelhaft ein Zusammenschluß von Menschen zu produktiven Zwecken ist, „setzt“ gleichzeitig sowohl Arbeit als auch zweckmäßige Zeiteinteilung „voraus“, da die Buschmänner in diesen Fällen Zäune bauen müssen, die sich manchmal über mehrere Meilen hinziehen, tiefe Gräben ausheben und deren Sohle mit zugespitzten Pfählen besetzen usw. 1 Selbstverständlich geschieht das alles nicht nur, um den Anforderungen der gegebenen Zeit zu genügen, sondern auch im Interesse der Zukunft. „Man hat diesen Wilden jeden ökonomischen Sinn abgesprochen“, sagt Theophil Hahn, „und wo von ihnen in Büchern die Rede ist, schreibt der eine ohne Kritik die Irrtümer des anderen ab. Freilich verstehen sie sich auf keine Nationalökonomie und Staatswirtschaft, doch sind sie darauf bedacht, für ungünstigere Zeiten Vorsorge zu treffen.“ 2 Und in der Tat: aus dem Fleisch der getöteten Tiere legen sie Vorräte an und verbergen sie in Höhlen oder überlassen sie in gut überdeckten Schluchten der Aufsicht von Greisen, die nicht mehr fähig sind, an der Jagd unmittelbar teilzunehmen. 3 Auch von den Zwiebelwurzeln mancher Pflanzen werden Vorräte angelegt. Diese Zwiebeln, in ungeheurer Menge [82] gesammelt, bewahren die Buschmänner in Vogelnestern auf. 4 Schließlich sind auch die von den Buschmännern angelegten Vorräte an Heuschrecken bekannt, für deren Fang sie ebenfalls tiefe und lange Gräben ausheben. 5 Das zeigt, wie sehr sich Bücher, zusammen mit Lippert, irrt, wenn er behauptet, bei den niederen Jägerstämmen denke niemand an das Sammeln von Vorräten. 6 Nach Beendigung der gemeinsamen Jagd lösen sich die großen Jägergruppen der Buschmänner allerdings in kleine Gruppen auf. Aber erstens ist es eine Sache, Mitglied einer kleinen Gruppe, und eine andere Sache, auf seine eigenen Kräfte angewiesen zu sein. Zweitens lösen die Buschmänner die gegenseitige Verbindung auch dann nicht auf, wenn sie nach verschiedenen Seiten auseinandergehen. Die Betschuaner erzählten Lichtenstein, daß die Buschmänner einander beständig Feuersignale geben und auf diese Weise alles erfahren, was im weitesten Umkreise geschieht, viel besser als alle anderen ihnen benachbarten Stämme, die in kultureller Beziehung viel höher stehen als sie. 7 Ich meine, daß ähnliche Gewohnheiten nicht hätten entstehen können, wenn die einzelnen Individuen bei den Buschmännern auf ihre eigenen Kräfte angewiesen gewesen wären und wenn unter ihnen die „individuelle Nahrungssuche“ vorgeherrscht hätte. 1 Vgl. „Die Buschmänner“. Ein Beitrag zur südafrikanischen Völkerkunde von Theophil Hahn; „Globus“, 1870, Nr. 7, S. 105. 2 Ebenda, Nr. 8, S. 120. 3 Ebenda, S. 120. 4 Vgl. „Die Buschmänner“. Ein Beitrag zur südafrikanischen Völkerkunde von Theophil Hahn. „Globus“, 1870, Nr. 8, S. 120. 5 G. Lichtenstein, „Reise im südlichen Afrika in den Jahren 1803, 1804, 1805 und 1806“, Zweiter Teil, S. 74. 6 [Karl Bücher,] „Vier Skizzen“, S. 75, Anmerkung. 7 [G. Lichtenstein,] genanntes Werk, Bd. II, S. 472. Bekanntlich stehen die Feuerländer ebenfalls mittels Feuersignalen miteinander in Verbindung. Siehe Darwin, „Journal of Researches“ etc., London 1839, p. 238. 29

OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 11.07.2013<br />

Regelung ihres Verbrauchs, Vermögensansammlung, Übertragung der Kulturerrungenschaften<br />

von Geschlecht zu Geschlecht.“ 1 Aber in der Lebensweise der primitivsten Stämme sind<br />

nur ganz schwache Ansätze dieser Merkmale anzutreffen. „Streicht man aus dem Leben des<br />

Buschmanns oder Wedda den Feuergebrauch, Bogen und Pfeil, so bleibt nichts mehr übrig<br />

als ein Leben, das in der individuellen Nahrungssuche aufgeht. Jeder einzelne ist hierbei ganz<br />

auf sich selbst gestellt. Nackt und [80] waffenlos durchstreift er mit seinesgleichen, wie das<br />

Standwild, ein enges Revier... Jeder und jede verzehrt roh, was sie mit den Händen erhaschen<br />

oder mit den Nägeln aus dem Boden scharren: niedere Tiere, Wurzeln, Früchte. Bald schart<br />

man sich zu kleinen Rudeln oder größeren Herden zusammen; bald trennt man sich wieder, je<br />

nachdem die Weide oder der Jagdgrund ergiebig ist. Aber jene Vereinigungen werden nicht<br />

zu Gemeinschaften; sie erleichtern dem einzelnen nicht die Existenz.<br />

Es mag dieses Bild nicht sehr anmuten; aber wir sind durch das aus der vergleichenden Beobachtung<br />

gewonnene Ergebnis geradezu gezwungen, es zu konstruieren. Es ist daran auch<br />

kein Zug erfunden. Wir haben aus dem Leben der niedrigst stehenden Stämme nur das hinweggenommen,<br />

was anerkanntermaßen kulturell ist: Waffen- und Feuergebrauch.“ 2<br />

Man muß gestehen, daß dieses Bild der Darstellung des urkommunistischen Wirtschaftslebens<br />

gar nicht ähnelt, wie es sich in unserem Geist unter dem Einfluß der Arbeiten M. M.<br />

Kowalewskis und N. I. Siebers abzeichnet.<br />

Ich weiß nicht, welches der zwei Bilder Ihnen „gefällt“, geehrter Herr; aber das ist eine wenig<br />

interessante Frage. Es handelt sich nicht darum, was Ihnen oder mir oder einer dritten beliebigen<br />

Person gefällt, sondern darum, ob die von Bücher entworfene Darstellung richtig ist, ob<br />

sie mit der Wirklichkeit übereinstimmt, ob sie dem von der Wissenschaft gesammelten empirischen<br />

Material entspricht. Diese Fragen sind nicht nur für die Geschichte der ökonomischen<br />

Entwicklung wichtig; sie haben ungeheure Bedeutung für jeden, der diese oder jene Seite der<br />

Kultur der Urzeit untersucht. In der Tat, die Kunst wird nicht umsonst eine Widerspiegelung<br />

des Lebens genannt. Erweist sich der „Wilde“ als ein solcher Individualist, wie ihn Bücher<br />

darstellt, so muß seine Kunst sicherlich die ihm eigenen Züge des Individualismus nachbilden.<br />

Darüber hinaus ist Kunst die Widerspiegelung vorwiegend des gesellschaftlichen Lebens;<br />

und wenn Sie den Wilden mit den Augen Büchers betrachten, werden Sie mich völlig<br />

konsequenterweise darauf aufmerksam machen, daß man da nicht von Kunst sprechen kann,<br />

wo die „individuelle Nahrungssuche“ vorherrscht und wo unter den Menschen fast keine<br />

Gemeinschaftsarbeit besteht.<br />

Zu all diesem ist noch folgendes hinzuzufügen: Bücher gehört zweifellos zu den denkenden<br />

Gelehrten, deren Zahl leider nicht so groß ist, wie es wünschenswert wäre; und deshalb verdienen<br />

seine Ansichten ernste Beachtung – selbst wenn er irrt.<br />

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[81] Bücher hat es gezeichnet, indem er auf Fakten aufbaute, die sich auf die Lebensweise<br />

der sogenannten niederen Jägerstämme beziehen, und nachdem er aus diesen Fakten die<br />

Kennzeichen der Kultur beseitigt hat: den Gebrauch der Waffe und des Feuers. Damit hat er<br />

selbst uns den Weg gewiesen, den wir bei der Erörterung seines Bildes zu gehen haben. Namentlich<br />

müssen wir zunächst das von ihm verwandte empirische Material prüfen, d. h., wir<br />

müssen sehn, wie die niederen Jägerstämme wirklich leben, und dann die wahrscheinlichste<br />

Annahme bezüglich dessen auswählen, wie sie in jener weit zurückliegenden Zeit gelebt ha-<br />

1 Siehe [Karl Bücher,] „Vier Skizzen aus dem Gebiete der Volkswirtschaft“, Aufsätze aus dem Buch „Die Entstehung<br />

der Volkswirtschaft“, Petersburg 1898, S. 91. [Obiger Titel, Erste Sammlung von Vorträgen und Aufsätzen,<br />

Tübingen 1922, S. 26.]<br />

2 Ebenda, S. 91/92. [Karl Bücher, zit. Werk, S. 26/27.]<br />

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