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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 22.07.2013<br />

gleichen, wecken in der Seele des Lesers das heilige Streben, der reaktionären Gewalt die<br />

revolutionäre Macht entgegenzusetzen. Er rät, man solle sich mit der Waffe der Kritik begnügen,<br />

[803] aber seine vorzüglichen Seiten rechtfertigen auch die schärfste Kritik der Waffen. 1<br />

Das ist es – und allein das –‚ was uns an der Predigt des Grafen L. Tolstoi teuer ist.<br />

Aber die genannten vorzüglichen Werke sind nur ein Bruchteil dessen, was er während der<br />

letzten 30 Jahre geschrieben hat. Alles übrige – sofern es von seiner moralisch-religiösen<br />

Tendenz durchsetzt ist – läuft allen progressiven Bestrebungen unseres Jahrhunderts zuwider;<br />

alles übrige gehört zu einer Ideologie, die mit der Ideologie des Proletariats unvereinbar ist.<br />

Wie verwunderlich aber! Eben weil alles übrige zu einer Ideologie gehört, die mit der des<br />

klassenbewußten Proletariats völlig unvereinbar ist, hatten die Ideologen der herrschenden<br />

Klassen die moralische Möglichkeit, sich vor der Predigt des Grafen L. Tolstoi zu „verneigen“.<br />

Gewiß, seine Predigt brandmarkte ihre Fehler. Aber das schadete nichts. Haben doch<br />

auch viele christliche Prediger die Fehler der herrschenden Klassen gebrandmarkt, was das<br />

Christentum nicht hinderte, die Religion der modernen Klassengesellschaft zu bleiben. Die<br />

Hauptsache ist, daß Tolstoi rät, dem Übel nicht gewaltsam zu widerstreben. Wenn sich die<br />

französische Deputiertenkammer vor Tolstoi „verneigte“ – fast am gleichen Tage, an dem sie<br />

sich vor Briand wegen seiner energischen Abrechnung mit den Streikenden „verneigte“ –‚<br />

dann einfach deshalb, weil die Predigt Tolstois die Ausbeuter überhaupt nicht schreckte. Sie<br />

hatten sich vor ihm keinesfalls zu fürchten, sondern, im Gegenteil, allen Grund, seine Predigt<br />

zu begrüßen, weil sie ihnen die günstige Gelegenheit bot, sich ohne jedes Risiko vor ihr zu<br />

„verneigen“ und sich damit von einer guten Seite zu zeigen. Selbstverständlich: als die Bourgeoisie<br />

selbst noch revolutionär gesinnt war, hätte sie sich nie und nimmer vor einem Prediger<br />

vom Schlage Tolstois „verneigt“. Damals wären an die Stelle eines solchen Predigers<br />

Ideologen aus den eigenen Reihen getreten. Jetzt haben sich die Umstände jedoch geändert,<br />

jetzt geht die Bourgeoisie zurück, und jetzt kann jede Geistesströmung im voraus auf ihre<br />

Sympathie rechnen, die vom Geist des Konservatismus durchdrungen ist; und erst recht eine<br />

Lehre, deren ganzes praktisches Wesen in dem „Verzicht auf den gewaltsamen Kampf [804]<br />

gegen das Böse“ besteht. Die Bourgeoisie (und mit ihr natürlich auch die ganze verbürgerlichte<br />

Aristokratie unserer Tage) begreift oder ahnt zumindest, daß das Hauptübel der heutigen<br />

Zeit eben ihre Ausbeutung des Proletariats ist. Wie sollte man sich da nicht vor Leuten<br />

„verneigen“, die immer wieder versichern: „Widerstrebt dem Bösen niemals gewaltsam“?<br />

Würde man den Kater aus der Krylowschen Fabel, der ein Hühnchen gestohlen hat, gefragt<br />

haben, wen er wohl für den besten „Lebenslehrer“ halte, dann hätte er sich sicherlich vor dem<br />

Koch „verneigt“, der sich, ohne dem Übel Gewalt entgegenzusetzen, auf die bekannte Äußerung<br />

beschränkte:<br />

Schämst du dich nicht vor den Wänden, wenn schon nicht vor Leuten? ...<br />

Katerchen Waska, du Schelm, Katerchen Waska, du Dieb... usw.<br />

Einige Nachfolger Tolstois dünken sich aus dem sehr schwachen Grund die größten Revolutionäre,<br />

weil sie den Militärdienst verweigern. Aber die bestehende Ordnung würde erstens<br />

an Festigkeit gewinnen, träten in die Armee immer nur Leute ein, die jederzeit bereit sind, sie<br />

mit Waffengewalt zu verteidigen; zweitens ist der Hauptfeind des Militarismus das Klassen-<br />

1 In Lassalles Drama „Franz von Sickingen“ sagt Ulrich von Hutten zum Kaplan Ecalampadius: „Ohne Grund<br />

denkt ihr so schlecht vom Schwert! ... Durch das Schwert wurde Tarquinius aus Rom vertrieben, durch das<br />

Schwert wurde Xerxes aus Hellas verjagt, wurden Wissenschaft und Kunst gerettet, mit dem Schwert kämpften<br />

David, Simson und Gideon. Mit dem Schwert wurde alles Große in der Geschichte vollbracht und letzten Endes<br />

wird sie ihm alle großen Ereignisse verdanken, die in ihr je geschehen werden!“ (3. Akt, 3. Auftritt.) Das russische<br />

Proletariat ist natürlich der gleichen Meinung wie Ulrich von Hutten, nicht aber der Meinung des Kaplans (Pfaffen)<br />

Ecalampadius.<br />

13

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