18.09.2015 Views

erschien nennen menschenähnlichen

Zur PDF-Datei... - Max Stirner Archiv Leipzig

Zur PDF-Datei... - Max Stirner Archiv Leipzig

SHOW MORE
SHOW LESS
  • No tags were found...

Create successful ePaper yourself

Turn your PDF publications into a flip-book with our unique Google optimized e-Paper software.

OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 22.07.2013<br />

‚Mach’s meinetwegen, wo du willst‘, schrie Dmitri in demselben wütenden Ton fort. ‚Waska!<br />

Machst du denn das Bett nun nicht zurecht?‘<br />

Aber Waska begriff sichtlich nicht, was man von ihm wollte, und stand wie versteinert da.<br />

‚Nun, was gibt’s? Mach, mach! Waska! Waska!‘ schrie Dmitri, als sei er plötzlich wahnsinnig<br />

geworden.<br />

Aber Waska begriff noch immer nicht und rührte sich, ganz eingeschüchtert, nicht vom<br />

Fleck.<br />

‚Du hast dir also geschworen, mich um..., mich rasend zu machen?!‘<br />

Dmitri sprang vom Stuhle auf, lief auf den Jungen zu und ließ seine Fäuste auf den Kopf<br />

Waskas eindonnern, der Hals über Kopf aus dem Zimmer stürzte. An der Tür blieb Dmitri<br />

stehen und wandte sich mir zu: der Ausdruck der Raserei und Grausamkeit, der einen Augenblick<br />

lang über sein Gesicht gezogen war, verwandelte sich in einen so sanften, verlegenen,<br />

liebevollen und kindlichen Ausdruck, daß er mir leid tat und – wie sehr ich mich auch abwenden<br />

wollte, ich konnte es nicht übers Herz bringen.“<br />

Nach diesem Vorfall begann Dmitri inbrünstig und lange zu beten; und nach dem Gebet fand<br />

zwischen den Freunden folgendes Gespräch statt:<br />

„‚Und warum sagst du mir nicht‘, sagte er (Dmitri. G. P.), ‚daß ich häßlich gehandelt habe?<br />

Du hast doch eben darüber nachgedacht, ja?‘<br />

‚Ja‘, antwortete ich, obgleich ich auch über anderes nachdachte; aber es war mir, als hätte ich<br />

tatsächlich darüber nachgedacht. ‚Ja, das war wirklich nicht sehr schön, ich hätte es nicht von<br />

dir erwartet.‘<br />

‚Nun, und wie steht’s mit deinen Zähnen?‘ fügte ich hinzu.<br />

‚Besser! Ach, Nikolenka, mein Freund!‘ begann Dmitri zart, und mir schien, Tränen standen<br />

in seinen glänzenden Augen. ‚Ich weiß und fühle, wie schlecht ich bin, und Gott sieht, wie<br />

ich wünsche und ihn anflehe, er möge mich bessern; aber was soll ich tun, wenn ich so einen<br />

unglücklichen und unausstehlichen Charakter habe? Was soll ich da machen? Ich gebe mir<br />

alle Mühe, mich zu beherrschen, mich zu bessern, aber so von heut auf morgen geht das<br />

nicht, und allein erst recht nicht. Es müßte mich jemand unterstützen, mir dabei helfen.‘“<br />

Über diese bemerkenswerte Szene hat schon Pissarew in seinem Aufsatz „Fehlschläge eines<br />

unreifen Gedankens“ eine Reihe sehr scharfsinniger Bemerkungen gemacht. Er schrieb:<br />

„Offenbar ist Irtenjew von der Verprügelung Waskas nur recht wenig beeindruckt, weil sich<br />

im Augenblick des Vorfalls alle seine Aufmerksam-[794]keit ausschließlich auf das Spiel der<br />

Gesichtsmuskeln Nechljudows richtete. Während er in diesen Muskeln eine rasche Regung<br />

bemerkt, die die tierische Grimasse der Raserei in einen Ausdruck der Reue verwandelt, gerät<br />

das Los Waskas, dessen Gesichtsmuskeln sich zur gleichen Zeit aller Wahrscheinlichkeit<br />

nach auch in starker Bewegung befinden und der auf dem Kopf bestimmt blaue Flecken und<br />

angeschwollene Beulen hat, bei Irtenjew völlig in Vergessenheit. Irtenjew beginnt nun nicht<br />

mit dem Geschlagenen Mitleid zu haben, sondern mit dem, der schlug.“<br />

Der Aufsatz „Das wirksame Mittel“, gewissermaßen das politische Testament des Grafen<br />

Tolstoi, erinnerte mich sowohl an das ergreifende Gespräch Irtenjews mit Nechljudow als<br />

auch an die scharfsinnigen Bemerkungen, die einer der hervorragendsten Vertreter der sechziger<br />

Jahre aus diesem Anlaß geäußert hatte. Was man auch über seinen Individualismus geredet<br />

haben mag, eins steht fest: Pissarew stand ganz auf seiten des Geschlagenen und nicht<br />

auf seiten dessen, der geschlagen hatte. Von Tolstoi, an dem die Bewegung der sechziger<br />

6

Hooray! Your file is uploaded and ready to be published.

Saved successfully!

Ooh no, something went wrong!