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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 22.07.2013<br />

Mittel“ 1* geschrieben hat. Er zeigt da, daß „zur wirksamen Bekämpfung der Todesstrafe in<br />

unserer Zeit kein Einrennen offener Türen vonnöten sei, keine Empörung über die Unsittlichkeit,<br />

Grausamkeit und Sinnlosigkeit der Hinrichtung. Jeder aufrichtige, denkende Mensch<br />

braucht, ganz abgesehen davon, daß er seit seiner Kindheit das sechste Gebot 2* kennt, keinerlei<br />

Erläuterung der Sinnlosigkeit und Unsittlichkeit der Hinrichtungen. Nicht erforderlich<br />

sind auch die Beschreibungen der Greuel der Hinrichtungen selbst.“ Graf Tolstoi, dem der<br />

Standpunkt der praktischen Zweckmäßigkeit gewöhnlich fremd ist, stellt sich hier auf eben<br />

diesen Standpunkt und versucht nachzuweisen, daß die Beschreibung der Greuel der Todesstrafe<br />

darum schädlich sei, daß [792] sie die Zahl der Henkeranwärter verkleinere und die<br />

Regierung deren Dienste infolgedessen höher entlohnen müsse! Deshalb besteht das einzige<br />

erlaubte und wirksame Mittel zur Bekämpfung der Todesstrafe darin, „das man allen Menschen,<br />

insbesondere denen, die über Henker verfügen oder sie verteidigen“, eine richtige<br />

Vorstellung vom Menschen und seinen Beziehungen zu der ihn umgebenden Welt beibringe.<br />

Jetzt kommt es so heraus, daß wir unseren sündigen Körper nicht mehr der erbosten Mutter<br />

hinzuhalten brauchen, die ihr Kind züchtigt: es genügt, sie mit der religiösen Lehre des Grafen<br />

Tolstoi bekannt zu machen.<br />

Es ist wohl kaum noch nötig zu beweisen, daß eine derartig „absolute Konsequenz“ jegliche<br />

Möglichkeit eines „lebendigen Kontaktes“ mit der „Gegenwart“ entschieden ausschaltet.<br />

III<br />

Dem Grafen Tolstoi fiel es nicht ein, sich zu fragen, ob die Gewalt des Peinigers über den<br />

Gepeinigten, des Hinrichtenden über den Hingerichteten nicht auf irgendwelche gesellschaftliche<br />

Verhältnisse zurückzuführen sei, zu deren Beseitigung man zur Gewalt greifen darf und<br />

muß. Er lehnte die Abhängigkeit der Außenwelt der Menschen von äußeren Bedingungen ab.<br />

Das tat er wiederum, weil er in seinem metaphysischen Idealismus „absolut konsequent“ war.<br />

Und nur dank dieser seiner extremen Haltung als Metaphysiker konnte er meinen, der Ausweg<br />

Rußlands aus seiner jetzigen schweren Lage liege lediglich in dem einen „wirksamen<br />

Mittel“: in der Hinlenkung der heutigen Unterdrücker auf den Weg der Wahrheit.<br />

Man sagt, daß nicht selten schon in den Frühwerken Tolstois jene Gedanken im Keim enthalten<br />

sind, aus deren Gesamtheit sich später seine religiöse Sittenlehre bildete. Das stimmt.<br />

Man muß dem noch hinzufügen, daß sich bereits in den Frühwerken Tolstois Szenen finden,<br />

die besonders deutlich jene Art des „Kampfes“ gegen das Böse charakterisieren, wie er ihn<br />

dann in den folgenden dreißig Jahren seines Lebens praktiziert hat.<br />

Hier eine dieser Szenen, vielleicht die bemerkenswerteste. In seinem Werk „Jugendzeit“ (im<br />

Kapitel „Dmitri“) wird eine „Gewaltanwendung“ beschrieben, die sich aus der Frage ergeben<br />

hatte, wo Irtenjew, der im Landhause der Nechljudows übernachten wollte, schlafen könnte.<br />

„Ein Bett war für mich noch nicht bereitet; ein Junge, der Diener Dimitris, kam, um ihn zu<br />

fragen, wo ich schlafen solle.<br />

‚Scher dich zum Teufel!‘ schrie Dmitri und stampfte den Fuß auf den Boden. ‚Waska! Waska!<br />

Waska!‘ brüllte er, sobald der Junge draußen [793] war, und seine Stimme wurde von<br />

Mal zu Mal lauter. ‚Waska! Mach mir mein Bett auf dem Fußboden zurecht.‘<br />

‚O nein, es ist besser, ich lege mich auf den Fußboden‘, sagte ich.<br />

1* „Das wirksame Mittel“ – die letzte Schrift Tolstois kurz vor seinem Ableben, wurde nach seinem Tode in der<br />

Zeitung „Retsch“ (13. November 1910) gedruckt; geschrieben in Optina Pustyn – einem Kloster im Kreis Koselsk,<br />

Gouvernement Kaluga, wo sich Tolstoi einen Tag aufhielt, nachdem er Jasnaja Poljana verlassen hatte.<br />

2* Es muß natürlich heißen: das fünfte Gebot („Du sollst nicht töten!“). Offenbar liegt ein Schreibfehler vor, der in<br />

der russischen Ausgabe nicht berücksichtigt worden ist.<br />

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