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erschien nennen menschenähnlichen

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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 11.07.2013<br />

Taine entgegengetreten sind. Ich weiß nicht, was Sie von ihren Einwänden halten, aber ich<br />

möchte sagen, daß es keinem von Taines Kritikern gelungen ist, den Satz auch nur zu erschüttern,<br />

auf den sich fast die ganze Wahrheit seiner ästhetischen Theorie zurückführen läßt<br />

und der lautet, daß die Kunst durch die psychische Verfassung der Menschen geschaffen wird<br />

und die psychische Verfassung der Menschen sich je nach ihrer Lage verändert. Ebenso hat<br />

keiner unter ihnen den grundlegenden Widerspruch bemerkt, der die weitere fruchtbare Entwicklung<br />

der Ansichten Taines unmöglich machte, niemand hat bemerkt, daß die Psyche der<br />

Menschen, die durch ihre Lage bestimmt wird, im Sinne seiner Geschichtsauffassung sich<br />

selbst als die letzte Ursache dieser Lage erweist. Warum hat es keiner bemerkt? Weil ihre<br />

eigenen historischen Ansichten durch und durch von diesem Widerspruch durchsetzt waren.<br />

Und was ist dieser Widerspruch? Aus welchen Elementen besteht er? Er besteht aus zwei<br />

Elementen, deren eines idealistische und deren anderes materialistische Geschichtsbetrachtung<br />

heißt. Als Taine sagte, die Psyche der Menschen ändere sich im Gefolge der Veränderung<br />

der Lage der Menschen, war er Materialist; als Taine sagte, die Lage der Menschen<br />

werde durch ihre Psyche bestimmt, wiederholte er die idealistische Ansicht des 18. Jahrhunderts.<br />

Ich brauche kaum hinzuzufügen, daß ihm seine glücklichsten Erörterungen über die<br />

Literatur- und Kunstgeschichte nicht durch die letztere Ansicht eingegeben wurden.<br />

Was folgt nun hieraus? Nun, dieses: Von dem erwähnten Widerspruch, der eine fruchtbare<br />

Entwicklung der scharfsinnigen und tiefen Ansichten der französischen Kunstkritiker verhinderte,<br />

hätte sich nur ein Mensch lösen können, der sich gesagt hätte: Die Kunst jedes Volkes<br />

wird bestimmt durch seine Psyche; seine Psyche ergibt sich aus seiner gesellschaftlichen Lage;<br />

aber seine Lage wird letztlich durch den Zustand der Produktivkräfte und durch die Produktionsverhältnisse<br />

bestimmt. Aber ein Mensch, der das gesagt hätte, hätte eben die materialistische<br />

Geschichtsauffassung vertreten.<br />

Indes, ich merke, daß ich schon längst hätte Schluß machen sollen. Bis zum nächsten Brief!<br />

Verzeihen Sie, falls ich Sie durch die „Enge“ meiner Anschauungen erzürnt haben sollte. Das<br />

nächstemal wird bei mir von der Kunst der primitiven Völker die Rede sein, und ich hoffe, da<br />

schon zu zeigen, daß meine Anschauungen gar nicht so eng sind, wie Sie meinten und wahrscheinlich<br />

noch meinen. 1*<br />

[78]<br />

Zweiter Brief<br />

DIE KUNST BEI DEN PRIMITIVEN VÖLKERN<br />

Sehr geehrter Herr!<br />

Die Kunst jedes Volkes steht, meiner Meinung nach, immer im engsten Kausalzusammenhang<br />

mit seiner Ökonomik. Wenn ich an das Studium der Kunst bei den primitiven Völkern<br />

herangehe, muß ich deshalb zuerst die wichtigsten spezifischen Merkmale des Wirtschaftslebens<br />

der Urzeit darlegen.<br />

Für einen „ökonomischen“ Materialisten ist es im allgemeinen, dem bildlichen Ausdruck eines<br />

gewissen Schriftstellers zufolge, etwas sehr Natürliches, mit der „ökonomischen Saite“ 2*<br />

zu beginnen. Und im vorliegenden Falle wird die Wahl dieser „Saite“ zum Ausgangspunkt<br />

1* Mit diesem Absatz schloß der in der Zeitschrift „Natschalo“ (1899, April, S. 83) abgedruckte Text, und zu<br />

diesem Schluß brachte Plechanow noch eine Anmerkung folgenden Inhalts: „Ebenda will ich die Frage zu lösen<br />

versuchen, weshalb und in welchem Maße die Frau bei den primitiven Jägervölkern auf die Entwicklung der<br />

primitiven Ornamentik keinen Einfluß hat.“<br />

2* Der Ausdruck „ökonomische Saite“ stammt von dem russischen Schriftsteller N. G. Michailowski. Siehe die<br />

Fußnote auf S. 226 des vorliegenden Bandes. S. 78.<br />

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