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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 22.07.2013<br />

„ergänzte“ man bei uns Marx durch Kant, Mach und Bergson. Ich hatte vorausgesagt, daß<br />

man ihn bald auch durch Thomas von Aquino „ergänzen“ werde. Diese meine Voraussage<br />

hat sich vorläufig noch nicht bewahrheitet. Aber dafür ist jetzt der Versuch, Marx durch den<br />

Grafen Tolstoi zu „ergänzen“, große Mode. Und das ist weit erstaunlicher.<br />

Wie verhält sich aber die Weltanschauung Marx’ zu der Tolstois wirklich? Sie stehen einander<br />

diametral gegenüber. Es schadet nicht, daran zu erinnern.<br />

II<br />

Die Weltanschauung Marx’ ist der dialektische Materialismus. Im Gegensatz dazu war<br />

Tolstoi nicht nur Idealist, er war sein ganzes Leben lang – seiner Denkart nach – der reinste<br />

Metaphysiker. 1 Engels sagt: [788] „[Der Metaphysiker] denkt in lauter unvermittelten Gegensätzen;<br />

seine Rede ist ja, ja, nein, nein, was darüber ist, das ist vom Übel. Für ihn existiert<br />

ein Ding entweder, oder es existiert nicht: ein Ding kann ebensowenig zugleich es selbst und<br />

ein andres sein. Positiv und negativ schließen einander absolut aus; Ursache und Wirkung<br />

stehn ebenso in starrem Gegensatz zueinander.“ 2 Das ist gerade die Denkart, die für den Grafen<br />

Tolstoi so charakteristisch ist und die manchen der Dialektik nicht gewachsenen Leuten –<br />

z. B. Herrn M. Newedomski – als die „Hauptstärke“ dieses Schriftstellers erscheint, die „seine<br />

faszinierende Wirkung auf die ganze Welt, seinen lebendigen Kontakt mit der Gegenwart<br />

erklärt“ 3 .<br />

Herr M. Newedomski schätzt an Tolstoi seine „absolute Konsequenz“. Da hat er recht.<br />

Tolstoi war tatsächlich ein „absolut konsequenter“ Metaphysiker. Aber gerade dieser Umstand<br />

war der Hauptquell der Schwäche Tolstois, und gerade ihm hat er es zu verdanken, daß<br />

er unserer Befreiungsbewegung ferngeblieben ist; gerade ihm hat er es zu verdanken, daß er<br />

von sich sagen konnte – und das natürlich aus vollster Überzeugung –‚ er habe mit den Reaktionären<br />

ebensowenig sympathisiert wie mit den Revolutionären. Wenn sich ein Mensch so<br />

weit von der „Gegenwart“ distanziert, ist es einfach lächerlich, von seinem „lebendigen Kontakt“<br />

mit ihr zu sprechen. So versteht es sich auch von selbst, daß gerade die „absolute Konsequenz“<br />

Tolstois seine Lehre „absolut“ widerspruchsvoll machen mußte.<br />

Warum soll man „dem Bösen nicht gewaltsam widerstreben“? Weil man, antwortet Tolstoi,<br />

„Feuer nicht mit Feuer löschen, Wasser nicht mit Wasser trocknen, Böses nicht mit Bösem<br />

vernichten kann“ 4 . Da haben wir jene „absolute Konsequenz“, die die metaphysische Denkart<br />

charakterisiert. Nur bei einem Metaphysiker können solche relativen Begriffe wie Böse und<br />

Gut absolute Bedeutung erhalten. In unserer Literatur hat Tschernyschewski, den Spuren Hegels<br />

folgend, schon längst erklärt: „In der Wirklichkeit hängt aber alles von den Umständen,<br />

von den örtlichen und zeitlichen Bedingungen ab“ und daß „die allgemeinen Phrasen, mit<br />

denen man bisher über Gut und Böse geurteilt hatte, ohne die näheren [789] Umstände und<br />

Ursachen zu untersuchen, unter denen die betreffende Erscheinung entstanden war – daß diese<br />

allgemeinen, abstrakten Redereien unbefriedigend seien: jeder Gegenstand, jede Erschei-<br />

1 Ich bitte zu beachten, daß ich von seiner Art des Denkens, nicht von seiner Art des Schaffens spreche. Die Art<br />

seines Schaffens war von diesem Mangel gänzlich frei, und er lachte sogar über ihn, wenn er ihm bei anderen<br />

Schriftstellern begegnete.<br />

2 Friedrich Engels, „Die Entwicklung des wissenschaftlichen Sozialismus“, Übersetzung aus dem Deutschen von<br />

W. Sassulitsch, Genf 1906, S. 17. [„Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft“;<br />

Marx/Engels, Ausgewählte Schriften in zwei Bänden, Bd. II, S. 120.]<br />

3 „Nascha Sarja“ [1910] Nr. 10, S. 9.<br />

4 „Reife Ähren“, Sammlung von Gedanken und Aphorismen aus dem Briefwechsel L. N. Tolstois, mit Erlaubnis<br />

des Verfassers zusammengestellt von D. R. Kudrjawzew, Genf 1896, S. 218. Diesem Buch liegt ein Brief des<br />

Grafen Tolstoi an Herrn Kudrjawzew bei, der erkennen läßt, daß Tolstoi darin nichts gefunden hat, was in Widerspruch<br />

zu seinen Anschauungen gestanden hätte.<br />

2

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