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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 22.07.2013<br />

[786]<br />

Karl Marx und Leo Tolstoi*<br />

I<br />

Erinnern Sie sich, lieber Leser, noch an die wahrhaft geniale Charakteristik Victor Hugos, die<br />

Tschernyschewski in einer seiner Anmerkungen zur „Erzählung über den Krimkrieg“ von<br />

Kinglake 1* gegeben hat? Wenn nicht, werden Sie sie vielleicht mit großem Vergnügen lesen.<br />

Hier ist sie:<br />

„Bis zum Februar 1848 wußte Victor Hugo nicht, welche Geistesrichtung in der Politik eigentlich<br />

die seine war; er hatte noch keine Zeit gehabt, sich darüber Gedanken zu machen. Im<br />

übrigen war er ein prächtiger Mensch und vorzüglicher Familienvater, ein guter und ehrlicher<br />

Bürger, der allem Guten seine Sympathien entgegenbrachte: darunter dem Ruhm Napoleons<br />

I. und der ritterlichen Großmut Kaiser Alexanders I.; dem gütigen Herz der Herzogin von<br />

Orléans, der Mutter des Thronerben des damaligen König Louis Philippe; dem Unglück der<br />

edlen Herzogin von Berry, der Mutter des Rivalen jenes Königs und Thronerben; dem herrlichen<br />

Talent Thiers’, des Gegners von Guizot; der genial-einfachen Beredsamkeit Guizots<br />

(des vielleicht größten Redners damaliger Zeit); der Ehrlichkeit Odilon Barrots, des Gegners<br />

Guizots und Thiers’; dem Genie und der Ehrenhaftigkeit Aragos, des berühmten Astronomen<br />

und Hauptvertreters der Republikaner im damaligen Parlament; der Hochherzigkeit der Fourieristen;<br />

der Gutmütigkeit Louis Blancs und der glänzenden Dialektik Proudhons. Er liebte<br />

die Einrichtungen der Monarchie und überhaupt alles, was gut war, darunter auch die Republik<br />

von Sparta und Wilhelm Tell – das ist die bekannte Geistesrichtung, die schon allein<br />

deswegen alle Hochachtung verdient, weil von hundert ehrlichen, gebildeten Menschen in<br />

allen Ländern der Welt gewiß an die neunundneunzig von derselben Geistesrichtung sind.“ 2<br />

Tschernyschewski schrieb diese glänzenden Zeilen im Sommer 1863, als er in der Peter-<br />

Pauls-Festung saß. Seitdem ist viel Zeit vergangen, viel Wasser ist zu Tal geflossen, und vieles<br />

hat sich auf dieser Welt [787] geändert. Nicht geändert hat sich nur die „alle Hochachtung<br />

verdienende Geistesrichtung“ der Eklektiker. Diese guten Leute sind heute wie ehedem bereit,<br />

in ihren Sympathien solche gesellschaftlichen Bestrebungen und Handlungsweisen zu<br />

vereinen, die untereinander nichts Gemeinsames haben und auch gar nicht haben können.<br />

Derartige Leute gibt es heute noch überall in großer Menge, besonders viele jedoch, infolge<br />

der Unreife unserer gesellschaftlichen Verhältnisse, bei uns in Rußland. Hier trifft man nicht<br />

selten „ehrliche“ und „gebildete“ Leute, die gleichzeitig zum Beispiel mit Tschernyschewski,<br />

der den Materialismus predigte, und mit unseren heutigen „Philosophen“, die mit beiden Beinen<br />

auf dem Boden des Idealismus stehen, sympathisieren. Aber das wäre nur halb so<br />

schlimm. Hier handelt es sich um die Philosophie; und die Philosophie ist für viele eine ziemlich<br />

dunkle Angelegenheit. Weitaus bemerkenswerter sind jene „ehrlichen“ und „gebildeten“<br />

– und vor allem gutherzigen – Leute, die in einem Atemzuge mit Sasonow, der Plehwe ermordet<br />

hat, und dem Grafen Tolstoi sympathisieren, der hartnäckig forderte: „Widerstrebe<br />

dem Bösen nicht gewaltsam!“ Der Tod des Grafen Tolstoi hat diesen Leuten die Zunge gelöst.<br />

Es ist so weit gekommen, daß sich ihr Einfluß sogar auf die sozialistischen Kreise auszudehnen<br />

beginnt. Das geschieht mit Hilfe solcher Zwitterzeitschriften wie „Nascha Sarja“,<br />

die, ganz wie das Organ der deutschen Revisionisten, „Sozialistische Monatshefte“, bereit ist,<br />

unter dem Vorwand der Weitherzigkeit ihrer sozialistischen Ansichten jeglichen Blödsinn<br />

gutzuheißen, wenn er nur den fundamentalen Grundsätzen des Marxismus entspricht. Einst<br />

* Anmerkungen zu: Karl Marx und Leo Tolstoi (S. 786-805) am Ende des Kapitels.<br />

1* Es handelt sich um die russische Ausgabe des Buches „The Invasion of the Crimea“ von Kinglake.<br />

2 Werke N. G. Tschernyschewskis, St. Petersburg 1906, Bd. X, Teil 2, S. 96 der zweiten Abteilung.<br />

1

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