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erschien nennen menschenähnlichen

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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 22.07.2013<br />

„Lew Nikolajewitsch hat nicht ein für ihn schweres Leben für ein anderes aufgegeben, das er<br />

nicht für besser hielt, weil er in einem solchen Tausch einen egoistischen Schritt erblickte; in<br />

Verhältnissen fortzuleben, die für ihn nicht nur schwer, sondern auch qualvoll waren, das<br />

hielt er für das Kreuz, das im Leben zu tragen ihm bestimmt war und das er tragen mußte.<br />

Allein, was er im Laufe langer Jahre auszustehen hatte, wurde für ihn allmählich zu einer<br />

immer drückenderen Last und ging immer mehr über seine Kräfte. Schließlich gab ein unbedeutender<br />

Vorfall den Anstoß zum Weggang: Spät abends am 28. Oktober, als er sich bereits<br />

schlafen gelegt hatte, sah er in seinem Arbeitszimmer Licht und beobachtete, wie einer seiner<br />

Angehörigen in seinen Papieren herumwühlte.<br />

Diese Kleinigkeit genügte, das Maß zu füllen. Tolstoi kleidete sich an und begann seine Sachen<br />

zu packen. Interessant ist unter anderem, daß er nur alte, zerrissene Wäsche und Kleider<br />

mitnahm, alles Neue aber zurückließ. Als er sich gerade damit beschäftigte, trat Alexandra<br />

Lwowna hinzu. Lew Nikolajewitsch sagte zu seiner Tochter: ‚Ich gehe heute fort von hier,<br />

ich kann dir noch nichts sagen, aber ich lasse dich bald nachkommen...‘“ („Birshewyje Wedomosti“).<br />

Das waren wohl die einzigen vernünftigen Worte, die seit dem „Auszug“ Tolstois<br />

aus seinem heimatlichen Nest gesprochen wurden. Gerade das! Gerade ein egoistischer<br />

Schritt! Die Herrschaften, die von Tolstoi so hartnäckig einen solchen Schritt verlangten,<br />

machten sich einer „Verwirrung der Begriffe“ schuldig.<br />

VII<br />

Herr Tschertkow hatte indes hinzugefügt, daß Tolstoi seinen Aufenthalt in Jasnaja Poljana als<br />

ein schweres Kreuz betrachtete. Und natürlich, mir [fällt es gar nicht ein, dies zu bestreiten...<br />

Nur erkläre ich mir seine Leiden anders] ... 1 zu gehen versuchte, da man in Wirklichkeit diesen<br />

Weg nicht gehen kann.<br />

Diese Gegenüberstellung von „Ewigem“ und „Vergänglichem“, von „Geist“ und „Körper“,<br />

auf die sich die ganze Lehre Tolstois gründet, ist [785] eine Gegenüberstellung der Innenwelt<br />

des Menschen und der ihn umgebenden Außenwelt, von der sein eigener Leib ein Teil ist –<br />

eine Gegenüberstellung von Bewußtsein und Sein. Das Bewußtsein ist nicht unabhängig vom<br />

Sein. Es wird zuerst von diesem bestimmt und wirkt dann auf dieses zurück, indem es zu dessen<br />

weiterer Selbstbestimmung beiträgt. Bei Tolstoi selbst fehlt nicht das Verständnis für<br />

diese Wahrheit, aber es finden sich bei ihm hierüber nur einige fragmentarische Bemerkungen,<br />

die noch dazu [sehr unzulänglich] formuliert sind... 2 die vollkommenste Freiheit der<br />

Innenwelt des Menschen: die Gegenüberstellung von „Ewigem“ und „Vergänglichem“ hat<br />

keinen anderen Sinn. Und von dieser Überzeugung sind seine wichtigsten praktischen Ratschläge<br />

durchdrungen, zum Beispiel der stets wiederkehrende Rat, sich dem Übel nicht gewaltsam<br />

zu widersetzen, wenn das Übel auch in Gestalt des „Zulus“ oder des tollwütigen<br />

Hundes auftreten sollte. Indem Tolstoi die Innenwelt für völlig frei erklärte und diese Annahme<br />

seinen praktischen Ratschlägen zugrunde legte, überließ er die Außenwelt (die „vergängliche“)<br />

ihrem Schicksal, d. h. verkündete er die völlige Freiheit des darin herrschenden<br />

Übels. 3<br />

1 Hier ist eine Lücke, es fehlt Seite 61. Die Red.<br />

2 Hier ist ebenfalls eine Lücke. Die Red.<br />

3 Wir bringen die Varianten der letzten Seiten des Artikels: „Jemand, anscheinend Herr Swentochowski, hat gesagt,<br />

das Fortgehen Tolstois von Jasnaja Poljana sei der Schlußakkord gewesen, der im Leben dieses Lehrmeisters<br />

bislang noch gefehlt habe. Das ist nicht richtig. Der Weggang von Jasnaja Poljana hat gezeigt, daß selbst Tolstoi<br />

nicht ertragen konnte, was ihm seine Lehre vorschrieb.“<br />

S. 63-65: „...um das Gute zu vollbringen, ist es notwendig und gen[ügt es], sich vom Übel abzuwenden. Aber sich<br />

vom Übel abwenden heißt ihm Handlungsfreiheit einräumen. Das Vergängliche triumphiert über das Ewige.<br />

9

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