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erschien nennen menschenähnlichen

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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 22.07.2013<br />

Nun, wenn das so ist, warum soll man dann nicht das Eigentum „zertrümmern“, wie es, nach<br />

der Meinung des Grafen Tolstoi, die Revolutionäre wollen?<br />

Erstens, weil man es nur durch die Gewalt „zertrümmern“ könnte, die schon an sich ein Übel<br />

ist. Zweitens, weil das Reich Gottes in uns ist und das Bestehen des Eigentums uns nicht jenes<br />

Gut rauben kann, das allein für uns von Bedeutung ist: das sittliche Gut.<br />

Natürlich hat der Reichtum der einen die Armut anderer zur Voraussetzung, und Armut<br />

bringt den Menschen viele Leiden. Allein, man darf [780] sich dem Eindruck nicht überlassen,<br />

der beim Anblick menschlicher Leiden in uns entsteht. Tolstoi sagt dies kategorisch:<br />

„Auf einer bestimmten Stufe der geistigen Entwicklung soll der Mensch das Gefühl des persönlichen<br />

Mitleids mit anderen Wesen nicht noch mehr steigern. Dieses Gefühl ist an und für<br />

sich animalisch und zeigt sich bei einem feinfühligen Menschen stets auch ohne künstliche<br />

Aufpeitschung genügend stark ausgeprägt. Im Menschen soll das geistige Mitgefühl gepflegt<br />

werden. Die Seele eines geliebten Menschen soll mir immer teurer sein als sein Leib.“ 1<br />

Man wollte Tolstoi in Verlegenheit bringen, indem man ihn fragte: Was würden Sie tun,<br />

wenn die „Zulus“ kämen und Ihre Kinder braten möchten? Nun, wem die „Seele“ der Menschen<br />

teurer ist als ihr „Leib“, der findet sich in noch ganz anderen heiklen Fragen zurecht.<br />

„Alle Menschen sind Brüder“, antwortete Tolstoi, „alle sind sie gleich. Und wenn Zulus kämen,<br />

um meine Kinder zu braten, so wäre das einzige, was ich tun könnte, ihnen begreiflich<br />

zu machen, daß es für sie unvorteilhaft und nicht recht sei – ich müßte es ihnen begreiflich<br />

machen, mich aber gleichzeitig ihrer Gewalt beugen. Dies um so mehr, als ich nicht die Absicht<br />

haben könnte, mit den Zulus zu kämpfen. Entweder sie überwältigen mich und braten<br />

meine Kinder erst recht, oder ich bewältige sie, und meine Kinder befällt morgen eine<br />

Krankheit, an der sie unter noch größeren Qualen elendig zugrunde gehen.“ 2<br />

Ähnlich wie hier antwortet Tolstoi auf die Frage: „Wie soll ich mich verhalten, wenn eine<br />

Mutter vor meinen Augen ihr Kind halbtot prügelt?“: „Nur so – laß dich an Stelle des Kindes<br />

verprügeln.“ 3<br />

Ja, noch mehr. Ohne im geringsten zu zögern, behauptet er: „Es ist besser, wenn ein von mir<br />

geliebter Mensch jetzt vor meinen Augen deshalb stirbt, weil er den Hund, obgleich dieser<br />

tollwütig ist, nicht töten wollte, als daß er mich überlebt und nach vielen Jahren an Völlerei<br />

stirbt.“ 4<br />

All das erscheint sehr sonderbar. Aber von Tolstois Standpunkt aus ist in all dem nichts Sonderbares.<br />

Er sagte und wiederholte unablässig: „Man muß an die Stelle der irdischen, vergänglichen<br />

Dinge das Ewige setzen – das ist der Weg des Lebens, und den müssen wir gehen.“ Geben<br />

Sie ihm [hierin] recht, und Sie müssen selbst unbedingt zugeben – wer A sagt, muß auch<br />

B sagen –‚ daß seine Ansicht bezüglich des tollwütigen Hundes, der Auspeitschung und der<br />

„Zulus“ völlig richtig ist. Denn wichtig ist nur das Ewige, und die „Zulus“ sind nicht ewig. Das<br />

gleiche ist der [781] Fall mit den Ruten und dasselbe mit dem tollwütigen Hund. Und versuchen<br />

Sie nicht, Tolstoi mit dem Sprichwort zu Boden zu strecken: „Fremdes Leid kann ich mit<br />

meinen Händen abwenden, aber aus meinem eigenen werde ich nicht schlau.“ Denken Sie<br />

nicht, daß er nur dann gegen das „Vergängliche“ gleichgültig ist, wenn es sich um fremde In-<br />

Das ist daraus ersichtlich, daß den Menschen in der Tat nur eines wichtig ist: Gutes zu tun. Aber das Gute ist da<br />

nicht möglich, wo Gewalt ist, d. h. unter anderem auch da, wo Eigentum ist, das mit Hilfe der Gewalt beschützt<br />

wird.“ Red. L. N.<br />

1 „Reife Ähren“, S. 39/40.<br />

2 Ebenda, S. 220.<br />

3 Ebenda, S. 210.<br />

4 Ebenda, S. 40.<br />

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