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erschien nennen menschenähnlichen

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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 22.07.2013<br />

ist noch bei weitem schlimmer, weil [770] sie die persönlichen, menschlichen Beziehungen<br />

zwischen dem Sklaven und dem Sklavenhalter aufhebt.“ 1<br />

Vergleichen wir diese Lehre vom Eigentum mit dem, was darüber die utopischen Sozialisten<br />

und sogar einige Aufklärer des 18. Jahrhunderts, zum Beispiel Brissot, geschrieben haben, so<br />

werden wir außer einigen naiven Ausdrücken nichts Neues in ihr entdecken. 2 Und der Sozialismus<br />

– sowohl der alte, utopische, als auch der moderne, wissenschaftliche – verneint nicht<br />

das Weltliche und Vergängliches im Namen des Ewigen; er weiß, daß das Ewige nur im Vergänglichen<br />

existiert. Er vernachlässigt nicht die Interessen des „Körpers“ im Namen der Interessen<br />

des „Geistes“. Er weiß genau – zumindest seitdem er eine Wissenschaft geworden ist<br />

–‚ daß der „Geist“ eine Funktion des „Körpers“ ist und daß die Erklärung der Unabhängigkeit<br />

des Bewußtseins vom Sein die Unmöglichkeit und Entbehrlichkeit einer Kontrolle des Bewußtseins<br />

über das Sein bedeutet. Kurz gesagt, der Standpunkt des Sozialismus ist dem<br />

Standpunkt Tolstois diametral entgegengesetzt.<br />

Wie kommt Tolstoi aber in seiner Lehre vom Eigentum dazu, auf den Standpunkt des Sozialismus<br />

überzugehen? Wiederum weil er sich in der unfruchtbaren Wüste des Quietismus, in<br />

die ihn seine eigene Lehre geführt hat, allzu unwohl fühlt.<br />

Die besten Seiten der Werke dieser Schaffensperiode Tolstois, die man die religiöse Periode<br />

<strong>nennen</strong> kann, sind auf die Darstellung und Entlarvung der zahlreichen physischen und moralischen<br />

Übel gerichtet, die das Eigentum, das auf der Ausbeutung der einen Gesellschaftsklasse<br />

durch eine andere beruht, hervorbringt. Und es besteht kein Zweifel, daß gerade diese<br />

besten Seiten ihm die heißesten Sympathien vieler, vieler Leser eingebracht haben. Das Proletariat<br />

ehrt in Tolstoi vielleicht hauptsächlich den Verfasser dieser beachtenswerten Seiten.<br />

Man darf dabei jedoch nie vergessen, daß Tolstoi, indem er diese Seiten schrieb, aufhörte,<br />

Tolstojaner zu sein. Und so ehrt das Proletariat, vielleicht ohne es zu wissen, in Tolstoi nicht<br />

jenen Menschen, der lehrte, wie man leben soll, sondern den, der seine Lehren vom Leben<br />

verleugnete. Und zweifellos verdient Tolstoi dafür Lob und Anerkennung. Aber man muß<br />

stets eingedenk sein, daß er, sobald die Rede auf die Beseitigung dieser zahlreichen physischen<br />

und moralischen Leiden kam, die er doch so gut beschrieben hat und deren Ursachen<br />

ihm die Sozialisten so deutlich aufgezeigt hatten, den Standpunkt des „Zeitlichen“ wieder<br />

verließ und in die unfruchtbare Wüste des Quie-[771]tismus zurückkehrte. Dann schob er<br />

wieder seine echte, d. h. von ihm selbst erdachte und nicht von den Sozialisten entlehnte,<br />

Lehre vom Eigentum in den Vordergrund, vom Eigentum als eines ausgedachten Etwas, einer<br />

Fiktion, die nur in der Einbildung der Menschen existiert, die sich dem Mammon unterworfen<br />

haben. 3 Damals begann er wieder das alte Lied vom „Widerstrebe nicht dem Bösen!“ zu<br />

wiederholen: „Zürne nicht! Buhle nicht! Schwöre nicht! Kämpfe nicht!“ Das ist der Grund,<br />

warum er, der den Sozialisten soviel entlehnt hat, sich berechtigtermaßen so außerordentlich<br />

1 „Wie ist mein Leben?“, S. 134.<br />

2 Der große Schriftsteller der russischen Erde war hilflos wie ein Kind, wenn die Rede auf wirtschaftliche Fragen<br />

kam. Das ist besonders augenfällig in den ersten Kapiteln seiner Broschüre „Wie ist mein Leben?“.<br />

3 Mit dieser Lehre hatte sich Tolstoi schon seit langem getragen. Im Jahre 1861 erklärte sein „Leinwandmesser“ die<br />

Bedeutung der Wörter „eigen“, „mein“ usw. wie folgt: „Ihre Bedeutung ist die: die Menschen richten sich im Leben<br />

nicht nach Taten, sondern nach Worten. Sie lieben nicht so sehr die Möglichkeit, irgend etwas zu tun oder zu<br />

unterlassen, als vielmehr die Möglichkeit, in Worten über verschiedene Dinge zu reden, über deren Bedeutung sie<br />

untereinander übereingekommen sind. Solche Worte, die sie untereinander für wichtig halten, sind die Wörter<br />

‚mein‘, ‚meine‘...“ usw. (Werke des Grafen L. N. Tolstoi, Bd. I, Novellen und Erzählungen, Moskau 1903, S. 430.)<br />

Hieraus ist u. a. ersichtlich, daß Tolstoi in seiner Erzählung über die „Wandlung“, die zu Beginn der achtziger<br />

Jahre in ihm vor sich gegangen ist, nur zum Teil recht hatte. Geändert hat sich nur seine Stimmung, die Ideen sind<br />

die alten geblieben. Und in dieser Nichtübereinstimmung der alten Ideen mit der neuen Stimmung liegt eine weitere<br />

Ursache seiner Widersprüche und seiner Unzufriedenheit. Im übrigen ist diese Ursache zweitrangig und nur von<br />

der im Text eingehend untersuchten Grundursache abgeleitet.<br />

14

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