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erschien nennen menschenähnlichen

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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 22.07.2013<br />

wohl, die Verfolgung „allgemeinmenschlicher“ Ziele. Tolstoi konnte diese Dialektik des Lebens<br />

nicht begreifen, wie sie auch die Aufklärer des 18. Jahrhunderts nicht haben begreifen<br />

können, die sich vergeblich mit der Frage herumschlugen, woher wohl die menschlichen Moralbegriffe<br />

gekommen sind, da der Mensch doch nur „empfindende Materie“ ist, die ursprünglich<br />

nur ein Streben kannte: leben, ohne zu leiden. Diese Frage fand erst im dialektischen Materialismus<br />

ihre Lösung, der für Tolstoi ein Buch mit sieben Siegeln geblieben ist. 1<br />

Das Unvermögen, die hier dargestellte Dialektik des Lebens zu begreifen, führte Tolstoi zu<br />

der theoretisch völlig unhaltbaren Gegenüberstellung von „Ewigem“ und „Vergänglichem“,<br />

von „Geist“ und „Körper“. Diese Gegenüberstellung stieß ihn jedoch in ein Labyrinth praktischer<br />

Widersprüche, die seinen moralischen Zustand so überaus schwer belasteten.<br />

[769] Das Beispiel Tolstois zeigt wieder einmal, als wie unfruchtbar sich der Idealismus auf<br />

dem Gebiet der Ethik erweist.<br />

Der Leser wird sich noch erinnern, was Tolstoi vom Eigentum gesagt hat: Eigentum ist eine<br />

Fiktion, ein erdachtes Etwas, das nur für jene existiert, die an Mammon glauben. Sobald die<br />

Gegenüberstellung von „Ewigem“ und „Vergänglichem“, von „Geist“ und „Körper“ gegeben<br />

ist, ergibt sich logischerweise eine solche Auffassung vom Eigentum. Aber wir wissen bereits,<br />

daß die auf dieser Gegenüberstellung fußende Lehre Tolstoi bei weitem nicht immer befriedigt<br />

hat. So ist es ganz natürlich, daß Tolstoi eine zweite Auffassung vom Eigentum hat.<br />

Er unterscheidet zwei Formen von Eigentum: „Das Eigentum, wie es jetzt besteht, ist vom<br />

Übel. Das Eigentum an und für sich, als Freude darüber, was und womit und wie ich geschaffen<br />

habe, ist etwas Gutes. Und mir wurde es klar. Da gab es keinen Löffel, aber ein Stück<br />

Holz war da. Ich überlegte, machte mich an die Arbeit und schnitzte einen Löffel. Was kann<br />

es Zweifelhaftes daran geben, daß er mir gehört, wie das Nest dieses Vogels sein Nest ist,<br />

von dem er Gebrauch machen kann, wann er will und wie er will. Das Eigentum jedoch, das<br />

durch Gewalt (vom Polizisten mit der Pistole) bewacht wird, ist vom Übel. Mach dir einen<br />

Löffel und iß damit, und auch das nur, solange ein anderer ihn nicht braucht – das ist klar!“ 2<br />

Durch Gewalt beschütztes Eigentum ist die Quelle der Sklaverei. Es entsteht infolge der Ausbeutung<br />

des Menschen durch den Menschen.<br />

„Sklaverei ist die Befreiung der einen von der Arbeit, die zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse<br />

notwendig ist, durch Übertragung dieser Arbeit auf andere. Und dort, wo es einen Menschen<br />

gibt, der nicht arbeitet, nicht deshalb, weil andere für ihn aus Liebe arbeiten, sondern wo er<br />

die Möglichkeit hat, nicht zu arbeiten und andere zwingt, für ihn zu arbeiten, dort besteht<br />

Sklaverei. Denn dort, wo es, wie in allen europäischen Gesellschaften, Menschen gibt, die<br />

von der Arbeit tausender anderer Menschen leben und das als ihr Recht betrachten – dort<br />

herrscht Sklaverei in ungeheuren Ausmaßen.“ 3<br />

Freilich springt die Versklavung der einen durch die anderen in den heutigen europäischen<br />

Gesellschaften nicht so sehr in die Augen, weil das Geld dazwischen steht. Aber das Geld<br />

verschleiert die Tatsache der Versklavung nur, beseitigt sie aber nicht.<br />

„Das Geld ist eine neue furchtbare Form der Sklaverei; ebenso wie die alte Form der persönlichen<br />

Sklaverei, die sowohl den Sklaven als auch den Sklavenhalter demoralisiert; aber sie<br />

1 Wenn ich vom dialektischen Materialismus spreche, meine ich nicht nur, was von Marx und seiner Schule geschaffen<br />

worden ist. Auch Darwin ist ein tiefschürfender und konsequenter dialektischer Materialist, wenn er über<br />

die Entwicklung der sozialen Gefühle des Menschen und anderer Lebewesen spricht. Und er steht keineswegs<br />

allein da!<br />

2 „Reife Ähren“, S. 154.<br />

3 „Wie ist mein Leben?“, S. 133.<br />

13

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