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erschien nennen menschenähnlichen

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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 22.07.2013<br />

voller Weise ein Gefühl des Unbefriedigtseins, weil eine vom Leben losgelöste Moral ebenso<br />

unmoralisch ist wie ein jedes moralischen Inhalts beraubtes Leben.<br />

Die Versuchungen spielten, ich wiederhole es noch einmal – auch wenn sie bestanden haben<br />

sollten – eine nur sehr geringe Rolle. Überdies weiß ich noch nicht, wann sich Tolstoi größere<br />

Vorwürfe gemacht hat, den Versuchungen nicht widerstehen zu können: als er in Jasnaja<br />

Poljana lebte oder als er den hungernden Bauern half.<br />

V<br />

In der Broschüre „Wie ist mein Leben?“ finden sich Zeilen, die von allen beachtet zu werden<br />

verdienen, die die Lehre Tolstois richtig einschätzen wollen. Hier sind diese Zeilen:<br />

„Sobald es mir gelungen war, in meinem Bewußtsein die Sophismen der weltlichen Lehre<br />

auszumerzen, verschmolz die Theorie mit der Praxis, was unausbleiblich nach sich zog, daß<br />

mein Leben und das Leben aller Menschen Wirklichkeit wurde.<br />

Ich begriff, daß der Mensch, außer dem Leben für sein persönliches Wohlergehen, unumgänglich<br />

auch dem Wohlergehen anderer Menschen dienen muß; daß, wenn man einen Vergleich<br />

aus dem Bereich der Tierwelt anführen will, wie das manche Leute zu tun pflegen, um<br />

die Gewalt und den Kampf durch den Kampf ums Dasein in der Tierwelt zu rechtfertigen,<br />

dann einen Vergleich aus der Welt der geselligen Tiere, wie der Bienen, anführen muß, und<br />

daß der Mensch, ganz abgesehen von der ihm angeborenen Nächstenliebe, sowohl seinem<br />

Verstand als auch seiner Natur nach berufen ist, den anderen Menschen und dem allen Menschen<br />

gemeinsamen Ziel zu dienen.“ 1<br />

In Wirklichkeit geschah jedoch das genaue Gegenteil dessen, was Tolstoi gesagt hat. Sobald<br />

es ihm gelungen war, in einer ihn befriedigenden Weise mit den sogenannten Sophismen der<br />

weltlichen Lehre fertigzuwerden, verlor seine Theorie alle Beziehungen zur Praxis, und seine<br />

Vorstellung vom Leben büßte jeglichen wirklichen Inhalt ein.<br />

Tolstoi rät einigen Leuten, „den Vergleich aus der Welt der geselligen Tiere“ zu nehmen.<br />

Folgen wir seinem Ratschlag!<br />

Bei den geselligen Tieren sind die geselligen („sozialen“) Triebe stark entwickelt. Wie sind<br />

diese entstanden? Sie sind entstanden im Kampf um [768] das physische Dasein! Gäbe es<br />

nicht einen solchen Kampf, so würde es auch keine sozialen Triebe geben. Wenn die sozialen<br />

Tiere – Gott bewahre sie davor! – die Überzeugung gewännen, daß der Zahn oder der Magen<br />

schmerzt – nun, möge er meinetwegen schmerzen, was geht das mich an; wenn sie einander<br />

beteuerten: es ist besser, von einem tollen Hund gebissen zu werden, als „viele Jahre später“<br />

beispielsweise an Völlerei zugrunde zu gehen, dann würden manche Menschen der Möglichkeit<br />

beraubt sein, sich an ihnen ein Beispiel zu nehmen; denn sie würden vom Erdboden verschwinden.<br />

Der von Tolstoi angeführte Vergleich spricht also gegen ihn!<br />

Der Mensch ist ein Lebewesen, das bestimmte physiologische Bedürfnisse hat. Das Streben,<br />

diese Bedürfnisse zu befriedigen, löst den Kampf ums Dasein aus. Aber der Mensch ist ein<br />

geselliges Tier. Er kämpft um sein Dasein nicht als einzelner, sondern in Gruppen, die, entsprechend<br />

dem Anwachsen der Produktivkräfte, immer mehr an Umfang zunehmen. Innerhalb dieser<br />

Gruppen entstehen Verhältnisse, auf deren Grundlage Regeln der Moral aufkommen und<br />

sich soziale Gefühle und menschliche Bestrebungen entwickeln. Was augenscheinlich nur eine<br />

Quelle des Egoismus sein kann, erzeugt in Wirklichkeit, als Resultat der gemeinsamen Tätigkeit,<br />

die sich durch viele Generationen hinzieht, und als Folge der dauernden und festen Übereinstimmung<br />

gemeinsamer Anstrengungen, den Altruismus, die Ergebenheit an das Gemein-<br />

1 L. N. Tolstoi, „Wie ist mein Leben?“, S. 137/138.<br />

12

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