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erschien nennen menschenähnlichen

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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 22.07.2013<br />

schuf seiner Familie die materielle [762] Basis, in Luxus und Müßiggang zu leben, und fuhr<br />

fort, mit ihr in Gemeinschaft zu bleiben, wobei er alles das aufzufinden und zu verstärken suchte,<br />

was sie miteinander verband, und sich all dem fernzubleiben bemühte, was ihm fremd war.<br />

Wenn man nach der bekannten Zuschrift des Grafen L. L. Tolstoi 1* an die Zeitung „Nowoje<br />

Wremja“ urteilt, dann hat sich diese Taktik nicht sonderlich bewährt, doch das geht uns hier<br />

nichts an.<br />

Ich glaube allgemein, daß Tolstois Taktik der Bekämpfung des Bösen rettungslos unfruchtbar<br />

ist. Und doch sehe ich, daß sein Verhalten im vorliegenden Falle seiner Lehre nicht im geringsten<br />

widersprochen hat. Im Gegenteil, es harmonierte durchaus mit ihr.<br />

Tolstoi schrieb: „Die Aufgabe der Christen besteht nicht darin, sich in irgendeine bestimmte<br />

Lage zu versetzen, sondern darin, den Willen Gottes zu erfüllen. Der Wille besteht aber darin,<br />

auf die Erfordernisse des Lebens so zu antworten, wie es die Liebe zu Gott und den Menschen<br />

verlangt; und deshalb darf man die Nähe oder Ferne seiner selbst und anderer vom Ideal<br />

Christi keineswegs nach der Lage, in der sich der Mensch befindet, oder nach den Handlungen,<br />

die er begeht, beurteilen.“ 2<br />

Aber man forderte doch von ihm eine bestimmte „Handlung“, man wollte, daß er sich eben in<br />

diese und nicht in die andere Lage versetze. Wer war da also inkonsequent?<br />

Er gab sich redlich Mühe, die zur Vernunft zu bringen, die ihm Vorwürfe machten. Er sagte ihnen:<br />

„Ein Mensch, der seine Frau oder Mutter oder seinen Vater verlassen und sie dadurch verstimmt<br />

und verbittert hat, wird fast gar keine schlechte Handlung begehen, weil er den Schmerz,<br />

den er verursacht hat, nicht empfindet; ein anderer aber, der dasselbe tut, würde eine schändliche<br />

Handlung begehen, weil er den Schmerz, den er verursacht hat, sehr deutlich empfindet.“ 3<br />

Tolstoi fand, daß er durch seinen Weggang von Jasnaja Poljana eine schlechte Handlung begehen<br />

würde, weil sein Weggang seinen Angehörigen Schmerz bereiten und sie verbittern<br />

würde. Und deshalb ging er nicht weg. 4* Dagegen ist vom Standpunkt seiner Lehre nicht das<br />

geringste einzuwenden. Im Gegenteil! Man muß anerkennen, daß sein Verhalten einwandfrei<br />

war. Aber trotzdem schrieb man ihm alberne Briefe und warf ihm sinnlose Inkonsequenz vor!<br />

Wo bleibt da die Gerechtigkeit?<br />

Man überlege sich nur! Ein Mensch predigt, man solle sich einem blutrünstigen „Zulu“, der<br />

ein hilfloses Kind frißt, nicht widersetzen: Gegenwehr wäre Sünde, weil sie den Menschenfresser<br />

nur noch mehr erbosen müßte. Ihm – d. h. dem Prediger und nicht dem Menschenfresser<br />

– wider-[763] spricht man zuerst (Michailowski u. a.), hört dann aber auf zu widersprechen<br />

und begnügt sich mit Händeklatschen. Er – d. h. wiederum der Prediger und nicht der<br />

1* Tolstoi, Lew Lwowitsch (geb. 1869), der dritte Sohn L. N. Tolstois brachte eine Notiz in „Nowoje Wremja“<br />

Nr. 12458 vom 16. November 1910, d. h. 9 Tage nach dem Tode Lew Nikolajewitschs, mit dem Titel: „Wer ist<br />

der Schuldige?“ Die Notiz war gegen W. G. Tschertkow gerichtet, über den L. L. Tolstoi schrieb:<br />

„Tschertkow allein trifft die Schuld an dem vorzeitigen Tode meines Vaters, schuld ist sein eitler grenzenloser,<br />

einseitiger und unverständiger Einfluß, unter dem mein alter, armer Vater in den letzten Jahren seines Lebens<br />

und namentlich in den letzten Monaten lebte.“ Und weiter: „Als stolzer Sohn meines Vaters ... als Graf Tolstoi,<br />

als Nachkomme eben jenes Geschlechts russischer Familien, denen wir entstammen, erachte ich es als meine<br />

Pflicht, nochmals kühn und offen zu wiederholen, daß ich W. G. Tschertkow für den schlimmsten Feind meines<br />

Vaters in seinem Leben, für den schlimmsten Feind der ganzen russischen gebildeten Gesellschaft und der ganzen<br />

zivilisierten Welt halte, wenn er es auch möglicherweise ungewollt gewesen ist.“<br />

In Wirklichkeit ist der Grund für die Erbitterung L. L. Tolstois und einiger anderer Familienmitglieder gegen<br />

Tschertkow hauptsächlich darin zu suchen, daß sie glaubten, Tschertkow sei schuld an jenem Testament Tolstois,<br />

durch das seine Erben der ungeheuren Geldmittel aus dem Verkauf seiner Werke verlustig gingen.<br />

2 „Reife Ähren“, S. 98.<br />

3 Ebenda, S. 99.<br />

4* Tolstoi verließ Jasnaja Poljana (kurz vor seinem Tode) am 28. Oktober 1910.<br />

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