18.09.2015 Views

erschien nennen menschenähnlichen

Zur PDF-Datei... - Max Stirner Archiv Leipzig

Zur PDF-Datei... - Max Stirner Archiv Leipzig

SHOW MORE
SHOW LESS
  • No tags were found...

Create successful ePaper yourself

Turn your PDF publications into a flip-book with our unique Google optimized e-Paper software.

OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 22.07.2013<br />

Ich weiß: man wird einwenden, Graf Tolstoi habe sein Land nicht „einfach verlassen“, sondern<br />

erst dann die „Handlung“ vollzogen, nachdem er es seiner Familie übergeben hatte, und<br />

daß er an den Folgen dieser „Handlung“ selbst am meisten gelitten habe.<br />

Vor kurzem noch hat Herr Boulanger sein Projekt zur Organisierung eines Fonds zwecks Aufkaufs<br />

der Ländereien von Jasnaja Poljana zugunsten der Bauern mit folgenden Worten begründet:<br />

„Jeder, der Gelegenheit hatte, mit Lew Nikolajewitsch zusammenzutreffen, konnte feststellen,<br />

wie sehr ihn der Gedanke quälte, daß er das Gut, auf dem er gelebt, vor vielen Jahren<br />

seinen Erben vermacht hatte, und daß es nun Menschen gehört, die in dieser oder jener Form<br />

die auf ihm schaffenden Werktätigen ausbeuten werden. Man kann sich kaum vorstellen,<br />

welche Hölle für ihn in dieser Hinsicht das Leben in Jasnaja Poljana darstellte: Der Tscherkesse,<br />

der das Herrengut beschützte und nicht davor zurückschreckte, mit den Bauern kurzen<br />

Prozeß zu machen; der Gutsverwalter, der Bäuerinnen, die Gras gesammelt hatten, festnehmen<br />

ließ; die Verpachtung von Land an die Bauern von Jasnaja Poljana.“<br />

[761] Alles das stimmt. Ich verstehe selbstverständlich, daß der „Tscherkesse“ Tolstoi große<br />

Pein bereitet haben muß. Wie sollte es auch anders sein! Aber dieser Umstand ändert noch<br />

kein Jota an der inneren Logik der Lehre Tolstois. Wir haben bereits gesehen, was das für<br />

eine Logik war.<br />

Ein bestimmter Mensch lebt im Überfluß. Nach der Lehre Tolstois bedeutet das, daß er viel<br />

Eigentum besitzt, das auf fremder Arbeit beruht und unter Anwendung von Gewalt beschützt<br />

wird. Das ist von Übel! Was soll man da tun? Was soll man gegen diesen Menschen unternehmen?<br />

Tolstoi antwortet: „Ich kann, wenn ich roh genug bin, ihm die Möglichkeit nehmen, in Überfluß<br />

weiterzuleben, und ihn zwingen, zu arbeiten. Wenn ich das tue, bringe ich aber das Werk<br />

Gottes nicht um einen Deut weiter – ich rühre nicht an die Seele dieses Menschen.“<br />

Das ist die uns bereits bekannte Gegenüberstellung von Interessen der „Seele“ und Interessen<br />

des „Leibes“, von „Ewigem“ und „Vergänglichem“. Die Handlungsweise Tolstois wird von<br />

den Interessen der „Seele“, des „Ewigen“, bestimmt. „Ich werde nichts tun“, überlegt er, „und<br />

auch nichts sagen, was diesen Menschen zwingen könnte, Gottes Werk zu verrichten, sondern<br />

ich werde einfach mit ihm in Gemeinschaft leben und alles das auffinden und zu verstärken<br />

suchen, was uns verbindet, und mich von all dem fernhalten, was mir fremd ist. Das<br />

ist das einzige Mittel, einen Menschen zu bessern, der über viel Eigentum verfügt, das auf<br />

fremder Arbeit beruht. Aber das ist ein sicheres Mittel: und wenn ich selbst das Werk Gottes<br />

verrichte und in ihm aufgehe, werde ich totsicher den Menschen zu Gott führen und veranlassen,<br />

sein Werk zu verrichten.“ 1<br />

Wir sind nicht verpflichtet, den Optimismus Tolstois zu teilen: ein Sünder, der in Überfluß lebt,<br />

d. h. fremde Arbeit ausbeutet, kann auch verstockt bleiben. Und trotzdem müssen wir anerkennen,<br />

daß Tolstoi sich selbst untreu geworden wäre, wenn er sich dem Sünder gegenüber, der<br />

fremde Arbeit ausbeutet, anders verhalten hätte. Die Logik hat ihre unverbrüchlichen Rechte.<br />

Ist es aber so, dann haben sich die Menschen die Logik der Lehre Tolstois sehr schlecht angeeignet,<br />

die darüber betrübt waren, daß er Jasnaja Poljana seiner Familie übereignet hatte.<br />

Er hätte, „wenn er roh genug gewesen wäre“, sein Land den Bauern übergeben können, und<br />

damit seiner Familie die Möglichkeit genommen, in Luxus zu leben, und sie veranlaßt, zu arbeiten.<br />

Aber wenn er das getan hätte, hätte er das „Werk Gottes“, so wie er es verstand, nicht<br />

um Haaresbreite weitergebracht; hätte er nicht an die Seelen der Angehörigen seiner Familie<br />

gerührt. Und so legte er, Gottes Werk hochachtend, ein anderes Benehmen an den Tag. Er<br />

1 Ebenda, S. 32.<br />

7

Hooray! Your file is uploaded and ready to be published.

Saved successfully!

Ooh no, something went wrong!