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erschien nennen menschenähnlichen

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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 22.07.2013<br />

den aber nur den toten Buchstaben, und unter Berufung auf den toten Buchstaben verurteilten<br />

sie die freiheitlichen Strömungen ihrer Zeit. Am Tage des Tolstoi-Jubiläums durfte man sich<br />

vor den Urteilen, die sie unter dem Einfluß ihrer – wie es scheint, unheilbaren – Krankheit<br />

ausgesprochen haben, nicht demütig verbeugen, man mußte vielmehr dem Leser Gelegenheit<br />

geben, darüber nachzudenken, welche gesellschaftlichen Bedingungen diese Krankheit der<br />

beiden „großen Schriftsteller Rußlands“ hervorgerufen haben (man muß auch den an derselben<br />

Krankheit leidenden Dostojewski einbeziehen). Über dieses Thema hätte man einige sehr<br />

wahre und äußerst lehrreiche Seiten schreiben können, die zur Klärung unseres gesellschaftlichen<br />

Bewußtseins beigetragen hätten, während die Knickse unserer oppositionellen Presse<br />

etwas gewesen sind, was zu seiner Verdunkelung beigetragen hat.<br />

Natürlich hat sich unsere oppositionelle Presse nicht das Ziel gesteckt, das Freiheitsbewußtsein<br />

zu verdunkeln. Eine zu große Ungerechtigkeit wäre es, sie einer solchen Absicht zu verdächtigen.<br />

Warum hat sie dann aber lieber ihre Verbeugungen gemacht? Mir scheint, hierfür<br />

gibt es nur die eine Erklärung: sie hat geglaubt, angesichts unserer jetzigen politischen Lage<br />

sei es nützlich, das Gebot: Du sollst nicht töten! zu wiederholen. Indes, man begreift unschwer,<br />

wie falsch ein solches Argument war.<br />

An wen wandte sich Graf Tolstoi mit seinem Gebot? Er gibt uns selbst die Antwort: an die<br />

Revolutionäre und an die Regierung. Aber wer sind denn die „Revolutionäre“, die Graf<br />

Tolstoi des Tötens bezichtigt? Sind es vielleicht die „Expropriateure“, die durch ihr Auftreten<br />

unsere Freiheitsbewegung vor der gesellschaftlichen Meinung Rußlands und des Westens nur<br />

kompromittieren? Die „Expropriateure“ verdienen die strengste Verurteilung. Und diese<br />

strenge Verurteilung muß klar und unzweideutig ausgesprochen werden. Die „Expropriateure“<br />

schonen heißt die Sache der Freiheit verraten, der jene so furchtbar großen Schaden zufügen;<br />

aber unsere oppositionelle Presse hat schwer geirrt, wenn sie sich wirklich eingebildet<br />

hat, man könne die „Expropriateure“ durch die bloße Wiederholung des sechsten Gebots<br />

auch nur im geringsten beeinflussen. Ich will es natürlich nicht bestreiten: auch unter den<br />

„Expropriateuren“ gibt es Menschen, die begreifen können, wie falsch ihr Weg und wie notwendig<br />

es ist, ihre furchtbar schädliche und wahrhaft schändliche Handlungsweise möglichst<br />

bald aufzugeben. Um auf diese Menschen einzuwirken, hätte man durchaus nicht mit jenen<br />

Gründen kommen dürfen, wie sie Graf Tolstoi in seiner sektiererischen Weltanschauung gefunden<br />

[737] hat und nur finden konnte. Das Merkmal dieser Weltanschauung besteht darin,<br />

daß der Mensch, dem sie eigen ist, ganz und gar nicht versteht, das Leben und die Nöte der<br />

ihn umgebenden Gesellschaft vom historischen Standpunkt aus zu betrachten, und sich daher<br />

als gänzlich unfähig erweist, die historischen Aufgaben seiner Zeit zu begreifen. Und auf die<br />

ehrlichen, wenn auch in schrecklichem Irrtum befangenen Elemente unter den „Expropriateuren“<br />

könnte man einzig und allein Einfluß gewinnen, wenn man sie darauf hinweist, wie sehr<br />

ihr Auftreten der Lösung dieser historischen Aufgaben hinderlich ist und wie energisch sich<br />

jeder, der die Sache ernst nimmt, gegen die Untaten der „Expropriateure“ wenden muß. Mit<br />

einer bloßen Wiederholung des sechsten Gebots kann man bei ihnen nichts ausrichten.<br />

Also konnte das vorauszusetzende und einzige wahrscheinliche Ziel unserer oppositionellen<br />

Presse von dieser Seite her nicht erreicht werden.<br />

Und die andere Seite? Die Seite der Reaktion? Konnte vielleicht der Artikel des Grafen<br />

Tolstoi wenigstens auf einige ihrer mächtigen Vertreter Einfluß gewinnen und dadurch mindestens<br />

einige Menschenleben retten, die auf dem Altar der „Befriedung des Landes“ jetzt in<br />

so großer Zahl geopfert werden?<br />

Graf Tolstoi selbst durfte natürlich mit vollem Recht auf ein solches Ergebnis der von ihm<br />

verkündeten Lehre rechnen. Ich wiederhole, jedes Sektierertum hat seine Logik. Aber unsere<br />

oppositionelle Presse mußte begreifen, daß eine solche Überlegung entschieden jeglicher<br />

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