erschien nennen menschenähnlichen

Zur PDF-Datei... - Max Stirner Archiv Leipzig Zur PDF-Datei... - Max Stirner Archiv Leipzig

max.stirner.archiv.leipzig.de
from max.stirner.archiv.leipzig.de More from this publisher
18.09.2015 Views

OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 21.07.2013 [725] N. A. Nekrassow* Rededisposition Äußerung Bel[inskis]: was für ein Talent dieser Mensch besitzt, und was für ein Beil dieses Talent ist. Diese Äußerung entbehrt nicht einer gewissen Zweideutigkeit: in einer starken, sicheren Hand ist das Beil eine schreckl[iche] Waffe und ein nützliches, einfach unentbehrliches Werkzeug; geschichtlich gesehen, ist das Beil eines der ersten Kulturgüter des Menschen. Aber die Arbeit, die mit dem Beile ausgeführt wird, entbehrt der Schönheit; daher der Ausdruck: Grobarbeit. Um der Wahrheit die Ehre zu geben, muß man sagen: die Verse Nekrassows sind häufig solch eine Grobarbeit; Garschins Worte; sein Beispiel: Bequem und leicht, gefügt genau Покоен, прочен и легок War jenes Schlittens Wunderbau. На диво сдаженный возок. } Russische Frauen «возок», «легок» reimt sich schlecht. Aber Nekr[assow] merkt das anscheinend gar nicht; er scheint den Reim ganz in Ordnung zu finden und wiederholt ihn an einer anderen Stelle: Und schnell und wunderbar und glatt Покоен, прочен и легок Jagt unser Schlitten durch die Stadt. Катится городом возок. Der Mangel liegt hier eigentlich im Reim, soz[usagen] im Äußerlichen des Gedichts. Aber bei Nekrassow finden sich wes[entlichere] Mängel. Nehmen Sie meinetwegen das berühmte Gedicht [Einführung] „Betrachtungen an der Paradetreppe“: Du hältst im Leben für das allerbeste Scharwenzeln ohne Scham und Rausch und Feste, Und treibst’s mit Saufen, Spiel und Frauenraub. Wach auf! Noch gibt es andre Freud hienieden: Bring sie zurück! Sie retten – dir ist es beschieden! [726] Das ist sehr schön gesagt, aber es ist nichts als schwungvolle Prosa. Shakespeare und Byron sind ebenfalls manchmal sehr beredt, aber ihre Beredtheit hat etwas Poetisches – ihre Beredtheit ist eine Beredtheit des Bildes. Nekr[assow] ist nicht nur im Versemachen, sondern auch in der ganzen künstl[erischen] Form überhaupt oft recht ungeschickt. Seine Gedichte sind oft prosaisch. Und trotzdem hatte er ein großes Talent, und er nimmt in der Geschichte unserer Dichtkunst einen hervorragenden Platz ein. Besser als irgendein anderer charakterisiert er den berühmt[en] Wendepunkt in der Geschichte unserer Dichtkunst. Vor ihm war unsere Dichtkunst, und überhaupt die schöne Literatur, mit wenigen Ausnahmen (wie Kolzow), die Literatur der höheren Gesellschaftsklasse: die Literatur des Adels. Puschkins Eug[en] Onegin, Lermontows Petschorin. Sie sind Adlige von Kopf bis Fuß. Turgenews „Adelsnester“. Damit will nicht gesagt sein, daß sie nur die Adelsprivilegien verteidigt hätten. Nein, aber ihre Helden sind Adlige. Nekrassow, der ebenfalls adliger Herkunft ist, sagt von sich: Ein Lied des Adels hier in unsern Landen Aus meiner Leier Saiten nie Gestalt gewann. * Anmerkungen zu: N. A. Nekrassow (S. 725-727) am Ende des Kapitels. 1

OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 21.07.2013 Und tats[ächlich], er schilderte das Leben des Adels von seiner negat[iven Seite], im Hinblick auf den Gegensatz der Interessen der Adl[igen] und der Interessen der Bauern. Dieser Gegensatz findet bei ihm mitunter eine bemerkensw[ert] humoristische Darstellung in den Dicht[ungen]: „Wer lebt glücklich?“, „Bäuerliche Aphorismen“ 1* . Nachs[ehen]. Und diese Richt[ung] findet sich bereits in dem Ged[icht], von d[em] schon Belin[ski] so entzückt war. „Heimatland“: siehe im Buch, Band I. Und nicht nur der Adel wird in seinen häßlichen Zügen geschildert. Die Beamtenschaft: siehe in dem Gedicht „Wer lebt glücklich in Rußland?“ Wie sie Gerichtsuntersuchungen durchführten. 2* Aber auch schon früher, im „Wiegenlied“: Wirst Beamter; dein Gewand Birgt einen Pferdefuß, Morgens winkt dir meine Hand Einen Abschiedsgruß. Mit einem Wort, Nekrassow ist der Dichter der „Verneinung“, er ist der Dichter jener Schicht der Rasnotschinzen, die sich mit der best[ehen-[727]den] Ordnung nicht abfindet. Er lehnt alle Karrieren ab. Der Staatsbürger. 3* Dieser Staatsbürger ist dann erschienen in der Person des revolutionären Rasnotschinzen. Nun war es bei ihm so: er wehklagte nicht, und wenn er schon wehklagte, so war das nicht das einzige, was er tat. Sowie in ihm die staatsbürgerlichen Gefühle erwachten, war der Kampf sein Streben: Es kann sich nicht befreit gebärden Der Sohn bei seiner Mutter Schmerz, Der Bürger wird nicht würdig werden Des Vaterlands, wenn kalt sein Herz.‘ Das ist der Stammvater der Rev[olutionäre] der siebziger Jahre, jener Empörer, der... und jener Terroristen, die... Anmerkungen (Rededisposition) Erstmals gedruckt in Bd. VI des „Literarischen Nachlasses G. W. Plechanows“ (S. 232-234). Daraus entlehnen wir den Text für diese Ausgabe. Die Disposition ist ohne Datum, aber man darf wohl annehmen, daß die Zeit ihrer Abfassung Ende 1902 anzusetzen ist, da die Rede über Nekrassow am 10. Januar 1903 gehalten wurde. 1* „Bäuerliche Aphorismen“ nennt Plechanow die Gespräche, die treffenden Worte der Bauern in dem Poem „Wer lebt glücklich in Rußland?“ 2* In der Untersuchungsszene anläßlich des Todes eines Kindes, das von Schweinen zerfleischt worden war, zeigte sich die Willkür und Gewaltsamkeit der Beamten. 3* „Der Staatsbürger“ – offenbar meint Plechanow das Gedicht „Dichter und Bürger“ (zitiert S. 710). 2

OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 21.07.2013<br />

[725]<br />

N. A. Nekrassow*<br />

Rededisposition<br />

Äußerung Bel[inskis]: was für ein Talent dieser Mensch besitzt, und was für ein Beil dieses<br />

Talent ist. Diese Äußerung entbehrt nicht einer gewissen Zweideutigkeit: in einer starken,<br />

sicheren Hand ist das Beil eine schreckl[iche] Waffe und ein nützliches, einfach unentbehrliches<br />

Werkzeug; geschichtlich gesehen, ist das Beil eines der ersten Kulturgüter des Menschen.<br />

Aber die Arbeit, die mit dem Beile ausgeführt wird, entbehrt der Schönheit; daher der<br />

Ausdruck: Grobarbeit. Um der Wahrheit die Ehre zu geben, muß man sagen: die Verse<br />

Nekrassows sind häufig solch eine Grobarbeit; Garschins Worte; sein Beispiel:<br />

Bequem und leicht, gefügt genau<br />

Покоен, прочен и легок<br />

War jenes Schlittens Wunderbau.<br />

На диво сдаженный возок.<br />

} Russische<br />

Frauen<br />

«возок», «легок» reimt sich schlecht. Aber Nekr[assow] merkt das anscheinend gar nicht; er<br />

scheint den Reim ganz in Ordnung zu finden und wiederholt ihn an einer anderen Stelle:<br />

Und schnell und wunderbar und glatt<br />

Покоен, прочен и легок<br />

Jagt unser Schlitten durch die Stadt.<br />

Катится городом возок.<br />

Der Mangel liegt hier eigentlich im Reim, soz[usagen] im Äußerlichen des Gedichts. Aber bei<br />

Nekrassow finden sich wes[entlichere] Mängel. Nehmen Sie meinetwegen das berühmte Gedicht<br />

[Einführung] „Betrachtungen an der Paradetreppe“:<br />

Du hältst im Leben für das allerbeste<br />

Scharwenzeln ohne Scham und Rausch und Feste,<br />

Und treibst’s mit Saufen, Spiel und Frauenraub.<br />

Wach auf! Noch gibt es andre Freud hienieden:<br />

Bring sie zurück! Sie retten – dir ist es beschieden!<br />

[726] Das ist sehr schön gesagt, aber es ist nichts als schwungvolle Prosa. Shakespeare und<br />

Byron sind ebenfalls manchmal sehr beredt, aber ihre Beredtheit hat etwas Poetisches – ihre<br />

Beredtheit ist eine Beredtheit des Bildes. Nekr[assow] ist nicht nur im Versemachen, sondern<br />

auch in der ganzen künstl[erischen] Form überhaupt oft recht ungeschickt. Seine Gedichte sind<br />

oft prosaisch. Und trotzdem hatte er ein großes Talent, und er nimmt in der Geschichte unserer<br />

Dichtkunst einen hervorragenden Platz ein. Besser als irgendein anderer charakterisiert er den<br />

berühmt[en] Wendepunkt in der Geschichte unserer Dichtkunst. Vor ihm war unsere Dichtkunst,<br />

und überhaupt die schöne Literatur, mit wenigen Ausnahmen (wie Kolzow), die Literatur<br />

der höheren Gesellschaftsklasse: die Literatur des Adels. Puschkins Eug[en] Onegin, Lermontows<br />

Petschorin. Sie sind Adlige von Kopf bis Fuß. Turgenews „Adelsnester“. Damit will<br />

nicht gesagt sein, daß sie nur die Adelsprivilegien verteidigt hätten. Nein, aber ihre Helden sind<br />

Adlige. Nekrassow, der ebenfalls adliger Herkunft ist, sagt von sich:<br />

Ein Lied des Adels hier in unsern Landen<br />

Aus meiner Leier Saiten nie Gestalt gewann.<br />

* Anmerkungen zu: N. A. Nekrassow (S. 725-727) am Ende des Kapitels.<br />

1

Hooray! Your file is uploaded and ready to be published.

Saved successfully!

Ooh no, something went wrong!