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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 21.07.2013<br />

geduldiger ist als die Bauernschaft, deren Klagen Nekrassow das Herz zerrissen und die ihn<br />

mit ihrer ewigen Geduld zur Verzweiflung brachte. Diese Klasse – die Klasse der Proletarier<br />

– zeigt uns unzweideutig, daß sie ganz und gar nicht gesonnen ist, den höheren Klassen den<br />

Genuß aller materiellen und geistigen Güter des Lebens „ehrfürchtig“ zu überlassen, so daß<br />

für sie selbst nichts anderes übrigbleibt als schwere physische Arbeit. Das russische Proletariat<br />

lebt schon nicht mehr „in der tiefen Nacht, in die kein Lichtstrahl fällt“: in der Person der<br />

besten Vertreter seiner Klasse sieht es bereits das leuchtende Morgenrot seiner Befreiung.<br />

„Aus seinen strengen Augen ergießen sich keine Tränen“: diese Augen blitzen in dem stolzen<br />

Bewußtsein seiner Kraft. Sein „Mund“ bleibt nicht „stumm“: er ruft zum Kampf. Und es wäre<br />

seltsam, wenn man „gute Nacht“ zu ihm sagen wollte – zu ihm, das sich den schweren Schlaf<br />

aus den Augen reibt und sich munter an seine große historische Arbeit begibt.<br />

Mit dem Aufkommen des Proletariats begann bei uns eine neue Epoche, die dadurch bemerkenswert<br />

ist, daß selbst der Bauer jetzt nicht mehr so unbeweglich ist, wie er es zu Nekrassows<br />

Lebzeiten gewesen ist. Indem die neuen ökonomischen Verhältnisse unser gesellschaftliches,<br />

einst so „unerschüttertes“ Milieu neu gestalten, gestalten sie auch unseren Volkscharakter um.<br />

Nekrassow war es nicht beschieden, die neue Epoche zu erleben. Aber wenn er sie erlebt hätte,<br />

so würde er gesehen haben, daß es im heutigen Rußland Menschen gibt, die trotz allem<br />

viel glücklicher und viel freier leben, als sein Grischa gelebt hat: diese Menschen sind die<br />

Arbeiter, die Proletarier, die sich dem Kampfe um die Befreiung ihrer Klasse gewidmet haben<br />

und fest von der historischen Unvermeidlichkeit dieser Befreiung überzeugt sind.<br />

Und wenn er diese in Rußland neuen Menschen kennengelernt und verstanden hätte, so würde<br />

er vielleicht ihnen zu Ehren ein neues „Lied“, ein Lied der Begeisterung, kein Lied des „Hungers“<br />

und kein Lied des [724] „Spotts“, sondern ein Kampflied: eine russische Marseillaise<br />

geschrieben haben, in der man, wie früher, die Töne der „Rache“ hören könnte und in der an<br />

die Stelle der Töne des „Leids“ die Töne freudiger Siegeszuversicht getreten wären. Mit der<br />

Veränderung des Volkscharakters hätte sich wohl auch der Charakter seiner Muse verändert.<br />

Aber der Tod hat Nekrassow längst dahingerafft. Der Dichter der Rasnotschinzen ist vom<br />

literarischen Schauplatz abgetreten, und wir müssen nun darauf warten, daß nach ihm der<br />

neue Dichter, der Dichter der Proletarier auftritt.<br />

Anmerkungen<br />

Zum 25. Todestag. (Dem Donkomitee der SDAPR gewidmet.)<br />

Der Aufsatz <strong>erschien</strong> erstmals als Einzelbroschüre im Jahre 1903 im Verlag der „Liga der russischen<br />

revolutionären Sozialdemokraten im Ausland“ (Genf). Hier wird der Text der Gesamtausgabe<br />

der Werke (Bd. X, S. 373-395) gedruckt.<br />

Dieser Aufsatz wurde bei seinem Erscheinen in Plechanows Artikelsammlung „Zwanzig Jahre“<br />

(St. Petersburg 1905) von der Zensur arg verstümmelt. Die Zensur versuchte den Sinn einiger<br />

Stellen in dem Aufsatz, in denen von der revolutionären Einstellung des russischen Proletariats<br />

die Rede war, zu entstellen und nahm Streichungen vor. So wurde zum Beispiel folgender Satz<br />

gestrichen: „Das russische Proletariat lebt schon nicht mehr ‚in der tiefen Nacht, in die kein Lichtstrahl<br />

fällt‘: in der Person der besten Vertreter seiner Klasse sieht es bereits das leuchtende Morgenrot<br />

seiner Befreiung... Sein ‚Mund‘ bleibt nicht ‚stumm‘: er ruft zum Kampf. Und es wäre<br />

seltsam, wenn man ‚gute Nacht‘ zu ihm sagen wollte – zu ihm, das sich den schweren Schlaf aus<br />

den Augen reibt und sich munter an seine große historische Arbeit begibt“ (siehe auf S. 723). Die<br />

Zensur ließ nur den harmlosen Satz aus der Mitte dieses Bruchstucks stehen: „Aus seinen strengen<br />

Augen ergießen sich keine Tränen: diese Augen blitzen in dem stolzen Bewußtsein seiner<br />

Kraft. Und es wäre seltsam, wenn man ‚gute Nacht‘ zu ihm sagen wollte“ (siehe S. 723).<br />

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