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erschien nennen menschenähnlichen

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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 21.07.2013<br />

Sie könnten schon zurück, die Wandrer, in die Heimat gehn,<br />

Wenn sie nur wüßten, was mit Grischa unterdes geschehn...<br />

Aber das ist es ja gerade, daß die Wanderer – die Bauern der verschiedenen Dörfer, die den<br />

Entschluß gefaßt haben, nicht eher nach Hause zurückzukehren, als bis für sie die Frage entschieden<br />

sei, wer in Rußland glücklich und frei leben kann–, daß die Wanderer nicht wußten,<br />

was mit Grischa geschah, und es nicht wissen konnten. Die Bestrebungen unserer radikalen<br />

Intelligenz blieben dem Volk unbekannt und unverständlich. Ihre besten Vertreter haben sich<br />

bereitwillig für seine Befreiung geopfert; aber es blieb taub gegen ihre Aufrufe, und es war<br />

manchmal bereit, sie zu steinigen, da es in ihren Absichten nur neue Ränke ihres Erbfeindes –<br />

[722] des Adels erblickte. 1 Und darin bestand die große Tragödie der Geschichte der russischen<br />

radikalen Intelligenz. Nekrassow hat diese Tragödie auf seine Weise durchgemacht. Er,<br />

der sich für berufen hielt, die Leiden des russischen Volkes zu besingen, sagt traurig kurz vor<br />

seinem Tode:<br />

Mich wird nun bald der Rasen decken.<br />

Das Sterben fällt mir schwer, der Tod wird schön;<br />

Und so will ich in niemand Trauer wecken,<br />

Es wird kein Mensch um mich in Trauer gehn.<br />

Ein Lied des Adels hier in unsern Landen<br />

Aus meiner Leier Saiten nie Gestalt gewann;<br />

Nun sterbe ich, genauso unverstanden<br />

Von meinem Volk, wie da ich einst begann.<br />

Ein trauriges Ende! Ein schweres Eingeständnis! Und man muß bemerken, daß viele fortschrittliche<br />

Menschen sehr bald nach dem Tode Nekrassows ihre Anstrengungen zur Aufklärung<br />

der Bauernschaft fast genauso enden sahen. Nekrassow starb am 27. Dezember 1877.<br />

Und Ende 1879 erklärte die in Rußland illegal erscheinende revolutionäre Zeitung „Narodnaja<br />

Wolja“, daß man sich nur den Schädel einrenne, wenn man unter den gegenwärtigen Verhältnissen<br />

für das Volk arbeiten will. Das deckte sich genau mit dem Eingeständnis, daß die<br />

radikale Intelligenz am Ende der siebziger Jahre dem Volke ebenso fremd geblieben war wie<br />

in der Zeit, da Nekrassow das Licht der Welt erblickte.<br />

Die bestehenden Verhältnisse machten die revolutionäre Arbeit im Volk unmöglich; aber<br />

ohne revolutionäre Arbeit im Volk war nicht zu hoffen, daß in den bestehenden Verhältnissen<br />

eine Wendung zum Besseren ein-[723]treten werde, wie das der Mißerfolg der „Partei des<br />

Volkswillens“, die versuchte, das Ende unserer heutigen Zustände mit den Kräften der Intelligenz<br />

allein herbeizuführen, deutlich gezeigt hat. Die ganze Geistesgeschichte unserer radikalen<br />

Intelligenz besteht in den Anstrengungen zur Lösung dieses Widerspruchs.<br />

Nun ist er glücklicherweise durch das Leben selbst, d. h. durch eben jenen Gang der ökonomischen<br />

Entwicklung gelöst, der einst die Reformen Alexanders II. notwendig gemacht hatte.<br />

Jetzt ist unter dem Einfluß der ökonomischen Entwicklung in unserem „Volk“ eine neue<br />

Klasse aufgekommen, die unvergleichlich wachsamer, beweglicher, teilnahmsvoller und un-<br />

1 Das Bewußtsein des Volkes wird bestimmt durch seine Lebensweise. Die ökonomische Grundlage des russischen<br />

Zarismus – die Bindung der Bauern an den Boden, der eigentlich dem Staat gehört, obwohl er sich in der Nutznießung<br />

der einzelnen Gemeinden befindet, glich vollkommen jenem ökonomischen Fundament, auf dem die Despotien<br />

im alten Orient beruhten. Kein Wunder, daß die Sitten und Anschauungen des russischen Volkes ebenfalls ein<br />

sehr deutliches östliches Gepräge hatten. Saweli, der „Held des heiligen Rußlands“ in der Dichtung „Wer lebt<br />

glücklich in Rußland?“ ist ein typischer Bauer des Ostens. Beim Lesen seiner Erzählung, wie seine Mutter „Koreshina“<br />

sich der Zahlung der Abgaben an ihren Gutsherrn Schalaschnikow entzog, muß man unwillkürlich an das<br />

Buch „Manners and Customs of Ancient Egyptians“ von Wilkinson denken (siehe Bd. II, S. 40 ff.).<br />

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