18.09.2015 Views

erschien nennen menschenähnlichen

Zur PDF-Datei... - Max Stirner Archiv Leipzig

Zur PDF-Datei... - Max Stirner Archiv Leipzig

SHOW MORE
SHOW LESS
  • No tags were found...

Create successful ePaper yourself

Turn your PDF publications into a flip-book with our unique Google optimized e-Paper software.

OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 11.07.2013<br />

Man muß auch bemerken, daß – je nachdem, wie die Arbeit ausgeführt wird: ob von einem<br />

Produzenten oder von einer ganzen Gruppe – Lieder für einen einzelnen Sänger oder für einen<br />

ganzen Chor entstehen, wobei die Chorgesänge sich ebenfalls in einige Kategorien unterteilen.<br />

In allen diesen Fällen wird der Rhythmus des Gesangs immer streng durch den<br />

Rhythmus des Produktionsprozesses bestimmt. Aber das ist nicht alles. Der technologische<br />

Charakter des Prozesses hat ebenso entscheidenden Einfluß auf den Inhalt der die Arbeit begleitenden<br />

Lieder. Das Studium der Wechselbeziehung zwischen Arbeit, Musik und der Poesie<br />

führte Bücher zu der Schlußfolgerung, „daß Arbeit, Musik und Dichtung auf der primitiven<br />

Stufe ihrer Entwicklung in eins verschmolzen gewesen sein müssen, daß aber das<br />

Grundelement dieser Dreieinheit die Arbeit gebildet hat, während die beiden andern nur akzessorische<br />

Bedeutung haben“ 1 .<br />

Die Laute, die viele Produktionsprozesse begleiten, haben schon von sich aus eine musikalische<br />

Wirkung; außerdem ist für die primitiven Völker die Hauptsache an der Musik der<br />

Rhythmus, und so ist es nicht schwer zu verstehen, wie ihre anspruchslosen musikalischen<br />

Werke aus den Lauten entsprangen, die durch die Berührung der Arbeitswerkzeuge mit dem<br />

Arbeitsgegenstand hervorgerufen wurden. Das vollzog sich auf dem Wege der Verstärkung<br />

dieser Laute, durch das Hineinbringen einiger Abwechslung in ihren Rhythmus und überhaupt<br />

durch ihren Gebrauch zur Wiedergabe menschlicher Gefühle. 2 Dazu mußte man aber<br />

den Arbeitswerkzeugen zunächst ein anderes Aussehen geben, und so verwandelten sie sich<br />

in Musikinstrumente.<br />

[69] Früher als andere Werkzeuge mußten solche eine Umänderung erfahren, mit denen der<br />

Produzent einfach auf den Arbeitsgegenstand schlug. Bekanntlich ist die Trommel unter primitiven<br />

Völkern sehr verbreitet, und bei einigen ist sie bis zum heutigen Tage das einzige<br />

Musikinstrument geblieben. Die Saiteninstrumente gehörten ursprünglich zur selben Kategorie,<br />

da die primitiven Musikanten beim Spiel auf die Saiten schlugen. Die Blasinstrumente<br />

jedoch treten bei ihnen gänzlich in den Hintergrund: am häufigsten trifft man die Flöte, deren<br />

Spiel nicht selten einige gemeinsam ausgeführte Arbeiten begleitet, damit sie rhythmisches<br />

Gleichmaß erhalten. 3 Ich kann hier die Ansicht Büchers über die Entstehung der Poesie nicht<br />

ausführlich behandeln; mir ist es bequemer, das in einem der nächsten Briefe zu tun. Ich will<br />

nur kurz sagen: Bücher ist überzeugt, daß zu ihrer Entstehung energische rhythmische Körperbewegungen<br />

führten, namentlich Körperbewegungen, die wir Arbeit <strong>nennen</strong>, und daß dies<br />

nicht nur auf die poetische Form zutrifft, sondern auch bezüglich des Inhalts. 4<br />

Wenn die bemerkenswerten Schlußfolgerungen Büchers richtig sind, können wir mit Recht<br />

sagen, daß die Natur des Menschen (die physiologische Natur seines Nervensystems) ihn<br />

zwar befähigte, die Musikalität des Rhythmus zu bemerken und sich daran zu erfreuen, daß<br />

aber die Technik seiner Produktion das weitere Schicksal dieser Fähigkeit bestimmte.<br />

Die Forscher haben die innige Verbindung zwischen dem Zustand der Produktivkräfte der<br />

sogenannten primitiven Völker und ihrer Kunst schon längst bemerkt. Da sie jedoch in der<br />

überwiegenden Mehrzahl der Fälle auf dem idealistischen Standpunkt standen, erkannten sie<br />

das Vorhandensein dieser Verbindung gewissermaßen nur gegen ihren Willen an und gaben<br />

ihr eine falsche Erklärung. So sagt der bekannte Kunsthistoriker Wilhelm Lübke, bei den<br />

primitiven Völkern tragen die Werke der Kunst das Gepräge der natürlichen Notwendigkeit<br />

an sich, während sie bei den zivilisierten Völkern von geistigem Bewußtsein durchdrungen<br />

sind. Hinter dieser Gegenüberstellung steht nichts anderes als das idealistische Vorurteil. In<br />

1 Ebenda, S. 78; [vierte Auflage, 1909, S. 364].<br />

2 Ebenda, S. 91; [vergl. vierte Auflage, 1909, S. 380/381].<br />

3 Ebenda, S. 91/92; [vergl. vierte Auflage, 1909, S. 381-383].<br />

4 Ebenda, S. 80; [vergl. vierte Auflage, 1909, S. 365].<br />

20

Hooray! Your file is uploaded and ready to be published.

Saved successfully!

Ooh no, something went wrong!