erschien nennen menschenähnlichen
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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 21.07.2013 [700] N. A. Nekrassow* Dem Donkomitee der SDAPR gewidmet Vorwort Am zehnten Januar dieses Jahres, fünfundzwanzig Jahre nach dem Tode N. A. Nekrassows, wurde von den Russen in Genf eine Feier zu seinem Gedenken veranstaltet. Die Veranstalter dieser Festversammlung hatten mir – zusammen mit Herrn A. – nahegelegt, ein paar Worte zu sprechen, durch die das literarische Schaffen des dahingeschiedenen Dichters nach der einen oder anderen Seite hin beleuchtet würde. Ich nahm diesen Vorschlag gern an und sprach über das Thema: „Volk und Intelligenz in der Dichtung N. A. Nekrassows“. Einige Zeit später baten mich meine Genossen, ich möge meine Rede bearbeiten, damit sie gedruckt werde. Das tue ich jetzt, indem ich meinen Worten auf der Versammlung am zehnten Januar einiges Ergänzende hinzufüge. Da aber meine Arbeit, zwar in bescheidenen Grenzen gehalten, für die „Iskra“ immerhin zu umfangreich ist – wo sie ursprünglich gedruckt werden sollte –‚ habe ich mit meinen Genossen beschlossen, sie als Sonderbroschüre herauszugeben. Ich würde mich freuen, wenn die Leser mit meiner Würdigung des Dichters, der in der Entwicklungsgeschichte unseres gesellschaftlichen Selbstbewußtseins eine große Rolle gespielt hat, einverstanden wären. Hat der Leser den Inhalt meiner Broschüre kennengelernt, wird er auch ohne Erklärungen meinerseits erkennen, warum ich sie dem Donkomitee der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Rußlands gewidmet habe, das eine der bedeutsamsten Erscheinungen des Befreiungskampfes des russischen Proletariats geleitet hat. G. Plechanow Genf, den 10. März 1903 [701] N. A. Nekrassow Zum 25. Todestag Verschiedenen Zeitaltern wird eine verschiedene Begeisterung zu Teil. F. W. Schelling Unser genialer Kritiker W. G. Belinski schrieb an einen seiner Moskauer Freunde über Nekrassow: „Was für ein Talent besitzt doch dieser Mensch, und was für ein Beil ist sein Talent!“ 1* Dieses begeisterte Lob entbehrt nicht einer gewissen Zweideutigkeit. Das Beil ist ein sehr nützliches Arbeitswerkzeug; es ist zeitlich eines der ersten Kulturgüter, die sich der Mensch erwarb. Aber Dinge, die man mit dem Beil herstellt, sind gewöhnlich unansehnlich; wir sagen nicht umsonst: „Grobarbeit“. Und man muß gestehen, daß die Werke Nekrassows oft gerade eine solche Arbeit darstellen. Ich erinnere mich, wie eines Tages der nun schon von uns gegangene Wsewolod Garschin, der das dichterische Talent Nekrassows nicht sehr schätzte und der damals (in seiner Studentenzeit) den „Tendenzgehalt“ seiner Dichtkunst scharf verurteilte, in einer Debatte mit mir über die „Russischen Frauen“ spöttisch deklamierte: Bequem und leicht, gefügt genau Покоен, прочен и легок * Anmerkungen zu: N. A. Nekrassow (S. 700-724) am Ende des Kapitels. 1* Belinski schrieb über das Talent Nekrassows an I. S. Turgenew in dem Brief vom 19. Februar 1847. (Siehe Belinski, Briefe, Bd. III, St. Petersburg 1914, S. 181.) 1
OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 21.07.2013 war jenes Schlittens Wunderbau. На диво сдаженный возок Ungeachtet meiner besonderen Begeisterung für den Dichter der „Rache und des Leides“ mußte ich zugeben, daß sich «возок» auf «легок» schlecht reimt. Nekrassow hat wohl selbst gefühlt, daß die Sache nicht recht stimmt; aber er hat daran nicht nur nicht Anstoß genommen, sondern etwas weiter unten nochmals gesagt: Und schnell und wunderbar und glatt Покоен, прочен и легок jagt unser Schlitten durch die Stadt. Катится городом возок Solchen Verstößen gegen das ästhetische Gefühl begegnet man bei Nekrassow auf Schritt und Tritt. Seine Verse fließen nicht glatt dahin, sie sind, wie er sie selbst charakterisierte, schwerfällig und plump. Seine [702] Sprache ist selten klangvoll. In den Ohren von Menschen, die in den ästhetischen Traditionen der vierziger Jahre herangebildet und durch die wundervolle Musik der Verse Puschkins und Lermontows verwöhnt waren, mußten solche Zischlaute schrecklich klingen: Von denen, die jauchzen, von denen, die schwätzen, Die ihre Hände besudeln mit Blut, Führ mich hinweg zu denen, die schätzen... usw. Das klingt ziemlich schlecht. Doch wäre das nur halb so schlimm; es betrifft nur den Versbau, d. h. das Äußerliche, sozusagen die Oberfläche des Dichterwerkes. Das Schlimme ist vielmehr, daß die Dichtungen Nekrassows häufig auch in ihrem inneren Aufbau den künstlerischen Anforderungen nicht genügen. Als Beispiel will ich eine seiner berühmtesten und, meiner Ansicht nach, bedeutsamsten Schöpfungen, die „Betrachtungen an der Paradetreppe“, anführen. Sie erinnern sich dieser Stelle: Der Herr jedoch im üppigen Palast Hielt noch in Schlafes Armen süße Rast... Du hältst im Leben für das allerbeste Scharwenzeln ohne Scham und Rausch und Feste, Und treibst’s mit Saufen, Spiel und Frauenraub. Wach auf! Noch gibt es andre Freud hienieden: Bring sie zurück! Sie retten – dir ist es beschieden! Doch ist der Glückliche fürs Gute taub... Dich schrecken keine himmlischen Gewalten, Die Erde gängelst du mit deiner Hand; Doch diesen Menschen hier, den unbekannten, Hält bittrer Gram das Herz umspannt. Das ist edel und alles sehr schön gesagt; aber leider ist es nichts als schwungvolle Prosa (böse Zungen haben gesagt: Rhetorik). Poesie ist nicht darin enthalten, und deshalb ist diese ganze Stelle, die so viele [703] Tausende russische Herzen höher schlagen ließ (und dadurch überzeugend bewies, daß mehr als bloße „Rhetorik“ darin war), für das dichterische Werk nicht nur keine Zierde, sondern das Ganze wird durch sie direkt verdorben, und sie wäre viel eher am Platze in einem Artikel oder – noch besser – in einer Rede. Das prosaische Element war in der Dichtung Nekrassows überhaupt sehr stark, was Veranlassung gab, sie als tendenziös zu bezeichnen. Allein, hier handelt es sich eigentlich nicht um etwas Tendenziöses, sondern einfach darum, daß das dichterische Talent Nekrassows unzulänglich war und – worauf es wohl 2
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N. A. Nekrassow*<br />
Dem Donkomitee der SDAPR gewidmet<br />
Vorwort<br />
Am zehnten Januar dieses Jahres, fünfundzwanzig Jahre nach dem Tode N. A. Nekrassows,<br />
wurde von den Russen in Genf eine Feier zu seinem Gedenken veranstaltet. Die Veranstalter<br />
dieser Festversammlung hatten mir – zusammen mit Herrn A. – nahegelegt, ein paar Worte zu<br />
sprechen, durch die das literarische Schaffen des dahingeschiedenen Dichters nach der einen<br />
oder anderen Seite hin beleuchtet würde. Ich nahm diesen Vorschlag gern an und sprach über<br />
das Thema: „Volk und Intelligenz in der Dichtung N. A. Nekrassows“. Einige Zeit später baten<br />
mich meine Genossen, ich möge meine Rede bearbeiten, damit sie gedruckt werde. Das tue ich<br />
jetzt, indem ich meinen Worten auf der Versammlung am zehnten Januar einiges Ergänzende<br />
hinzufüge. Da aber meine Arbeit, zwar in bescheidenen Grenzen gehalten, für die „Iskra“ immerhin<br />
zu umfangreich ist – wo sie ursprünglich gedruckt werden sollte –‚ habe ich mit meinen<br />
Genossen beschlossen, sie als Sonderbroschüre herauszugeben. Ich würde mich freuen, wenn<br />
die Leser mit meiner Würdigung des Dichters, der in der Entwicklungsgeschichte unseres gesellschaftlichen<br />
Selbstbewußtseins eine große Rolle gespielt hat, einverstanden wären.<br />
Hat der Leser den Inhalt meiner Broschüre kennengelernt, wird er auch ohne Erklärungen<br />
meinerseits erkennen, warum ich sie dem Donkomitee der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei<br />
Rußlands gewidmet habe, das eine der bedeutsamsten Erscheinungen des Befreiungskampfes<br />
des russischen Proletariats geleitet hat.<br />
G. Plechanow Genf, den 10. März 1903<br />
[701]<br />
N. A. Nekrassow<br />
Zum 25. Todestag<br />
Verschiedenen Zeitaltern wird eine<br />
verschiedene Begeisterung zu Teil.<br />
F. W. Schelling<br />
Unser genialer Kritiker W. G. Belinski schrieb an einen seiner Moskauer Freunde über<br />
Nekrassow: „Was für ein Talent besitzt doch dieser Mensch, und was für ein Beil ist sein<br />
Talent!“ 1* Dieses begeisterte Lob entbehrt nicht einer gewissen Zweideutigkeit. Das Beil ist<br />
ein sehr nützliches Arbeitswerkzeug; es ist zeitlich eines der ersten Kulturgüter, die sich der<br />
Mensch erwarb. Aber Dinge, die man mit dem Beil herstellt, sind gewöhnlich unansehnlich;<br />
wir sagen nicht umsonst: „Grobarbeit“. Und man muß gestehen, daß die Werke Nekrassows<br />
oft gerade eine solche Arbeit darstellen. Ich erinnere mich, wie eines Tages der nun schon<br />
von uns gegangene Wsewolod Garschin, der das dichterische Talent Nekrassows nicht sehr<br />
schätzte und der damals (in seiner Studentenzeit) den „Tendenzgehalt“ seiner Dichtkunst<br />
scharf verurteilte, in einer Debatte mit mir über die „Russischen Frauen“ spöttisch deklamierte:<br />
Bequem und leicht, gefügt genau<br />
Покоен, прочен и легок<br />
* Anmerkungen zu: N. A. Nekrassow (S. 700-724) am Ende des Kapitels.<br />
1* Belinski schrieb über das Talent Nekrassows an I. S. Turgenew in dem Brief vom 19. Februar 1847. (Siehe Belinski,<br />
Briefe, Bd. III, St. Petersburg 1914, S. 181.)<br />
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