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erschien nennen menschenähnlichen

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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 21.07.2013<br />

schon die Zersetzung der alten bäuerlichen Lebensweise an, sie ist das Resultat der Unbeständigkeit,<br />

die durch die Goldgruben in das Leben der werktätigen Masse hineingetragen<br />

worden ist. Ein echter Bauer gibt seine Frau nicht her, ebensowenig wie er das Pferd verkauft,<br />

das zu „seinem Hof“ gehört, wenn ihn nicht äußerste Not dazu zwingt: eine solche Abtretung<br />

brächte zuviel Unordnung in seine Wirtschaft.<br />

Die Einrichtungen, die den Gegenstand unserer Betrachtung bilden, zeichnen sich durch eine<br />

erstaunliche Lebensfähigkeit aus. Das Wucherkapital plündert die Erzeuger aus und erniedrigt<br />

sie, aber es ändert nichts an der Produktionsweise. Diese Produktionsweise kann Jahrtausende<br />

hindurch fast ohne jegliche Veränderung bestehen. Dementsprechend zeichnen sich<br />

auch die auf ihrer Grundlage entstehenden gesellschaftlichen Verhältnisse durch eine erstaunliche<br />

Beständigkeit aus. Länder, in denen sie herrschen, betrachtet man mit Recht als stagnierende<br />

Länder. Die Menschheit ist zu höheren Stufen der kulturellen Entwicklung nur dort<br />

vorgeschritten, wo eine günstige Verquickung der Umstände das Gleichgewicht dieser barbarischen<br />

Einrichtungen gestört, wo die ökonomische Entwicklung die Barbaren aus ihrem<br />

jahrhundertelangen Schlafe aufgerüttelt hat. Es war ein großes Glück für alle Russen ohne<br />

Ausnahme, daß es Rußland nicht vom Schicksal bestimmt war, in einen so tiefen Schlaf zu<br />

versinken wie andere historische Oblomow-Länder in der Art Ägyptens und Chinas. Seine<br />

Rettung war der Einfluß der westlichen Nachbarn, durch den es bereits den Weg der allgemein<br />

europäischen ökonomischen Entwicklung beschritten hat, auf dem es kein Zurück mehr<br />

gibt. Seit Aufhebung der Leibeigenschaft ist der Zusammenbruch unserer alten Wirtschaftsordnung<br />

sehr rasch vorangeschritten, das frühere Reich der Finsternis auf weiten Strecken<br />

erhellend. Trotz ihrer eifrigsten Versuche, diese Ordnung zu idealisieren, ist unseren<br />

volkstümlerischen Belletristen nichts anderes übriggeblieben, als diesen Zersetzungsprozeß<br />

selbst wie auch seine gesellschaftlichen und psychologischen Folgen darzustellen. Beschäftigt,<br />

wie er ist, seine humanitäre Lehre zu verkünden, wird die Sache in dieser Hinsicht von<br />

Naumow nur ganz gelegentlich gestreift. 1 Aber bei Gl. Uspenski, Karonin und Slatowratski<br />

wird sie grell beleuchtet.<br />

[691] Durch eine seltsame Ironie des Schicksals mußten die besten volkstümlerischen Belletristen<br />

den Sieg der neuen ökonomischen Ordnung schildern, von der Rußland, wie sie meinten,<br />

nichts anderes zu erwarten hatte als materielle und geistige Not aller Art. Diese Ansicht<br />

über die neue Ordnung mußte sich auch in ihren Werken widerspiegeln. Mit ganz wenigen<br />

Ausnahmen (zum Beispiel Karonins Erzählung „Von unten nach oben“) schildern sie nur die<br />

negativen Seiten des Prozesses, den wir durchmachen, und die positiven Seiten werden nur<br />

zufällig, unfreiwillig und obenhin gestreift. Es ist zu hoffen, daß mit dem Verschwinden<br />

volkstümlerischer Vorurteile Schriftsteller bei uns auftreten werden, die bewußt danach streben,<br />

die positiven Seiten dieses Prozesses zu studieren und künstlerisch wiederzugeben. Das<br />

wird ein großer Schritt vorwärts in der Entwicklung unserer schöngeistigen Literatur sein.<br />

Und um einen solchen Schritt nach vorn zu tun, dürfen die Künstler das Mitgefühl für die<br />

Volksmasse in sich nicht ersticken; es hat die stärkste und sympathischste Seite der<br />

Volkstümlerrichtung ausgemacht. Keineswegs. Dieses Mitgefühl wird natürlich einen anderen<br />

Charakter tragen. Aber durch die Veränderung wird dieses Mitgefühl nur verstärkt werden.<br />

So sehr die Volkstümler die bäuerliche Masse auch idealisiert haben, sie betrachteten sie<br />

doch von oben nach unten und sahen in ihr ein brauchbares Material für ihre wohltätigen hi-<br />

1 Er berührt sie nur da, wo er die Familienverhältnisse der Bauern und die in sie eindringenden Neuerungen schildert.<br />

„Die jungen Leute schimpfen auf die Alten, daß es nicht mehr so gemacht wird, wie es recht ist... daß der<br />

Sohn zur Arbeit geht, der Vater aber in die Kneipe“, sagt ein Bauer in den „Skizzen ohne Schatten“: „Der Sohn<br />

trachtet, daß er eine Kopeke heimbringe, der Vater, daß er sie forttrage. Und [691] die Alten sagen, daß die Jungen<br />

nichts mehr taugen, daß sie nicht mehr folgen wollen...“ (Bd. II, S. 346). Das ist schon ein deutliches Anzeichen<br />

der Zersetzung der alten Familienordnung, aber Naumow ist sich noch nicht recht klar, was das zu bedeuten hat.<br />

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