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erschien nennen menschenähnlichen

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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 21.07.2013<br />

als irgendein Industriearbeiter, der immer nur ein und dieselbe Arbeit verrichte. Zur Prüfung<br />

dieser Ansicht empfehlen wir sehr die Erzählung „Samora“ im I. Band der Werke Naumows.<br />

Samora heißen die Wassergruben, die sich in der Schneeschmelze auf den Wegen bilden.<br />

Fährt einer daher und bleibt in einer stecken, dann ist schwer wieder herauskommen. Darum<br />

sind sie sehr gefürchtet. Samora wird in der Erzählung Naumows der Bauer Maxim Korolkow<br />

genannt, der eine unter der „Intelligenz“ ganz unbekannte Eigenschaft besitzt – den<br />

„Hang zur Grübelei“. Aus den Erklärungen seiner Dorfgenossen geht übrigens hervor, daß<br />

diese seltsame Eigenschaft nichts anderes ist als die Neigung zur besinnlichen Betrachtung:<br />

„Samora grübelt gleich immer über etwas nach: Warum und woher alles das ist und wo das<br />

Gesetz ist.“ Die Bauern sind der Meinung, diese Neigung habe in ihrem Leben gar keinen<br />

Platz; sie sind der Überzeugung, Denken sei „nichts für Bauern“. [683] Natürlich kann auch<br />

der Bauer nicht dahinvegetieren, ohne überhaupt einmal zu denken: „... er möchte vielleicht<br />

manche Zeit leben und nicht denken, aber, siehst du, das Denken fragt nicht danach, ob es<br />

erwünscht ist oder nicht, sondern es kommt einem von selbst in den Kopf, ohne daß man es<br />

haben will“. Aber es gibt diese und jene Gedanken. Manchem Gedanken darf der Bauer<br />

„freien Zutritt“ gewähren, einen anderen muß er von sich weisen und „unterdrücken“, weil er<br />

„verrückt“, d. h. schädlich ist. Für verrückt hält man Gedanken, die sich nicht auf die eigene<br />

Wirtschaft des Nachdenkenden, sondern auf die bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse<br />

oder auch nur Gewohnheiten beziehen. Samora fragt: „Warum trinkt man Branntwein,<br />

obwohl man nach göttlichem Gesetz keinen trinken soll, und bringt sich damit Schaden?“<br />

Das war, nach Ansicht des Bauern, der ihn dem Verfasser mitteilte, ein schädlicher Gedanke,<br />

denn „so“ geht es nicht.<br />

„‚Weshalb geht das nicht, erklärst du mir das?‘ fragt ihn der Verfasser.<br />

‚Das darf nicht sein, der Bauer darf sich mit solchen Gedanken nicht abgeben‘, antwortet er<br />

erregt. ‚Für den Bauern, Väterchen, gibt’s nur das eine: ackern, säen, sich um seine Wirtschaft<br />

kümmern, auf das achten, was die Obrigkeit von einem verlangt – in das Übrige darf er<br />

sich nicht vertiefen...‘<br />

‚Man soll sich also um nichts kümmern, was um einen herum geschieht? he?‘<br />

‚Aber auch kein bißchen!‘<br />

‚Aber Samora wollte alles wissen?‘<br />

‚Ja, und ich sag’, er hat sich förmlich darin verbissen! Das Denken, Väterchen, das ist genauso<br />

wie wenn man recht Hunger hat und in ein Weißbrot beißt – da kann man nicht mehr widerstehen;<br />

wenn man einmal ins Denken hineinkommt, merkt man gar nicht, wie man überschnappt.‘<br />

‚Durch das Denken?‘<br />

‚Nun ja, indem man bald an dies denkt, bald an jenes, was man überhaupt nicht zu wissen<br />

braucht‘“ (Bd. I, S. 285).<br />

Ein Mensch, der gewohnt ist, zu „denken“, kann nur schwer begreifen, wie man davon „überschnappen“<br />

kann. Indes, der arme Samora ist wirklich davon krank geworden; er litt schließlich<br />

an Halluzinationen und „Weissagungen“. Etwas Ähnliches schildert Naumow in seiner<br />

Studie „Der Geisteskranke“. Ein Bauer, der begonnen hat, die ihn umgebenden Verhältnisse<br />

zu „erforschen“, verliert den Verstand. Als wir diese Studie lasen, fiel uns ein, welch große<br />

Rolle all die vielen „Visionen“, „Stimmen“, „Weissagungen“ usw. in der Geschichte unserer<br />

Kirchenspaltung gespielt haben. Die Kirchenspaltung war zweifellos eine der Formen des<br />

[684] Protestes gegen die Lasten, mit denen der Staat das Volk bedrückte. Bei der Kirchenspaltung<br />

protestierte das Volk mittels seines eigenen „Denkens“, aber es war ein zu Fieber-<br />

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