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erschien nennen menschenähnlichen

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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 21.07.2013<br />

daß viel Wahres daran sein könne. Selbst mancher unter ihnen ist geneigt, den beliebten<br />

Mann zum Aufrührer zu erklären. Sie sagen: „Wer weiß, ins Herz kann man ihm nicht schauen?<br />

Und daß Bytschkow bei den Behörden schlecht angeschrieben ist, das ist kein Geheimnis.“<br />

Und so tut die geschickt erfundene Geschichte bei den armen Bauern im Dorfe ihre Wir-<br />

[677]kung; das Bewußtsein der „Schuld“ Bytschkows schwächt ihre Energie bedeutend. Und<br />

als der Friedensrichter die Bauern, die zur Versammlung zur Wahl des Bezirksältesten zusammengerufen<br />

worden sind, davon in Kenntnis setzt, er werde die Wahl Bytschkows nicht<br />

zulassen, und sie dürften nicht eher nach Hause gehen, als bis sie nicht dem von den Kulaken<br />

aufgestellten Kandidaten ihre Stimme gegeben hätten – da sind sie gefügig. „Es ging natürlich<br />

nicht ohne Schimpfen und bissige Reden ab; es ging auch nicht ab ohne die üblichen<br />

Achs und ohne daß sich die Bauern mit der Hand auf die Schenkel schlugen, eine Geste, die<br />

bei ihnen sehr beliebt und die sehr vielsagend ist, aber schließlich gingen doch viele fort, ohne<br />

ein Wort zu sagen, andere stimmten für Trofim Kirillowitsch (den Kandidaten der Kulakenpartei),<br />

und am Abend dieses Wahltages war der vorher so belebte Dorfplatz ganz menschenleer:<br />

auf allen Straßen und Wegen strömten die Leute nach Hause zurück und redeten<br />

laut von den jetzigen Zuständen“ (Bd. I, S. 500/501).<br />

Und Bytschkow? Bytschkow ließ der Friedensrichter, entgegen jedem Gesetz, ins Bezirksgefängnis<br />

bringen, wo er, schreckliche Entbehrungen und Bedrückungen ausstehend, an die<br />

fünf Monate sitzen mußte. Als man ihn schließlich dank der zufälligen Fürsprache des Beisitzers<br />

wieder freiließ, mußte er feststellen, daß seine Wirtschaft heruntergekommen war und<br />

seine früheren Anhänger furchtbar verängstigt daherkamen.<br />

„Die Menschen seiner Umgebung versagten ihm zwar nicht ihre Achtung und ihr Mitgefühl“,<br />

sagt Naumow, „denn es liegt nicht in der Natur des einfachen Russen, sich von einem Menschen<br />

zurückzuziehen, weil der im Unglück ist; die Ängstlichkeit und Verstohlenheit jedoch,<br />

mit der sie sich ausdrückten, weil sie befürchteten, daß sie selber auch Verfolgungen ausgesetzt<br />

werden könnten, lösten bei ihm ein noch schmerzlicheres Gefühl aus, als wenn Achtung<br />

und Mitgefühl überhaupt nicht dagewesen wären. Sie hielten sich ganz unverblümt von ihm<br />

fern, als wäre er ein Aussätziger, und wagten nicht die Schwelle seines immer so gastlichen<br />

Hauses zu übertreten“ (Bd. I, S. 506/507). Bytschkow wurde menschenscheu, vermied allen<br />

Verkehr mit seinen Dorfgenossen, und schließlich beschloß er, in einen anderen Bezirk überzusiedeln.<br />

Die aufrichtig bedauernden Dorfgenossen gaben ihm das Geleit, und sogar als sein<br />

Fuhrwerk ihren Blicken entschwunden war, redeten sie, auf dem Nachhauseweg, noch lange<br />

davon, wie dieser Mann, in dem so viel Wahrheit gewesen, „wegen nichts“ kaputtgegangen<br />

sei.<br />

Am Schluß dieser Geschichte Jegor Semenowitschs bemerkt Naumow, Jegor sei trotz alledem<br />

nicht zugrunde gegangen und habe an seinem neuen Wohnort „die verdiente Anerkennung“<br />

gefunden: er wurde zum Bezirksältesten gewählt. Also hat die Tugend letzthin doch<br />

gesiegt. Wir [678] wissen nicht, wie es andere empfinden, uns aber macht dieser Sieg der<br />

Tugend wenig Freude; er scheint uns erdichtet oder jedenfalls reiner Zufall zu sein. Da sich<br />

die Bauern des U...er Bezirks von Bauern anderer Bezirke durch nichts unterschieden, ist<br />

klar, daß Bytschkow auch am neuen Wohnort ins Bockshorn gejagt werden konnte und daß<br />

seine neuen Dorfgenossen in diesem Falle ebenso verängstigt wie die früheren nicht nur sein<br />

konnten, sondern sein mußten.<br />

Warum hat die fortschrittliche Intelligenz der siebziger Jahre nicht bemerkt, daß es der von<br />

Naumow dargestellten leidenden Bauernmasse gänzlich an eigener Initiative mangelt? Heutzutage<br />

ist diese Frage nicht leicht zu beantworten, denn heute ist es nicht mehr so leicht, sich<br />

die geistige Verfassung des führenden Volkstümlers jener Zeit in allen Einzelheiten zu vergegenwärtigen.<br />

Die größte Wahrscheinlichkeit hat folgende Erklärung für sich: Die führende<br />

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