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erschien nennen menschenähnlichen

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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 21.07.2013<br />

ganz natürlicher- und notwendigerweise dem Bedürfnis der Besten jener Zeit entsprach. Wir<br />

Heutigen wissen ganz genau, daß der sogenannte Volkscharakter für das künftige Schicksal<br />

des Volkes keinesfalls eine Gewähr bietet, weil er selbst nur Folge bestimmter gesellschaftlicher<br />

Verhältnisse ist, mit deren mehr oder weniger wesentlicher Veränderung auch er sich<br />

mehr oder weniger wesentlich ver-[674]ändern muß. Diese Anschauung war aber der<br />

volkstümlerischen Intelligenz der siebziger Jahre völlig fremd. Sie huldigte der entgegengesetzten<br />

Anschauung, nach der Anschauungen, Gefühle, Gewohnheiten des Volkes und überhaupt<br />

der Volkscharakter die Hauptursache einer bestimmten Form gesellschaftlicher Verhältnisse<br />

sind. Die Betrachtungen über den Volkscharakter mußten für sie von ganz großem<br />

Interesse sein, hing doch von den Eigenschaften dieses Charakters, ihrer Meinung nach, die<br />

ganze künftige gesellschaftliche Entwicklung unseres Volkes ab. Und Naumow gefiel ihr<br />

gerade dadurch, daß er den Volkscharakter wenigstens zum Teil so darstellte, wie er ihrer<br />

Ansicht nach war. Selbst solche jetzt offensichtlichen Mängel seiner Werke mußten damals<br />

als große Vorzüge erscheinen. So gibt es bei Naumow eigentlich nur zwei Helden: den Ausbeuter<br />

und den Ausgebeuteten. Zwischen diesen Helden liegt eine ungeheure Kluft, und von<br />

irgendwelchen Übergängen von diesem zu jenem, von irgendwelchen Bindegliedern ist<br />

nichts zu bemerken. Das ist natürlich ein großer Mangel, der einem besonders stark auffällt,<br />

wenn man die Werke Naumows zum Beispiel mit den Werken Slatowratskis vergleicht, wo<br />

die handelnden Personen größtenteils Menschen aus dem wirklichen Leben und keine anthropomorphen<br />

Abstraktionen sind. Nur der fortschrittlichen Intelligenz der siebziger Jahre<br />

mußte dieser Mangel als Vorzug erscheinen. Sie war überzeugt, daß der Bauer als Kulak und<br />

der Bauer als Opfer der Ausbeutung durch den Kulaken überhaupt nichts miteinander gemein<br />

haben; der Kulak <strong>erschien</strong> ihr als zufälliges Produkt ungünstiger äußerer Einflüsse auf das<br />

Leben des Volkes und nicht als notwendiges Ergebnis jener Phase der ökonomischen Entwicklung,<br />

die die Bauernschaft gerade durchmachte. Ständig in leidenschaftlicher Wallung<br />

und zum Wohle des Volkes zu allem bereit, war sie gewiß, daß man diese volksfremde, äußerlich<br />

anhaftende Schicht von Parasiten eigentlich mit einem Schlage, ohne besondere Mühe,<br />

mit einer einzigen energischen Anstrengung vom Volkskörper loslösen könnte. Und diese<br />

Überzeugung, einmal bei ihr entstanden und erstarkt, konnte sie solche Skizzen aus dem<br />

Volksleben nur noch mit Mißvergnügen lesen lassen, in denen ihr bedeutet wurde, daß sie<br />

nicht ganz recht hatte, d. h. daß die Ausbeutung des Bauern durch den Bauern nicht durch<br />

sogenannte äußere Einflüsse auf das Volksleben 1 allein erzeugt wird – und umgekehrt, ihr<br />

begannen besonders solche Werke zu gefallen, in denen die Idee, in die sie verliebt waren,<br />

wenigstens einigermaßen bestätigt wurde.<br />

Der Leser erinnere sich, welch heftige und bittere Anklagen damals gegen G. I. Uspenski<br />

wegen seines angeblich übermäßigen und haltlosen [675] Pessimismus erhoben wurden.<br />

Worin bestand dieser „Pessimismus“? Er bestand darin, daß er jene Seiten des bäuerlichen<br />

Lebens darstellte, dank denen die Ungleichheit und damit auch die Ausbeutung des Bauern<br />

durch den Bauern in der Dorfgemeinschaft auch in jenen Fällen aufkommt, wo die für ihr<br />

Wachstum günstigen äußeren Einflüsse völlig fehlen. Die volkstümlerische Intelligenz hatte<br />

alle Veranlassung, mit G. I. Uspenski unzufrieden zu sein: der forschende Geist dieses bedeutsamen<br />

Menschen zersetzte nacheinander alle Hauptthesen der Volkstümlerrichtung und<br />

bereitete völlig anderen Anschauungen über unser Volksleben den Boden. Bei Naumow gab<br />

es so etwas nicht; er ließ den Leser vom Baume der Erkenntnis des Guten und Bösen nicht<br />

kosten, dessen Früchte mitunter bekanntlich recht bitter sind; er weckte, ohne sich spitzfindigen<br />

Klügeleien hinzu geben, das Gefühl des Hasses gegen die Ausbeuter, d. h. gerade eines<br />

jener Gefühle, an die zu appellieren die Hauptstärke, wenn nicht die einzige Stärke der Beweise<br />

der Volkstümler ausmachte. Den Volkstümlern mußten bei Naumow sogar jene Szenen<br />

1 Unter äußeren Einflüssen verstand man damals den Einfluß des Staates und der höheren Stände.<br />

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