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erschien nennen menschenähnlichen

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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 21.07.2013<br />

‚Na was, Bauer ist eben Bauer! Ach, bist du ein Dummkopf!‘<br />

‚Darum denke ich auch nach: warum?‘<br />

‚Darum! Der Bauer ist ein ganz ungebildeter Mensch... Äks, du Dummkopf!‘ sagte Semenytsch,<br />

spuckte und brach in ein schallendes Gelächter aus.<br />

‚In anderen Reichen gibt es doch wohl auch Bauern?‘<br />

‚In anderen Reichen, meinst du?‘<br />

‚Nun ja.‘<br />

‚Dort ist so was wie der russische Bauer gar nicht erlaubt... so was ganz Dreckiges gibt es<br />

dort nicht! Dort kommt so was Blödes nicht vor! Dort, mein Lieber, ist Sauberkeit, Bildung.‘<br />

‚Dort wird also der Bauer...‘<br />

‚Keine Spur!‘<br />

‚Bildung?‘<br />

‚Dort, meinst du? Ja dort, das muß man offen sagen, wenn du dich dort mit deiner Visage<br />

sehen läßt, dann lassen sie die Hunde auf dich los! Weil du eine ganz gemeine Bestie bist!‘“<br />

So dumm das Geschwätz Semenytschs auch war, es genügte im vorliegenden Fall vermutlich,<br />

um Öl ins Feuer zu gießen, Iwans unruhigen Geist noch mehr anzustacheln.<br />

[661] Als Iwan nun erfahren hatte, daß es in anderen Staaten so was Blödes wie den russischen<br />

Bauern „gar nicht gibt“, und zwar darum nicht gibt, weil die Menschen dort „gebildet“<br />

sind, mußte er natürlich einen Schritt weitergehen und sich fragen: Kann nicht auch die russische<br />

werktätige Bevölkerung einen solchen Bildungsgrad erreichen? Und von da waren es<br />

nur noch ein paar Schritte bis zu sehr radikalen Schlußfolgerungen.<br />

Der Schreiber dieser Zeilen traf in den siebziger Jahren in Berlin ein Artel russischer Bauern<br />

aus dem Gouvernement Nishni-Nowgorod, die in einer der Tuchfabriken der preußischen<br />

Hauptstadt arbeiteten. Wir erinnern uns, welchen Eindruck es auf sie machte, als sie die Einrichtungen<br />

im Ausland und die materielle Lage der deutschen Arbeiter kennenlernten. „So<br />

schlecht wie in Rußland ist es nirgends!“ riefen sie mit einer gewissen traurigen Erbitterung<br />

aus, und sie gaben uns gern recht, als wir sagten, es sei Zeit, daß sich die russischen Bauern<br />

gegen ihre Bedrücker erhöben.<br />

Vielleicht wäre auch Iwan zu diesem Schluß gekommen, aber ein unerwartetes Ereignis hinderte<br />

ihn daran. Seit einiger Zeit arbeitete er, wie der Verfasser sich ausdrückt, mehr mit dem<br />

Kopf als mit den Händen. In seinem einfachen landwirtschaftlichen Betrieb blieb vieles liegen,<br />

und er konnte seine Steuern nicht bezahlen. Der Dorfälteste hatte ihn schon mehrmals<br />

daran erinnert, aber Iwan beschäftigte sich weiterhin nur mit seinen Problemen. Es war unvermeidlich,<br />

daß die Sache einen traurigen Ausgang nehmen würde. Eines Tages kam der<br />

Kreispolizeichef, und Iwan wurde ins Bezirksamt gerufen, wo man ihn mit Rutenhieben an<br />

seine Bürgerpflichten erinnerte. Diese väterliche Bestrafung hat ihn niedergeschmettert. Auf<br />

dem Heimweg „schaute er sich nach allen Seiten um, da er fürchtete, er könnte jemand begegnen<br />

– er hätte sich zu Tode geschämt; ja, geschämt hätte er sich! Denn alles, was ihm seine<br />

wunderbaren Gedanken eingebracht hatten, war Scham, beißende, tödliche Scham.“<br />

Unter der Einwirkung des ersten Eindrucks wollte sich Iwan ertränken. Er war sogar ans<br />

Flußufer gelaufen und war gerade dabei, sich ins Wasser zu stürzen – da kam der Dorfälteste,<br />

noch rechtzeitig, weil er verflucht dringend Leute zur Instandsetzung der Brücke brauchte,<br />

die zu einem sehr ungünstigen Zeitpunkt, gerade vor Ankunft des Kreispolizeichefs, zusam-<br />

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