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erschien nennen menschenähnlichen

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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 21.07.2013<br />

Dann gestand er, daß ihn damals ‚der böse Feind verführt habe‘. Er schämte sich dessen, was<br />

er früher getan hatte. Und so blieb Jegor Pankratow von nun an immerfort. Er wurde gegen<br />

alles gleichgültig. Es war ihm anscheinend ganz einerlei, wie es ihm ging, und wenn er überhaupt<br />

noch leben wollte, so deshalb, weil die anderen, beispielsweise Ilja Maly, auch lebten...“<br />

Natürlich blieben Jegor Pankratow und Ilja Maly nach wie vor die besten Freunde; sie arbeiteten<br />

„zusammen“, ertrugen „zusammen“ alles Ungemach, und nicht selten wurden beide<br />

zusammen ausgepeitscht.<br />

So strafte das Dorf unserer Zeit den „freien Menschen“ wegen seines Strebens nach einem<br />

Leben „gemäß den Grundsätzen“.<br />

VIII<br />

In der Erzählung „Der Gelehrte“ treffen wir auf eine ähnliche Erscheinung: das in einem<br />

Bauern erwachte Bewußtsein seiner Menschenwürde hält dem Zusammenstoß mit der ihn<br />

umgebenden deprimierenden Wirklichkeit nicht stand; das Flämmchen Denkens, das in ihm<br />

zu brennen begonnen hatte, erlischt unter einer schweren moralischen Kränkung.<br />

Diesmal haben wir es mit einem „Bewohner“ zu tun, der den einzig richtigen Weg gewählt<br />

hat, seinen Verstand in „Ordnung“ zu bringen. Onkel Iwan, „Bewohner“ von Paraschkino,<br />

zeichnet sich durch ungewöhnlichen Wissensdurst, durch leidenschaftliche Liebe zu Büchern<br />

aus. Trotz seines reifen Alters geht er zur Schule, wo er den Spott mutwilliger Kinder, die<br />

sich über alle Schnitzer und Fehler ihres erwachsenen Kameraden mit kindlicher Grausamkeit<br />

lustig machen, mit stoischer Ruhe erträgt. Der Schullehrer taugte aber nichts, und bald<br />

ließ die Kreisverwaltung die Schule ganz schließen. Und so hatte Iwan nur etwas Halbes gelernt;<br />

er konnte nur mit Mühe und Not Gedrucktes lesen und betrachtete die Kunst des<br />

Schreibens als die höchste, für ihn unerreichbare Weisheit. Nichtsdestoweniger blieb er immer<br />

ein recht eifriger „Leser“. Keinen größeren Genuß gab es für ihn, als sich in der Stadt ein<br />

Büchlein zu kaufen und, wenn er mit seinen Arbeiten in der Landwirtschaft fertig war, sich<br />

hinzusetzen und zu lesen. Das Schlimme war nur, daß er in den gekauften Büchern durchaus<br />

nicht alles verstand. Manchmal kam darin so ein Wort vor, das er, trotz aller Bemühungen,<br />

ohne fremde Hilfe nicht verstehen konnte. Dann ging Iwan zu Semenytsch, dem Schreiber,<br />

und [660] ließ sich gegen anständige Belohnung in Gestalt einer Flasche Schnaps das schwierige<br />

„Wörtchen“ erklären. Freilich entsprachen die Erklärungen des Schreibers durchaus<br />

nicht immer dem wirklichen Sinn des schwierigen Wortes, aber Iwan konnte auf seine Hilfe<br />

nicht verzichten. Semenytsch war der Gescheiteste im Dorf. Und mit der Zeit wandte sich<br />

Iwan nicht nur wegen seiner „Wörtchen“ an ihn, sondern auch dann, wenn sich in seinem<br />

Kopfe Fragen regten, die die „seltsame“ Philosophie der Vorfahren nicht gelöst hatte. Und<br />

solche Fragen tauchten im Kopfe des unwissenden Lesers immer öfter auf.<br />

„Woher kommt das Wasser? Oder dann auch die Erde?... Warum und wohin ziehen die Wolken?“<br />

Ja, mehr noch, es kam auch die Frage: „Woher kommt der Mushik?“ Der Verfasser hat<br />

das Gespräch über diese Frage zwischen Iwan und Semenytsch sehr schön dargestellt.<br />

„‚Zum Beispiel der Bauer...‘ Onkel Iwan hielt inne und blickte gespannt auf Semenytsch.<br />

‚Die Bauern kann man bei uns gar nicht mitzählen‘, erwiderte der.<br />

‚Aber warte mal, Semenytsch... sei nicht böse ... Nun, zum Beispiel ich, ich bin Bauer, unwissend,<br />

mit einem Wort – ganz dumm... Und warum?‘<br />

In Onkel Iwans Augen zeigte sich ein Ausdruck der Qual.<br />

Semenytsch vergaß die Schnapsflasche; er spuckte sogar aus.<br />

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