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erschien nennen menschenähnlichen

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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 21.07.2013<br />

keine Befriedigung mehr finden, erst ein neues Lebensziel, neue sittliche und gesellschaftliche<br />

Aufgaben – dann bleibt von ihrer Neigung zu unlösbaren metaphysischen Fragen keine<br />

Spur.<br />

Aus Metaphysikern werden sie wieder zu lebendigen Menschen, die über das Leben nachdenken,<br />

aber nicht mehr im alten Sinne, sondern auf neue Art. Auch auf andere Weise kann<br />

man sich von dieser Krankheit kurieren: indem man die Umgebung, die einen auf solche<br />

„Todesgedanken“ gebracht hat, verläßt, indem man sie vergißt und eine solche Beschäftigung<br />

findet, die mit den alten Verhältnissen, in denen man gelebt, nichts gemein hat. Es ist sehr<br />

wohl möglich, daß auch in der neuen Umgebung, die einen aufgenommen hat, eigene „verfluchte<br />

Probleme“ auftauchen, aber man läßt sie sich nichts angehen, und bis sie in unserem<br />

Verstand und in unserem Herzen Eingang gefunden haben, hat man Zeit genug, der Ruhe zu<br />

pflegen, hat man Muße, den Zustand der „Unempfindlichkeit“ bis zu einem gewissen Grade<br />

zu genießen. Eine solche Kur mittels der Flucht aus den hergebrachten Verhältnissen ist nicht<br />

gerade verlockend, allein, unter Umständen kann sie zweifellos äußerst wirksam sein. Gawrilo<br />

hat nun eben dieses Mittel gewählt und hat sich auf seine Weise kuriert. Nicht der „Besen“<br />

hat ihn geheilt, sondern ganz einfach die Veränderung der äußeren Verhältnisse. Sobald er<br />

das Dorf verlassen hatte, fanden auch [654] die Qualen ein Ende, die ihm die dortigen ungeordneten<br />

Verhältnisse bereitet hatten, und zugleich damit waren auch die „Todesgedanken“<br />

hinweggefegt.<br />

VII.<br />

Die krankhafte Gemütsstimmung, die einen Bauern unter der Einwirkung der modernen dörflichen<br />

Verhältnisse ergreift, bildet den Hauptgedanken auch einer anderen Erzählung des<br />

Herrn Karonin – „Der kranke Bürger“.<br />

Der Held dieser Erzählung, der Bauer Jegor Fedorowitsch Gorelow kümmerte sich, wie<br />

Gawrilo, um seine Wirtschaft überhaupt nicht mehr, er verabscheute die Einrichtungen des<br />

Dorfes und grübelte immer über dieselben Fragen nach: „wozu alles, wofür, und woran soll<br />

man sich halten?“ Indes, er kam schon zu einer recht bestimmten und recht konkreten Antwort<br />

auf diese Fragen. Zwar machte er sich ebenso unwiderruflich los von der „Macht der<br />

Erde“ wie Gawrilo; aber er verfiel nicht in einen Zustand der Erstarrung, er wurde nicht zu<br />

einem „Idol“. Er hat ein bestimmtes Ziel, und dem strebt er zu, soweit es seine Kraft und die<br />

Umstände erlauben. „Man kann auf verschiedene Art in der Landwirtschaft arbeiten“, antwortet<br />

Jegor Fedorow auf die Frage, warum er lieber als Taglöhner arbeite und nicht in seinem<br />

eigenen Hause. „Die Hauptsache ist, daß der Verstand in Ordnung bleibt. Ein Mensch,<br />

der halb verrückt ist und der von der Landwirtschaft überhaupt nichts mehr wissen will, dem<br />

ist alles gleich...“ Seltsam klingen solche Worte im Munde eines russischen Bauern, und es<br />

nimmt nicht wunder, daß, wie der Autor bemerkt, viele seiner Dorfgenossen nach dem Gespräch<br />

mit Jegor Fedorowitsch „eine traurige Stimmung befiel“. Der Mann, der mit ihm gesprochen<br />

und die oben angeführte Antwort bezüglich der Landwirtschaft vernommen hatte,<br />

wollte seinen Ohren nicht trauen. „Seine Verwunderung war so groß, als hätte man ihm gesagt,<br />

daß seine Füße mitsamt den Fußlappen eigentlich auf seinem Kopfe wachsen.“ Er konnte<br />

nur „Nein, so was!“ stammeln, und seit dieser Zeit fragte der Gorelow nicht mehr aus, da<br />

er sich unbändig vor ihm fürchtete. Dieser Mann, der mit Gorelow gesprochen hatte, hatte<br />

offenbar noch nicht die alte bäuerliche Unmittelbarkeit verloren und lebte, ohne sich spitzfindigen<br />

Grübeleien hinzugeben. Er war auch so ein Iwan Jermolajewitsch, der sich übrigens<br />

keine Gelegenheit entgehen ließ, ein bißchen zu handeln und ein paar Kopeken zu verdienen.<br />

Er konnte Gorelow nicht verstehen, der seinerseits auch ihn und seinesgleichen nicht mehr<br />

verstand. Nachdem sich Jegor Fedorowitsch in seinem Kopfe eine bestimmte „Ordnung“ zurechtgelegt<br />

hatte, begann er, [655] sich über das Los seiner Dorfgenossen intensiv Gedanken<br />

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