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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 21.07.2013<br />

‚Das Leben freut mich nicht mehr – das ist meine Krankheit! Ich weiß nicht, wozu alles, wofür...<br />

woran ich mich halten soll...‘ sagte Gawrilo, hartnäckig auf seiner Meinung bestehend.<br />

‚Bist du nicht Bauer?‘ fragte der Priester streng.<br />

‚Ich bin Bauer, das stimmt.‘<br />

‚Was willst du denn mehr! Baue dein Korn im Schweiße deines Angesichts, und es wird dir<br />

wohlergehen, wie es in der Heiligen Schrift heißt...‘<br />

‚Und was soll mir das Getreide?‘ wollte Gawrilo wissen.<br />

[651] ‚Was du damit sollst? Du redest wahrhaftig irr.. . Der Mensch braucht das Brot.‘<br />

‚Das Brot, das stimmt, da gibt’s nichts zu sagen... Das Brot, das ist schon recht. Aber was hat<br />

es für einen Zweck? Das ist’s ja gerade. Heute eß ich Brot, und morgen eß ich auch wieder<br />

Brot... Da stopft man das Brot in sich hinein wie in ein Loch, wie in einen leeren Sack, und<br />

wozu? Das ist das Traurige... So ist’s bei jeder Sache: man nimmt sich was recht schön vor,<br />

macht sich an die Arbeit, und plötzlich fragt man sich dann: weshalb, wozu? Und das ist das<br />

Traurige...‘<br />

‚Du mußt doch was zum Leben haben, du Dummkopf! Das ist es, wofür du arbeiten mußt‘,<br />

sagte der Priester zornig.<br />

‚Und wozu muß ich leben?‘ fragte Gawrilo.<br />

Der Priester spuckte aus. ‚Pfui! Du Schafskopf!‘<br />

‚Sei bitte nicht böse, Väterchen. Ich sage dir doch alles, was ich mir so denke, bevor ich sterbe<br />

... Es tut mir doch auch selbst leid; das ist schon bald so stark, daß mir ganz übel ist, daß<br />

mir die Seele weh tut... Woher kommt das nur?‘<br />

‚Jetzt hör’ aber auf mit deinem Unsinn!‘ sagte der Priester streng, weil er dem seltsamen Gespräch<br />

ein Ende machen wollte.<br />

‚Vor allem – ich weiß nicht mehr, was ich anfangen soll‘, erwiderte Gawrilo traurig.<br />

‚Bete zu Gott, sei fleißig, arbeite ... Das kommt alles vom vielen Faulenzen und Saufen...<br />

Einen anderen Rat kann ich dir auch nicht geben. Behüt’ dich Gott.‘<br />

Damit schloß der Priester die Unterredung und stand auf...“<br />

Haben Sie zufällig einmal die sogenannte Beichte des Grafen L. Tolstoi gelesen? Nicht wahr,<br />

Gawrilo legte sich dieselben Fragen vor: „weshalb, wozu, und was dann?“, mit denen sich<br />

der berühmte Romanschriftsteller quälte. Während aber der reiche und gebildete Graf alle<br />

Möglichkeiten hatte, auf diese Fragen eine weniger verdrehte Antwort zu geben, als er es<br />

getan hat, fehlten Gawrilo infolge seiner Lage alle Möglichkeiten und Hilfsmittel zu ihrer<br />

richtigen Lösung. Aus der ihn umgebenden Finsternis konnte ihm nirgendwoher Erleuchtung<br />

kommen.<br />

Er weinte, sein Wesen wurde immer seltsamer, er kam dem Geistlichen grob, beschimpfte<br />

den Dorfbader, prügelte sich mit dem Vorsteher der Dorfgemeinschaft und wanderte wegen<br />

dieser Schlägerei ins Gefängnis. Der Bader kam ihm rettend zu Hilfe, indem er das Gericht<br />

auf die krankhafte Seelenverfassung des Angeklagten aufmerksam machte. Als dieser dann<br />

später in der benachbarten Stadt eine Stelle als Hausknecht fand, wurde er schon bedeutend<br />

ruhiger. Dort gab es nichts, worüber er sich Gedanken machen konnte.<br />

[652] „Wie wäre es möglich, sich über den Besen oder wegen des Besens irgendwelche Gedanken<br />

zu machen? Der einzige Inhalt seines Lebens war fortan der Besen“, das ist die Erklärung<br />

des Herrn Karonin. „Infolgedessen kamen in ihm keine Gedanken mehr auf. Er tat, was<br />

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