18.09.2015 Views

erschien nennen menschenähnlichen

Zur PDF-Datei... - Max Stirner Archiv Leipzig

Zur PDF-Datei... - Max Stirner Archiv Leipzig

SHOW MORE
SHOW LESS
  • No tags were found...

You also want an ePaper? Increase the reach of your titles

YUMPU automatically turns print PDFs into web optimized ePapers that Google loves.

OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 21.07.2013<br />

chen Neuerungen neigten. Das ist in den Fällen übrigens stets so, wo eine bestimmte Gesellschaftsordnung<br />

ihrem Ende entgegengeht. Ihre Hinfälligkeit kommt darin zum Ausdruck, daß<br />

sich ihr nur passive, untätige Naturen weiterhin ohne Protest und Kritik unterwerfen. Alle<br />

starken, urwüchsigen und unternehmenden Elemente fliehen sie oder suchen wenigstens beharrlich<br />

einen Ausweg. Es ist überflüssig hinzuzufügen, daß solche Bestrebungen, wenn die<br />

neue, kommende Ordnung die bürgerliche Ordnung ist, häufig sehr unschöne Formen annehmen.<br />

In der Erzählung „Die Brüder“ sind die Vertreter dieser beiden Prinzipien, des passiven<br />

und des aktiven Prinzips, zwei Brüder: Iwan und Pjotr Sisow. Iwan ist kindlich-naiv. Er<br />

lebt, wie seine Vorfahren gelebt haben, ohne je auf den Gedanken zu kommen, daß man auch<br />

anders leben könne. Und er hat seinem Charakter nach ein anderes Leben auch gar nicht nötig.<br />

Dieses andere Leben ist das Leben als Einzelperson, außerhalb des „Mir“, auf eigene Gefahr<br />

und ausschließlich zum eigenen Nutzen. Und Iwan ist ein Mensch der Gemeinschaft, er<br />

liebt seinen Mir und ist niemals glücklicher, als wenn für den Mir in gemeinschaftlicher Arbeit<br />

etwas zu erledigen ist. Er gerät außer Rand und Band, wenn neue Teilungen des Bodens<br />

vorgenommen werden, die im Dorfe bekanntlich den Charakter von geradezu rituellen Handlungen<br />

haben; er versäumt keine einzige Zusammenkunft, und wenn es zu einer gemeinschaftlichen<br />

Trinkerei des Mir kommt, so übernimmt er sogleich die Rolle des Wirts, weil<br />

„keiner es so gut verstand, die Gläser mit dem gemeinschaftlichen Schnaps zu verteilen und<br />

zu servieren, wenn der Mir einmal Gelegenheit gehabt hatte, jemand eine Strafe abzupressen“.<br />

Der Mir kannte den Charakter seines Mitglieds sehr gut, und wenn beschlossen wurde,<br />

beim Fiskus ein Stück Land für gemeinsame Rechnung zu kaufen, so wurde Iwan erwählt,<br />

die Sache zu erledigen, und man händigte ihm das Geld der Dorfgemeinschaft aus.<br />

[646] Anders Pjotr. Klug, beharrlich, tatkräftig, erfinderisch, eigennützig und egoistisch, verachtete<br />

er sowohl die Dorfgemeinschaft als auch ihre Mitglieder, ihre gemeinschaftlichen<br />

Angelegenheiten und Interessen. Fast alles, was sein gutmütiger und etwas einfältiger Bruder<br />

tat, hielt er für „nichts als lauter Dummheit“. Er sann darauf, rasch zu viel Geld zu kommen,<br />

wenn man aber in der alten Weise lebte, war es ganz unmöglich, das zu erreichen. Nicht<br />

Reichtum, sondern eine Unmenge aller möglichen Lasten – das war es, was einem die alte<br />

bäuerliche Lebensordnung in Zukunft bringen konnte. Und so schloß sich Pjotr Sisow ganz<br />

ab, <strong>erschien</strong> selten in den Versammlungen der Dorfgemeinde, und sein Sinnen und Trachten<br />

ging nicht mehr dahin, gleich seinem Bruder dem Mir zu dienen, sondern dahin, sich auf seine<br />

Kosten zu bereichern. Er wird zum Kulaken. Und der Mir achtet ihn, alle ziehen vor ihm<br />

die Mütze, man sagt, er sei ein „gescheiter Kopf“. Zum Ankauf des besagten Landstückes<br />

wird, zusammen mit Iwan Sisow, auch Pjotr entsandt.<br />

Auf dem Wege in die Stadt kam es zwischen den Brüdern zu folgendem aufschlußreichen<br />

Gespräch:<br />

„‚Das ist wirklich ein Kopf!‘, sagte Pjotr, auf den Dorfvorstand weisend, als dieser an ihnen<br />

vorbeifuhr.<br />

‚Aber wieso?‘ erkundigte sich Iwan.<br />

‚Der hat es zu etwas gebracht. Der ist jetzt ein gemachter Mann, der duckt sich nicht mehr<br />

vor andern! Ein gescheiter Kerl, der versteht’s wirklich!‘<br />

‚Als Vorstand, das ist doch immer so.‘<br />

‚Vorstand, das hat gar nichts zu sagen. Vorstand, das ist ein Grund, aber daß er was in seinem<br />

Kopf drin hat, das ist der andere Grund.‘<br />

‚Der macht wohl lange Finger‘, bemerkte Iwan naiv, und er wunderte sich, warum sich das<br />

Gesicht seines Bruders verfinsterte...<br />

19

Hooray! Your file is uploaded and ready to be published.

Saved successfully!

Ooh no, something went wrong!