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erschien nennen menschenähnlichen

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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 21.07.2013<br />

unsere autokratische Regierung zerbrechen, weil sie ein wirtschaftliches Getriebe in Gang<br />

gesetzt hat, mit dem sie notwendigerweise in Konflikt geraten muß.<br />

Gegenwärtig gibt es neben dem Staat eine andere, noch gewaltigere Kraft, die Rußland auf<br />

den Weg des Kapitalismus führt. Man heißt sie die innere Logik der volkswirtschaftlichen<br />

Verhältnisse. Und keine Macht kann ihr Walten verhindern. Sie durchdringt alles‚ ihr Einfluß<br />

zeigt sich [644] allenthalben, sie drückt allen Versuchen der Bauern, ihre wirtschaftliche Lage<br />

zu verbessern, das Gepräge auf. Sehen Sie, wie schön der von uns besprochene Autor die<br />

Sache nach dieser Seite hin dargestellt hat. Die Bauern des Dorfes Beresowka (in der Erzählung<br />

„Die Brüder“) sind aus dem Innern Rußlands in eines der Gouvernements der weiten<br />

Steppengebiete übergesiedelt. In der Heimat mußten sie Not leiden, an diesem neuen Orte<br />

gelang es ihnen, zu „einigem materiellen Wohlstand“ zu gelangen. Man möchte meinen, daß<br />

nun auch hier eine glänzende Entwicklung der berühmten „Stützen“ hätte einsetzen müssen.<br />

Es kam jedoch gerade umgekehrt. In der Heimat, in Not und Unglück, waren sie „ein Herz<br />

und eine Seele“, wie die Alten sagten; am neuen Ort begann die innere Zersetzung ihrer Gemeinschaft,<br />

setzte ein geheimer Kampf zwischen dem Individuum und dem „Mir“ ein. Allmählich<br />

„kam in jedem Dorfbewohner das Bewußtsein auf, daß er doch ein Mensch sei wie<br />

alle andern und daß er nur für sich da sei und sonst für niemand als eben nur für sich“! Und<br />

jeder könne für sich allein leben und sein Leben ohne Hilfe des Bürgermeisters, des Gendarmen<br />

und der „Gemeinschaft“ einrichten. Um diese Entdeckung zu beweisen, wurden die Beispiele<br />

von Leuten angeführt, die sich in der Nähe von Beresowka angesiedelt hatten. Der erste<br />

dieser als Beispiele dienenden Leute war aus der benachbarten Stadt gekommen, hatte<br />

sich vom Fiskus ein Stück Steppe gekauft und lebte da als Bürger Jermolajew und hatte es,<br />

wie sich alle Bewohner von Beresowka ausdrückten, „sehr schnell“ zu etwas gebracht. Der<br />

andere, den man als Beispiel nannte, trug die Kokarde; niemand hatte ihn selbst gesehen, aber<br />

an seiner Stelle hatte sich auf der Steppe der Kaufmann zweiter Gilde Proletajew niedergelassen:<br />

„ein ganz geriebener Bursche“. Als drittes Beispiel <strong>erschien</strong> in dieser Gegend ein Unbekannter;<br />

keiner der Bewohner von Beresowka kannte seine Herkunft und seinen Beruf: „dem<br />

Gesicht nach meint man, er ist ein Bauer, aber er hat gar so was Ernstes...“<br />

Und die übrigen Leute im Umkreis des Dorfes – Leute, die zu keiner Gemeinschaft gehörten<br />

und die keinerlei Bindungen hatten: waren sie nicht gewichtige Beweise zugunsten des neuen<br />

Lebens? Jeder der Dorfbewohner dachte sehr oft über diese Erscheinungen nach; und es gab<br />

wirklich keinen einzigen, der sich nicht in einer freien Minute schon mit dem Gedanken getragen<br />

hätte, sich ein kleines Grundstück zu kaufen, einen „kleinen Laden oder meinetwegen<br />

eine Schenke“ aufzumachen.<br />

„Keiner der Bauern nahm moralisch daran Anstoß, wenn Leute von dergleichen Unternehmungen<br />

lebten; im Gegenteil – sie meinten: ‚das ist ein feines Geschäft!‘“ Menschen dieser<br />

Sorte schätzten sie wegen ihrer Klugheit, Gaunerei betrachteten sie als eine der Fähigkeiten<br />

des menschlichen Verstandes. Und zugleich schätzte jeder der Bewohner von Bere-<br />

[645]sowka den Mir, unterwarf sich ihm und lebte weiterhin darin. Das Gewissen des<br />

Mushiks spaltete sich damals in zwei Hälften; die eine Hälfte flatterte hin zu den „Beispielen“,<br />

die andere blieb dem Mir zugetan. Es kam ein doppeltes Gewissen, eine doppelte „Moral“<br />

auf. Man stellte sich die Frage, wie sich in der Einstellung einzelner Personen die Doppelseitigkeit<br />

der Einstellung des gesamten Mir widerspiegelte und widerspiegeln konnte. Es<br />

versteht sich von selbst, daß die Sache je nach den persönlichen Eigentümlichkeiten der einzelnen<br />

Personen verschieden ausfiel. Bei den einen hatten immer noch die alten Gewohnheiten<br />

die Oberhand; andere neigten zu den Neuerungen, d. h., sie waren für den kleinen Laden,<br />

die Schenke usw.<br />

Bemerkenswert ist nur, daß es die energischsten und begabtesten Naturen waren, die zu sol-<br />

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