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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 21.07.2013 ern Jagd machen, so zeigt das, wie der Staat sehr wohl versteht, worum es hier geht, und daß es ihm, wenn er die Bauern an den alten Wohnort zurückbringen läßt, immer darum zu tun ist, die ordnungsgemäße Erfüllung ihrer „Verpflichtungen“ ihm gegenüber zu gewährleisten. Sollen wir Demokraten aller Schattierungen mit einer solchen Menschenjagd einverstanden sein? Nein, nein und abermals nein; wir begrüßen die Landflucht der Bauern, weil wir darin den Anfang vom Ende, den wirtschaftlichen Prolog des großen politischen Dramas sehen: des Sturzes der russischen autokratischen Monarchie. Die autokratische Monarchie ist zu weit gegangen, sie verlangt „ungebührlich viel“, und indem sie die Bauern zwingt, vom Lande zu fliehen, indem sie alle alten Grundlagen ihres wirtschaftlichen Lebens zerstört, zerstört sie auch das eigene wirtschaftliche Fundament. Früher, im Rußland Mamais, flohen alle, die die Lasten des Staates nicht ertragen konnten, in die Grenzgebiete: an den „stillen Don“‚ an das „Mütterchen Wolga“‚ und bedrohten von dort, nachdem sie sich zu riesigen Banden von „Diebsleuten“ zusammengeschlossen hatten, mehr als einmal den Staat. Jetzt haben sich die Verhältnisse geändert. In den ehedem öden Grenzgebieten hat sich kraftvoll ein neues wirtschaftliches [643] Leben entwickelt, das sogar noch schneller pulsiert als im Zentrum. Die „herumziehenden Leute“, die das Dorf verlassen haben, schließen sich jetzt nicht mehr zu „Diebs“banden zusammen, sondern zu Arbeiterbataillonen, mit denen die russische Regierung nicht so leicht fertigwerden wird wie mit den verwegenen Kerlen der guten alten Zeit. In diesen Bataillonen reift die neue historische Kraft heran. Nicht eine spontane Auflehnung nach Räuberart wird sie zum Kampf gegen die Regierung treiben, sondern das bewußte Bestreben, den Bau der Gesellschaft auf neuen Fundamenten und auf der Grundlage der mächtigen Produktivkräfte, die jetzt durch ihre Arbeit in den Fabriken geschaffen werden, neu zu errichten. Möge die Regierung der Selbstherrschaft ihr Werk tun, mögen die geschäftstüchtigen Leute und die Unternehmer ihr dabei behilflich sein. Gelingt ihnen ihr Werk, so hat das russische Volk überhaupt nichts mehr zu verlieren. Im Gegenteil, es wird bestimmt sehr viel dabei gewinnen. V Sie dürfen indes nicht glauben, die Zersetzung der alten „Stützen“ des Volkslebens gehe ausschließlich unter der Einwirkung der übermäßig hohen Steuern vor sich, die der Dorfgemeinschaft vom Staate aufgebürdet werden. Erstens handelt es sich dabei nicht so sehr um diese Lasten selbst als vielmehr um den Geldcharakter der Zahlungen, wie sie ihn im heutigen Rußland notwendigerweise annehmen und unter dessen Einfluß die bäuerliche Wirtschaft aus einer Naturalwirtschaft zu einer Warenwirtschaft wurde. Außerdem sind, „wenn die Gesellschaft dem natürlichen Gesetz ihrer Entwicklung auf die Spur gekommen ist“‚ alle ihre inneren Kräfte, wenn sie auch in den verschiedensten Richtungen wirken, im Grunde genommen im gleichen Sinne wirksam. Seit den Reformen Peters hat der Staat sehr viel getan, um Rußland dahin zu bringen, den Weg der Warenproduktion und darauf der kapitalistischen Produktion zu beschreiten. Aber jetzt ist der Staat nicht mehr einzig und allein in dieser Richtung tätig. Im Gegenteil, während er Rußland mit der einen Hand auf diesen Weg drängt, versucht er, es mit der anderen Hand in alten Verhältnissen festzuhalten. An diesem Widerspruch wird Es war, als ob wir bei dieser Antwort wieder der Erde näher kämen. ‚Sumpf! ... Aber warum bist du beim Zahlen besser dran, wenn du keinen Sumpf hast? Steht er dir denn im Wege?‘... ‚Gott bewahre, ich will damit nichts zu tun haben, mit dem Sumpf da!‘ – ‚Du brauchst auch nichts damit zu machen?‘ – ‚Wenn ich auch nichts damit mache, so macht er aber was mit mir. Wenn ich den Sumpf nehme, schon bin ich Mitglied der Dorfgemeinschaft! Da muß ich dann für den Ortsvorsteher zahlen und für den Bezirk, die Wegesteuer, Brückensteuer, Wachtsteuer – und weiß Gott was sonst noch alles!... Und wenn ich auf das Land verzichtet habe, dann bleibt mir nur die Zahlung für meine »Seele« und sonst nichts... Da zahle ich für zwei Anteile – und jetzt geht mich alles nichts mehr an! ...“‚ („Sewerny Westnik“, 1889, Heft 3, S. 210/211). 17

OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 21.07.2013 unsere autokratische Regierung zerbrechen, weil sie ein wirtschaftliches Getriebe in Gang gesetzt hat, mit dem sie notwendigerweise in Konflikt geraten muß. Gegenwärtig gibt es neben dem Staat eine andere, noch gewaltigere Kraft, die Rußland auf den Weg des Kapitalismus führt. Man heißt sie die innere Logik der volkswirtschaftlichen Verhältnisse. Und keine Macht kann ihr Walten verhindern. Sie durchdringt alles‚ ihr Einfluß zeigt sich [644] allenthalben, sie drückt allen Versuchen der Bauern, ihre wirtschaftliche Lage zu verbessern, das Gepräge auf. Sehen Sie, wie schön der von uns besprochene Autor die Sache nach dieser Seite hin dargestellt hat. Die Bauern des Dorfes Beresowka (in der Erzählung „Die Brüder“) sind aus dem Innern Rußlands in eines der Gouvernements der weiten Steppengebiete übergesiedelt. In der Heimat mußten sie Not leiden, an diesem neuen Orte gelang es ihnen, zu „einigem materiellen Wohlstand“ zu gelangen. Man möchte meinen, daß nun auch hier eine glänzende Entwicklung der berühmten „Stützen“ hätte einsetzen müssen. Es kam jedoch gerade umgekehrt. In der Heimat, in Not und Unglück, waren sie „ein Herz und eine Seele“, wie die Alten sagten; am neuen Ort begann die innere Zersetzung ihrer Gemeinschaft, setzte ein geheimer Kampf zwischen dem Individuum und dem „Mir“ ein. Allmählich „kam in jedem Dorfbewohner das Bewußtsein auf, daß er doch ein Mensch sei wie alle andern und daß er nur für sich da sei und sonst für niemand als eben nur für sich“! Und jeder könne für sich allein leben und sein Leben ohne Hilfe des Bürgermeisters, des Gendarmen und der „Gemeinschaft“ einrichten. Um diese Entdeckung zu beweisen, wurden die Beispiele von Leuten angeführt, die sich in der Nähe von Beresowka angesiedelt hatten. Der erste dieser als Beispiele dienenden Leute war aus der benachbarten Stadt gekommen, hatte sich vom Fiskus ein Stück Steppe gekauft und lebte da als Bürger Jermolajew und hatte es, wie sich alle Bewohner von Beresowka ausdrückten, „sehr schnell“ zu etwas gebracht. Der andere, den man als Beispiel nannte, trug die Kokarde; niemand hatte ihn selbst gesehen, aber an seiner Stelle hatte sich auf der Steppe der Kaufmann zweiter Gilde Proletajew niedergelassen: „ein ganz geriebener Bursche“. Als drittes Beispiel erschien in dieser Gegend ein Unbekannter; keiner der Bewohner von Beresowka kannte seine Herkunft und seinen Beruf: „dem Gesicht nach meint man, er ist ein Bauer, aber er hat gar so was Ernstes...“ Und die übrigen Leute im Umkreis des Dorfes – Leute, die zu keiner Gemeinschaft gehörten und die keinerlei Bindungen hatten: waren sie nicht gewichtige Beweise zugunsten des neuen Lebens? Jeder der Dorfbewohner dachte sehr oft über diese Erscheinungen nach; und es gab wirklich keinen einzigen, der sich nicht in einer freien Minute schon mit dem Gedanken getragen hätte, sich ein kleines Grundstück zu kaufen, einen „kleinen Laden oder meinetwegen eine Schenke“ aufzumachen. „Keiner der Bauern nahm moralisch daran Anstoß, wenn Leute von dergleichen Unternehmungen lebten; im Gegenteil – sie meinten: ‚das ist ein feines Geschäft!‘“ Menschen dieser Sorte schätzten sie wegen ihrer Klugheit, Gaunerei betrachteten sie als eine der Fähigkeiten des menschlichen Verstandes. Und zugleich schätzte jeder der Bewohner von Bere- [645]sowka den Mir, unterwarf sich ihm und lebte weiterhin darin. Das Gewissen des Mushiks spaltete sich damals in zwei Hälften; die eine Hälfte flatterte hin zu den „Beispielen“, die andere blieb dem Mir zugetan. Es kam ein doppeltes Gewissen, eine doppelte „Moral“ auf. Man stellte sich die Frage, wie sich in der Einstellung einzelner Personen die Doppelseitigkeit der Einstellung des gesamten Mir widerspiegelte und widerspiegeln konnte. Es versteht sich von selbst, daß die Sache je nach den persönlichen Eigentümlichkeiten der einzelnen Personen verschieden ausfiel. Bei den einen hatten immer noch die alten Gewohnheiten die Oberhand; andere neigten zu den Neuerungen, d. h., sie waren für den kleinen Laden, die Schenke usw. Bemerkenswert ist nur, daß es die energischsten und begabtesten Naturen waren, die zu sol- 18

OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 21.07.2013<br />

ern Jagd machen, so zeigt das, wie der Staat sehr wohl versteht, worum es hier geht, und daß<br />

es ihm, wenn er die Bauern an den alten Wohnort zurückbringen läßt, immer darum zu tun<br />

ist, die ordnungsgemäße Erfüllung ihrer „Verpflichtungen“ ihm gegenüber zu gewährleisten.<br />

Sollen wir Demokraten aller Schattierungen mit einer solchen Menschenjagd einverstanden<br />

sein? Nein, nein und abermals nein; wir begrüßen die Landflucht der Bauern, weil wir darin<br />

den Anfang vom Ende, den wirtschaftlichen Prolog des großen politischen Dramas sehen: des<br />

Sturzes der russischen autokratischen Monarchie. Die autokratische Monarchie ist zu weit<br />

gegangen, sie verlangt „ungebührlich viel“, und indem sie die Bauern zwingt, vom Lande zu<br />

fliehen, indem sie alle alten Grundlagen ihres wirtschaftlichen Lebens zerstört, zerstört sie<br />

auch das eigene wirtschaftliche Fundament.<br />

Früher, im Rußland Mamais, flohen alle, die die Lasten des Staates nicht ertragen konnten, in<br />

die Grenzgebiete: an den „stillen Don“‚ an das „Mütterchen Wolga“‚ und bedrohten von dort,<br />

nachdem sie sich zu riesigen Banden von „Diebsleuten“ zusammengeschlossen hatten, mehr<br />

als einmal den Staat. Jetzt haben sich die Verhältnisse geändert. In den ehedem öden Grenzgebieten<br />

hat sich kraftvoll ein neues wirtschaftliches [643] Leben entwickelt, das sogar noch<br />

schneller pulsiert als im Zentrum. Die „herumziehenden Leute“, die das Dorf verlassen haben,<br />

schließen sich jetzt nicht mehr zu „Diebs“banden zusammen, sondern zu Arbeiterbataillonen,<br />

mit denen die russische Regierung nicht so leicht fertigwerden wird wie mit den verwegenen<br />

Kerlen der guten alten Zeit. In diesen Bataillonen reift die neue historische Kraft<br />

heran. Nicht eine spontane Auflehnung nach Räuberart wird sie zum Kampf gegen die Regierung<br />

treiben, sondern das bewußte Bestreben, den Bau der Gesellschaft auf neuen Fundamenten<br />

und auf der Grundlage der mächtigen Produktivkräfte, die jetzt durch ihre Arbeit in den<br />

Fabriken geschaffen werden, neu zu errichten. Möge die Regierung der Selbstherrschaft ihr<br />

Werk tun, mögen die geschäftstüchtigen Leute und die Unternehmer ihr dabei behilflich sein.<br />

Gelingt ihnen ihr Werk, so hat das russische Volk überhaupt nichts mehr zu verlieren. Im<br />

Gegenteil, es wird bestimmt sehr viel dabei gewinnen.<br />

V<br />

Sie dürfen indes nicht glauben, die Zersetzung der alten „Stützen“ des Volkslebens gehe ausschließlich<br />

unter der Einwirkung der übermäßig hohen Steuern vor sich, die der Dorfgemeinschaft<br />

vom Staate aufgebürdet werden. Erstens handelt es sich dabei nicht so sehr um diese<br />

Lasten selbst als vielmehr um den Geldcharakter der Zahlungen, wie sie ihn im heutigen<br />

Rußland notwendigerweise annehmen und unter dessen Einfluß die bäuerliche Wirtschaft aus<br />

einer Naturalwirtschaft zu einer Warenwirtschaft wurde. Außerdem sind, „wenn die Gesellschaft<br />

dem natürlichen Gesetz ihrer Entwicklung auf die Spur gekommen ist“‚ alle ihre inneren<br />

Kräfte, wenn sie auch in den verschiedensten Richtungen wirken, im Grunde genommen<br />

im gleichen Sinne wirksam. Seit den Reformen Peters hat der Staat sehr viel getan, um Rußland<br />

dahin zu bringen, den Weg der Warenproduktion und darauf der kapitalistischen Produktion<br />

zu beschreiten. Aber jetzt ist der Staat nicht mehr einzig und allein in dieser Richtung<br />

tätig. Im Gegenteil, während er Rußland mit der einen Hand auf diesen Weg drängt, versucht<br />

er, es mit der anderen Hand in alten Verhältnissen festzuhalten. An diesem Widerspruch wird<br />

Es war, als ob wir bei dieser Antwort wieder der Erde näher kämen.<br />

‚Sumpf! ... Aber warum bist du beim Zahlen besser dran, wenn du keinen Sumpf hast? Steht er dir denn im Wege?‘...<br />

‚Gott bewahre, ich will damit nichts zu tun haben, mit dem Sumpf da!‘ – ‚Du brauchst auch nichts damit zu<br />

machen?‘ – ‚Wenn ich auch nichts damit mache, so macht er aber was mit mir. Wenn ich den Sumpf nehme, schon<br />

bin ich Mitglied der Dorfgemeinschaft! Da muß ich dann für den Ortsvorsteher zahlen und für den Bezirk, die<br />

Wegesteuer, Brückensteuer, Wachtsteuer – und weiß Gott was sonst noch alles!... Und wenn ich auf das Land<br />

verzichtet habe, dann bleibt mir nur die Zahlung für meine »Seele« und sonst nichts... Da zahle ich für zwei Anteile<br />

– und jetzt geht mich alles nichts mehr an! ...“‚ („Sewerny Westnik“, 1889, Heft 3, S. 210/211).<br />

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