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erschien nennen menschenähnlichen

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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 21.07.2013<br />

er bald recht viel Geld verdienen werde und daß sie sich eine neue Hütte kaufen und im<br />

„Kreise der Familie, mit Kind und Kegel“ leben würden. Aber der Autor sagt nicht, ob diese<br />

neuen „phantastischen Absichten“ seines Helden verwirklicht wurden.<br />

III<br />

Wahrscheinlich wurden sie nicht verwirklicht, denn die Dorfgemeinschaft von Paraschkino<br />

ist gänzlich vom Angesicht der Erde verschwunden. Die Geschichte ihres Verschwindens ist<br />

in der Erzählung „Wie und wohin sie übersiedelten“ dargelegt. Der unerträglich bedrückende<br />

Eindruck, den diese Erzählung des Herrn Karonin auf einen macht, läßt sich gar nicht wiedergeben.<br />

Es ist alles in so düsteren Farben geschildert, daß der Leser sich unwillkürlich<br />

fragt: Ist denn das nicht etwas übertrieben?<br />

Leider ist es nicht übertrieben, und wir werden sehen, daß der Autor nicht um ein Deut von<br />

der traurigen russischen Wirklichkeit abgewichen ist.<br />

Beim öfteren Lesen dieser Erzählung mußten wir an Schillers Worte denken: „Ernst ist das<br />

Leben, heiter die Kunst.“ 1 Auf uns sind diese Worte leider nicht anwendbar! Traurig ist<br />

unser gesellschaftliches Leben, und gar nicht heiter ist die Kunst, die seiner naturgetreuen<br />

Widerspiegelung dient.<br />

Aber kehren wir zu unserem Gegenstand zurück. Die „Gemeinschaft“ von Paraschkino lag in<br />

den letzten Zügen. In dem unglücklichen Dorfe hielt abscheuliche Verödung ihren Einzug.<br />

„Früher zog sich das Dorf in zwei Reihen am Flusse hin“‚ lesen wir in der Erzählung, „jetzt<br />

sind von der Straße nur noch Spuren übriggeblieben. Wo früher die vielen Hütten gestanden<br />

hatten, breitete sich eine leere Fläche, wo überall Mist, Holzstücke und Schutt herumlagen<br />

und Gras wuchs. Hier und da sah man an Stelle der Bauernhäuser nur Erdlöcher. Ein<br />

paar Dutzend Bauernhütten – das war der ganze Rest des früheren Dorfes ... Die Felder um<br />

das Dorf wurden nicht wie früher durchgängig bebaut; an vielen Stellen waren große unbebaute<br />

gelbe Flächen; hier und da sproß Heidekraut aus dem Boden, das abgemagerte Vieh<br />

konnte sich kaum dahinschleppen, grindig, dürr, mit hervorstechenden Rippen und spitzem<br />

Rücken.“<br />

[633] Der armen Bewohner von Paraschkino hatte sich eine seltsame Gleichgültigkeit gegen<br />

ihre ganze Umgebung bemächtigt. Sie, die sich früher einmal mit Angst und Zweifel die Frage<br />

vorgelegt hatten: „Wer soll denn dann zahlen, wenn wir alle davonlaufen?“, dachten jetzt<br />

gar nicht mehr an diese fatale Frage, obwohl sie nicht nur ungelöst geblieben war, sondern<br />

immer unlösbarer wurde, je enger der Kreis der Zahler wurde. Steuerrückstände häuften sich<br />

bei ihnen an, die nicht getilgt werden konnten, sie gingen allenthalben dem Kulaken Jepischka<br />

ins Garn, sie hatten kein Brot und keine anderen Vorräte – und doch vermochte all dies<br />

nicht den dicken Panzer der Gleichgültigkeit, die sie befallen hatte, zu durchdringen. „Sie<br />

hatten aufgehört, sich selbst und ihre Nöte zu verstehen, sie hatten überhaupt für nichts mehr<br />

Sinn. Es war einfach unmöglich, sich vorzustellen, wie sie in dieser Zeit noch existieren<br />

konnten. Sie wären selbst auch nicht imstande gewesen, es irgendwie begreiflich zu machen,<br />

wovon sie lebten.“ Ab und zu hatten sie einen Gelegenheitsverdienst, ab und zu verstanden<br />

sie sich neue Nahrungsmittel, wie Kleie, zu verschaffen, die sie beim Müller Jakow bekamen,<br />

oder Klee, den sie vom Gutsbesitzer Pjotr Petrowitsch Abdulow erhielten.<br />

Ein paarmal kam ihnen die Darlehnskasse zu Hilfe; aber all das reichte natürlich nicht aus.<br />

Die Bewohner von Paraschkino hungerten. Beunruhigt durch die Gerüchte über ihre hoffnungslose<br />

Lage, schickte die Landschaftsvertretung des Gouvernements eigens einen Abge-<br />

1 [Bei Plechanow irrtümlich: „... heiter ist die Kunst.“]<br />

10

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