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erschien nennen menschenähnlichen

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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 21.07.2013<br />

verfiel er auf die Idee, davonzulaufen und so alle ‚gemeinschaftlichen‘ Fesseln zu zerreißen.<br />

Die ‚Gemeinschaft‘ <strong>erschien</strong> ihm als Feind, vor dem man so rasch wie möglich fliehen müsse.<br />

Aber auch das Davonlaufen war für den armen Phantasten nicht so leicht. Aus vielen<br />

Gründen nicht leicht. Erstens war Jepischka nicht nur frei von der Last der gesellschaftlichen<br />

Verpflichtungen, sondern er hatte auch Geld, und gerade das Geld war es, das unserem Helden<br />

fehlte. Außerdem wußte Minai sehr wohl, daß die ‚Gemeinschaft‘ ihre Mitglieder nicht<br />

so ohne weiteres davonrennen ließ. Und an welchem Platze sich Minai auch immer in Gedanken<br />

niederlassen mochte, immer schwebte ihm folgendes Bild vor Augen:<br />

‚Minai Ossipow, hier?‘<br />

‚Ja, ich bin Minai Ossipow.‘<br />

‚Hinlegen.‘“<br />

Diese Vorstellung verfolgte ihn wie ein Schatten. Wohin er auch in [631] der Phantasie fliehen<br />

mochte, immer wieder mußte er sich schließlich sagen, daß man ihn finden, zurückbringen<br />

und auspeitschen werde.<br />

Dieser Umstand allein, der so beredt für die Festigkeit der „Stützen“ sprach, genügte, Minais<br />

Phantasie auf ihrem Flug zu zügeln; es machte sich auch die stark eingewurzelte Gewöhnung<br />

an die Gemeinschaft fühlbar. „Minai vergaß sie nur eine Minute lang. Wenn er sich aber lange<br />

Zeit ausmalte, wie das Einzel,dasein‘ aussehen werde, überkam ihn plötzlich ein schmerzliches<br />

Gefühl.“<br />

„Wie ist denn so was möglich?“ fragte er sich verwundert. „Bin ich denn ein Wolf? Da kann<br />

ich meine Nase auch nicht mehr in die Bärenhöhle stecken?!“ Dann wird er nicht mehr auf<br />

seinem Erdwall am Haus an Feiertagen seine Witze machen und mit allen Leuten von Paraschkino<br />

sich unterhalten können, und auch die Dorfversammlung, in der er so leidenschaftlich<br />

und laut schreit und tobt, wird es nicht mehr geben – nichts ist mehr da! „Ein Wolf ist<br />

man“, so schloß Minai seine Betrachtungen. „Eine heftige Wehmut, die nur er allein verstehen<br />

konnte, überkam ihn, und er verachtete Jepischka und wollte nicht mehr sein wie dieser.“<br />

Wenn die Menschen an den gesellschaftlichen Verhältnissen nur kraft alter Gewohnheit festhalten<br />

und die Wirklichkeit zu ihrer Gewohnheit in Widerspruch steht, so kann man mit Bestimmtheit<br />

sagen, daß diese Verhältnisse ihrem Ende entgegengehen. Auf diese oder jene Weise<br />

werden sie durch eine neue Gesellschaftsordnung abgelöst werden, auf deren Grundlage<br />

neue Gewohnheiten entstehen. Obwohl unser Don Quijote mit Schrecken an den Bruch mit der<br />

Dorfgemeinschaft dachte, war doch seine Verbindung mit ihr bereits endgültig gelockert. Sie<br />

hatte keine reale Grundlage mehr. „Das ist nur eine vorübergehende Bindung“, sagt Karonin.<br />

„Es wird die Zeit kommen, wo sich die Gemeinschaft von Paraschkino auflösen wird, weil<br />

Jepischka nicht umsonst gekommen ist... Er bedeutet das Kommen eines anderen Jepischka,<br />

einer Menge von Jepischkas, welche die Gemeinschaft von Paraschkino besudeln werden.“<br />

Übrigens hat Minai das Dorf verlassen müssen, noch „bevor die vielen Jepischkas“ gekommen<br />

sind. Er „floh“ in die Stadt, als sein letzter Sack Mehl, den er schuldig geblieben, aufgebraucht<br />

war und als er nirgends mehr etwas borgen konnte, weil er sowieso schon bei allen Leuten<br />

Schulden hatte. Um sich gegen alle Verfolgungen seitens der „Gemeinschaft“ von Paraschkino<br />

zu sichern, die ihn mit Hilfe der Behörden hätte aufgreifen, zurückbringen und ihn in der Gemeindeverwaltung<br />

„auspeitschen“ können, mußte Minai in geheime Unterhandlungen mit dem<br />

Schreiber Semenytsch eintreten, der ihm einen Jahrespaß ausstellte. Die Dorfgemeinschaft, die<br />

nicht mehr imstande war, ihren Mitgliedern eine auskömmliche Existenz zu sichern, [632]<br />

konnte ihnen bei ihren Versuchen, anderswo Arbeit zu finden, noch sehr viel schaden.<br />

In den Briefen an sein Weib war Minai derselbe Phantast wie früher. Er versicherte ihr, daß<br />

9

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