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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 21.07.2013<br />

„Wenn er im Winter mit seinem Fuhrwerk nach Hause kommt, zieht er Gewand und Schuhe<br />

aus, legt sich auf die Pritsche und beginnt seinen phantastischen Gedanken nachzuhängen. Da<br />

denkt er sich nun verschiedenes aus, errechnet zahllose Glücksfälle und ist entzückt von seinen<br />

Schöpfungen ... Seine Phantasie kennt keinen Halt... Zuletzt stellt sich immer heraus, daß<br />

das Brot reichen wird und daß die Steuern bezahlt werden können.“ Die Wunder, auf die Minai<br />

bezüglich der Verbesserung seiner Wirtschaft rechnete, waren von zweierlei Art. Die einen<br />

gehörten zum Gebiet der Naturerscheinungen im engeren Sinne des Wortes und bezogen<br />

sich hauptsächlich auf eine gute Ernte, durch die, nach seinen Erwägungen, ihn die „Sümpfe“<br />

für seine Arbeit entschädigen mußten. Die anderen standen in engem Zusammenhang mit<br />

seinen Ansichten vom Zaren als dem Beschützer der bäuerlichen Interessen, der schließlich<br />

verstehen müsse, daß die spärlichen Erträgnisse der „Sümpfe“ keine Grundlage zur Leistung<br />

großer Zahlungen bilden konnten. Minai träumte bald von der „schwarzen Bank“, die es jedem<br />

Bauern ermöglichen würde, soviel Land hinzuzukaufen, als er sich nur wünschen mochte,<br />

bald von einem noch erfreulicheren Ereignis, von der berühmten schwarzen Umteilung,<br />

die er „Zuteilung“ nannte. Ihm hatte – sehen Sie – auf dem Markt ein Bekannter, der Mushik<br />

Sachar, gesagt, „die neue Teilung kommt bald, das ist, hat er gesagt, schon ganz sicher... ganz<br />

bestimmt, hat er gesagt“. Und nicht nur geduldig, sondern sogar mit einer gewissen Freude,<br />

mit Späßen und Witzen, trug Minai das schwere Los des russischen Landarbeiters, das ihm<br />

zuteil geworden war. Er liebte sein Haus, seine Dorfgemeinschaft und war bereit, für die erste<br />

beste „gemeinsame Sache“ des Mir bis zum letzten einzutreten. Die traurige Wirklichkeit war<br />

trotzdem häufig stärker als seine Phantastereien. Und das meist dann, wenn er betrunken war.<br />

„Höre, Dunka“, schrie er, wenn er aus dem Wirtshaus nach Hause kam. „Höre, Dunka, bei<br />

uns reicht das Brot nicht... niemals und auf gar keinen Fall... es reicht nicht, und es reicht<br />

nicht! Das Brot reicht nicht!“ Dann fing Minai zu weinen an, und sein Weib, Fedossja, versuchte,<br />

ihn möglichst rasch ins Bett zu bringen.<br />

Diese düstere Stimmung verschwand allerdings wieder, wenn er seinen Rausch ausgeschlafen<br />

hatte, aber sie verschwand, wie man sieht, nicht, ohne Spuren zu hinterlassen. Von Zeit zu<br />

Zeit kam Minai auf Gedanken, die zu seiner Rolle als Mitglied der Dorfgemeinschaft sehr<br />

schlecht [630] paßten. Er ärgerte sich über den Kulaken Jepifan Iwanow oder kurz Jepischka.<br />

Dieser Parasit war einmal ein ganz erbärmlicher zerlumpter Kerl gewesen und hatte auf dem<br />

Markt in der Stadt verfaulte Fische verkauft. Dann hatte er das Glück, nach Paraschkino verschlagen<br />

zu werden, wo er eine Schankwirtschaft eröffnete und mit der Zeit zu viel Geld<br />

kam. Zu dem Zeitpunkt, von dem in der Skizze des Herrn Karonin die Rede ist, hatte er die<br />

Bewohner von Paraschkino bereits völlig in seiner Hand. Sein Beispiel war es, das Minai<br />

nachdenklich machte.<br />

„Minai hatte oft lange Zeit nicht mehr an Jepischka gedacht, aber wenn ihm recht erbärmlich<br />

zumute war, dann erinnerte er sich an ihn. Jepischka selbst <strong>erschien</strong> ihm in der Vorstellung,<br />

tauchte vor seinen Blicken auf, zerschlug alle seine alten Vorstellungen und gab seinen Gedanken<br />

eine andere Richtung. Was die Hauptsache war, Jepischka hatte in allem Glück; hatte<br />

er nicht deshalb immer Glück, weil es für ihn keine ‚Gemeinschaft‘ gab?“<br />

Bei dieser für die „Ideale“ der Dorfgemeinschaft verhängnisvollen Erklärung verweilte er<br />

unwillkürlich öfter und öfter. „Jepischka ist an nichts gebunden, Jepischka muß nicht an einem<br />

bestimmten Ort bleiben; Jepischka kann gehen, wohin er will... Die Hauptsache ist ihm<br />

Geld, und alles übrige schert ihn nicht... Minai kam unvermeidlich zu der Folgerung, daß<br />

folgende Voraussetzungen notwendig seien, damit man zu etwas kommt: man darf keine<br />

Verwandten und Bekannten, keine ‚Gemeinschaft‘ haben – man muß für sich allein leben.<br />

Man muß von allem losgelöst sein und hingehen können, wohin man will... Für Minai war<br />

Jepischka ein Faktum, von dem er zutiefst beeindruckt war. Nachdem er aus diesem Faktum<br />

seine simple Schlußfolgerung gezogen hatte, begann er weiter nachzudenken.“ „Manchmal<br />

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