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erschien nennen menschenähnlichen

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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 21.07.2013<br />

Dorfe „nie gegeben hat“, spiegelt sich naturgetreu in den Skizzen und Erzählungen des Herrn<br />

Karonin wider. Sie sind eine wirkliche Chronik des historischen Prozesses der Umbildung<br />

der russischen Bauernschaft. Die gewaltige Bedeutung dieses Prozesses versteht sich von<br />

selbst. Von ihm hängt der ganze weitere Gang unserer gesellschaftlichen Entwicklung ab,<br />

denn unter seinem Einfluß verändern sich alle Grundlagen unseres gesellschaftlichen Gebäudes,<br />

alle einzelnen Teile des Aufbaus unseres gesellschaftlichen Körpers.<br />

Die Originalität des Herrn Karonin besteht gerade darin, daß er es, trotz seiner volkstümlerischen<br />

Neigungen und Vorurteile, unternommen hat, gerade die Seiten unseres Volkslebens<br />

darzustellen, die mit den „Idealen“ der Volkstümler in Konflikt geraten, den Idealen, die in<br />

nichts zerfallen werden und bereits zerfallen. Er mußte einen stark entwickelten künstlerischen<br />

Instinkt besitzen, er mußte ein sehr feines Ohr für die Erfordernisse der künstlerischen<br />

Wahrheit haben, um, ohne an der eigenen Inkonsequenz Anstoß zu nehmen, in seiner Eigenschaft<br />

als Belletrist alles das zu verwerfen, wofür er doch auf dem Boden der Publizistik sicherlich<br />

leidenschaftlich eingetreten wäre. Wäre es Herrn Karonin weniger um die künstlerische<br />

Wahrheit zu tun gewesen, so hätte er schon längst sehr billige, dafür aber sehr zahlreiche<br />

Lorbeeren ernten können, wenn er sich nur süß-säuerlichen Darstellungen der seit den ältesten<br />

Zeiten, Jahrhunderte hindurch geübten Tugenden der in der Dorfgemeinschaft lebenden<br />

Bauern gewidmet hätte. Dabei hätten seine Werke viel an Wert [621] eingebüßt, aber für seinen<br />

literarischen Ruf wäre dies für einige Zeit von großem Vorteil gewesen.<br />

Die Leser aus den Kreisen der Volkstümler hätten ihm wohlwollende Aufmerksamkeit geschenkt.<br />

Man hätte von ihm gesprochen, man hätte seine Werke in der Presse besprochen,<br />

man hätte sich auf ihn berufen... Bekanntlich ist der volkstümlerisch eingestellte Leser kein<br />

Freund der „Kunst für die Kunst“. Die Literatur betrachtet er, wie auch das Leben, vom<br />

Standpunkt der berühmten „Stützen“, die er für unzerstörbar und unbezwingbar hält. Greift er<br />

nach einem Buch, so verlangt er vor allen Dingen, daß der Autor diese „Stützen“ in feierlichem<br />

Zuge an ihm vorüberziehen lasse. Findet er darin nicht das, was er sucht, läßt er es unbeachtet<br />

liegen. Zeitungsnachrichten, statistische Angaben, Darlegungen der Volkswirtschaftler<br />

und Angaben der Historiker nimmt er nur in dem Maße zur Kenntnis, in welchem sie die<br />

von ihm erwählte Lehre bestätigen. Nirgends, Deutschland ausgenommen, wird Marx mehr<br />

gelesen als in Rußland. Und dabei wird er in Rußland am wenigsten verstanden.<br />

Woher kommt das?<br />

Das kommt daher, daß auch Marx bei uns nur vom Standpunkt der „Stützen“ aus beurteilt<br />

wird; da seine Beurteilung von diesem Standpunkt aus nichts anderes bedeutet, als daß er<br />

überhaupt nicht anerkannt wird, ist das Ergebnis verständlich. Ganz genauso verhält sich der<br />

Leser aus den Kreisen der Volkstümler auch zur Belletristik, wenigstens zu der, die das<br />

Volksleben darstellt. Er ist fest davon überzeugt, daß ihm eine solche Belletristik nichts anderes<br />

bieten soll als eine neue Gelegenheit, der Geschichte für die glückliche Eigenart des russischen<br />

Volkes dankbar zu sein.<br />

Werke, die diese Erwartung nicht rechtfertigen, läßt er unbeachtet. Daraus erklärt sich in beträchtlichem<br />

Maße die Gleichgültigkeit unserer Volkstümler gegenüber den Werken des<br />

Herrn Karonin. Allerdings entsprechen die Werke anderer volkstümlerischer Belletristen<br />

ebenfalls nicht immer dem, was man von ihnen erwartet.<br />

Sie schildern die Zersetzung der „Stützen“ ebenfalls in recht grellen Farben. Nun kommt es aber<br />

auf den Gradunterschied an. Und es unterliegt keinem Zweifel, daß in dieser Hinsicht keiner so<br />

weit gegangen ist, daß keiner dieses Thema mit solcher Eindringlichkeit und so oft immer wieder<br />

aufgegriffen hat wie Herr Karonin. Und das hat in den Augen der demokratischen „Intelligenz“,<br />

die das Hauptkontingent der Leser der volkstümlerischen Belletristik bildet, viel zu bedeuten.<br />

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