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erschien nennen menschenähnlichen

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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 20.07.2013<br />

Michailo stand vor der gleichen Schicksalsfrage, die unserer Intelligenz soviel zu schaffen<br />

machte: Was tun? Was mußte man tun, um das Dunkel, in welchem die Masse des Volkes<br />

labte, zu erhellen, um das werktätige Volk von der materiellen Not und den moralischen Erniedrigungen<br />

zu erlösen? In der Person Michailos war das Volk selbst, „von unten nach<br />

oben“, an diese Schicksalsfrage herangetreten.<br />

In der Tat, erinnern Sie sich daran, daß Michailo schon in der Jugend eine „ungewöhnliche<br />

Kampfeslust“ verspürte, denken Sie sich in seine seelische Stimmung hinein – und es wird<br />

Ihnen vollkommen klarwerden, was er nötig hat. „Manchmal durchströmt ihn ein solches<br />

Kraftgefühl, daß er gleich aufspringen möchte, daß er irgendwohin muß, daß er herumlaufen<br />

und irgend etwas tun muß.“ Er muß wirklich etwas tun, er muß arbeiten für die Befreiung des<br />

gleichen Volkes, von dessen Fleisch und Blut er ist. Wir wissen nicht mehr, welcher Kritiker<br />

in der Zeitschrift „Russkaja Mysl“ gesagt hat, Michailo sei deshalb so schwermütig, weil er<br />

zurück will ins Dorf 1* Es ist sehr wahrscheinlich, ja sogar sicher, und Herr Karonin, der<br />

Volkstümler, ist nicht abgeneigt, sein Kind an der alten Wohnstätte, in dem uns schon bekannten<br />

halbzerstörten Jama anzusiedeln. Michailo würde diesem Rat wohl bereitwillig folgen,<br />

aber wir können den Herren Volkstümlern versichern, daß er nicht deshalb dorthin gehen<br />

würde, um sich für die „Logik der bäuerlichen Weltanschauung“ zu begeistern. Mit den<br />

Mißverhältnissen auf dem Dorfe konnte er sich schon damals nicht abfinden, als er noch ein<br />

unwissender Bursche war, der kaum lesen und schreiben konnte. Nachdem er ein gebildeter<br />

Mensch geworden ist, will er dem Volke Licht und Wissen bringen. Aber welches Licht? Uns<br />

scheint, daß Michailo jene Lehre, die in der Person ihres begabtesten Vertreters zu der unerfreulichen<br />

Schlußfolgerung gelangte: „den Gang der Zivilisation kann man nicht aufhalten,<br />

und man darf sich nicht einmischen“, kaum als das „Licht“ ansehen könnte. Wir sind der<br />

Meinung, daß er sich zur „Zivilisation“ ebenso verhalten würde, wie sich seine Brüder in<br />

Westeuropa dazu verhalten. Er würde sich ihrer bedienen zum Kampfe gegen sie selbst. Er<br />

würde die von ihr geschaffenen Kräfte organisieren, um ihre Schattenseiten zu bekämpfen.<br />

Kurz gesagt – er würde im Kampf des Proletariats in vorderster Reihe stehen.<br />

Wir wären unbescheiden, wenn wir unser eigenes Programm hierüber anführen wollten, aber<br />

wir haben uns trotzdem erlaubt, unsere Leser daran zu erinnern. „Das Proletariat wird, nachdem<br />

es aus dem Dorfe als verarmtes Mitglied der Gemeinschaft vertrieben worden ist – [613]<br />

so heißt es darin, „dorthin als sozialdemokratischer Agitator zurückkehren.“ 2*<br />

Das ist die Moral der ganzen Erzählung des Herrn Karonin, und wie würde seine künstlerische<br />

Tätigkeit bereichert werden, wenn er diese Moral erkannt hätte!<br />

1* Ein anonymer Kritiker der „Russkaja Mysl“ (1886, Heft VIII, S. 119-124). In der Rubrik für Bibliographie hält<br />

man Karonins Erzählung „Von unten nach oben“ für schwach, aber Aufmerksamkeit erheischend, weil da ein<br />

äußerst wichtiges Problem berührt ist, welches Karonin nach Ansicht des Kritikers nicht richtig löst. „In den Ausführungen<br />

des Verfassers“, so sagt der Kritiker, „ist vieles, womit man nicht einverstanden sein kann und womit<br />

wir keineswegs sympathisieren können. Nach der Erzählung Karonins möchte man meinen, daß das Dorf eine<br />

hoffnungslose Brutstätte der Unwissenheit und Armut sei, ein Tal der Tränen, bevölkert von lauter tierähnlichen<br />

Menschen, die aus der Finsternis zum Licht, d. h. in die Stadt, kommen und dabei an nichts anderes denken als an<br />

Berge von Brot und Geld... Im Dorfe ist ‚undurchdringliche Finsternis, wo ein Mensch nicht leben kann... und in<br />

der Stadt ist Licht, Leben und Glück...‘ was soll man da tun? ... aus der Finsternis zum Lichte, d. h. in die Stadt<br />

streben.“ Mischa (der Held der Erzählung) beginnt in der Stadt, wie Karonin sagt, „ohne Grund“ traurig zu sein.<br />

„Und hier nun trat die wirkliche Wahrheit in Erscheinung“, sagt der Kritiker, „es kann ein Mensch, ohne daß der<br />

Verfasser selbst sich dessen bewußt ist, sich nicht, nachdem er im ‚Lichte‘ gewesen ist, ohne Grund nach der ‚Finsternis‘<br />

sehnen, nein, er sehnt sich heraus aus der Enge der Stadt, in der er erstickt, nach der Weite der heimatlichen<br />

Felder... er sehnt sich heraus aus der ‚Finsternis‘ der Fabrik und der Werkstatt, und es zieht ihn hin zum ‚Licht‘ des<br />

freien, ungebundenen Lebens ... Nicht da ist das Licht, wo Karonin meint, dort ist nur künstliches Licht.“<br />

2* Das Zitat hat G. W. Plechanow dem „Zweiten Entwurf des Programms der russischen Sozialdemokraten“ entnommen,<br />

den er selbst im Jahre 1887 ausgearbeitet hat. (Siehe Gesamtausgabe der Werke, Bd. II, S. 404.)<br />

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