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erschien nennen menschenähnlichen

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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 20.07.2013<br />

jeden Tag, daß es in Urshum schlecht ist, daß es in Belebei sehr schlecht ist, daß die Tataren<br />

im Gouvernement Kasan endgültig erledigt sind; er liest all dies und noch millionenmal mehr<br />

als das, weil er jeden Tag in Rußland herumreist und zugleich auf der ganzen Welt herumkommt...<br />

Aber was nützt das alles? Er liest, denkt und weiß alles... aber was weiter? Ein wahrer<br />

Jammer!“<br />

Jetzt wird die Sache schon etwas klarer. Michailo ist deshalb so wehmütig ums Herz, weil die<br />

Lage seiner Brüder, der Bauern, und überhaupt all derer, denen es „schlecht, sehr schlecht<br />

geht“, durch seine geistige Entwicklung nicht erleichtert wird. Obwohl ihn sein Gedankenflug<br />

über den ganzen Erdball trägt, verweilt er trotzdem oder, richtiger gesagt, gerade<br />

[611]deshalb mit um so größerer Anteilnahme bei den häßlichen Erscheinungen der russischen<br />

Wirklichkeit. Iwan Jermolajewitsch liest keine Zeitungen, und Gl. Uspenski selbst ist<br />

der Ansicht, als anständiger Bauer brauche er nicht zu wissen, wann die „Königin von Spanien<br />

niedergekommen ist oder wie man den General Sisset mit Madame Caulas beim Diebstahl<br />

ertappt hat“ 1 . Nun ist aber ganz klar, daß Michailo sogar in den russischen Zeitungen<br />

Nachrichten von einer anderen Art finden konnte, die ihn veranlaßten, sich zu fragen, wer<br />

von seiner geistigen Entwicklung Nutzen haben könne. Vielleicht hat er, während ihn seine<br />

Gedanken im Fluge über den ganzen Erdball hintrugen, gesehen, daß irgendwo, weit im Westen,<br />

seine Arbeitsbrüder um eine bessere Zukunft kämpfen; vielleicht ist es ihm schon gelungen,<br />

sich von einigen charakteristischen Merkmalen dieser besseren Zukunft ein klares<br />

Bild zu machen, und vielleicht war er so traurig, weil er an dem großen Werk der Befreiung<br />

nicht teilnehmen konnte. Zu Hause, in Rußland, sah er viel Elend, und lichte Seiten fehlten<br />

vollständig. So äußerte er sich zum Beispiel Fomitsch gegenüber während jenes Ausfluges,<br />

da er zum erstenmal seine Schritte zur Kneipe lenkte, im Grase liegend, folgendermaßen:<br />

„‚Weißt du, Fomitsch, die sind dort in der Tiefe!‘ sagte er mit finsterer Miene.<br />

‚Wer die?‘ fragte Fomitsch verwundert, da er sich nicht denken konnte, von wem sein Kamerad<br />

sprach.<br />

‚Alle. Ich liege hier als freier Mensch, aber sie sind in der Tiefe, wo es finster ist und kalt.‘<br />

Fomitsch wußte nicht, was er darauf sagen sollte.<br />

‚Mein Vater, meine Mutter und meine Schwestern leben auch jetzt noch auf dem Dorfe...<br />

Und ich bin hier!‘ Michailo sprach leise, als fürchtete er, daß sich ein Schrei seiner Brust entringe.<br />

‚Schick’ ihnen möglichst viel‘<br />

‚Ja, was ist denn das Geld!‘ rief Michailo. ‚Hilft denn das Geld was? Sie leben im Dunkel,<br />

und das Geld bringt ihnen kein Licht!‘<br />

Fomitsch fühlte, daß er irgend etwas sagen müsse, aber er konnte nicht sprechen. Beide<br />

schwiegen eine Weile.<br />

‚Weißt du, Fomitsch, sie werden auch heute noch ausgepeitscht.‘<br />

‚Was soll man da machen, Mischa?‘<br />

Als Fomitsch so antwortete, war er sich selbst vollkommen bewußt, daß [612] er einen ganz<br />

großen Unsinn redete, aber in dieser Minute fiel ihm nichts anderes ein.<br />

1 Es verdient Beachtung, daß alle Anhänger der Pläne einer Bindung unserer Intelligenz an das Land gegen das<br />

Lesen der Zeitungen und gegen die Politik sind. „Politik?“ ruft Herr Engelhardt aus. „Aber erlauben Sie mir doch<br />

die Frage, was geht es denn uns hier an, wer in Frankreich Kaiser ist: Thiers, Napoleon oder Bismarck?“ („Briefe<br />

aus dem Dorfe“, S. 25.)<br />

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