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OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 20.07.2013<br />

Nachts, als er in der Werkstatt allein zurückgeblieben war, kam ihm plötzlich der Gedanke,<br />

daß er doch auch soviel lernen könne, und er fragte sich, woher denn Fomitsch das alles wisse?<br />

Dieser Gedanke hatte für ihn etwas so Überraschendes, daß er vor Freude von seinem<br />

Lager sprang, ohne daß er selbst wußte, warum er dies tat.“ Er griff nach dem Handbuch für<br />

das Schlosserhandwerk und andere Handwerkszweige, das irgendwo in der Werkstatt lag,<br />

und begann, sich im Lesen und Schreiben zu üben, das er einmal in der Dorfschule gelernt,<br />

aber jetzt schon halb vergessen hatte. Zuerst ging es ziemlich schlecht... Er kam mit seinem<br />

Lernen nur langsam voran, weil seine Schüchternheit ihn daran hinderte, sich an seine neuen<br />

Freunde um Hilfe zu wenden. Aber auf jeden Fall war der Anfang gemacht. „Von dieser Minute<br />

an übte er sich jeden Abend.“<br />

Aber wer ist denn dieser Fomitsch, dieser Schlosser, der dem einfachen Burschen vom Dorfe<br />

wie eine Art höheres Wesen erscheint? Es ist ebenfalls ein „Sohn des Volkes“, aber ein Sohn,<br />

der seine Ausbildung unter besonderen Bedingungen erhalten hatte. Er stammte von armen<br />

Kleinbürgern in der Stadt und mußte in der Kindheit die schreckliche Lehrlingszeit als<br />

Handwerker durchmachen. Übrigens hatte er einen verhältnismäßig guten Meister: dieser<br />

schlug ihn „nicht mit den Zangen“, sondern „nur“ mit der Faust. In ihm erwachte schon frühzeitig<br />

ein großer Wissensdrang, und als er groß geworden war, „verwandte er jede freie [607]<br />

Minute zum Lernen. Weil er sich nie eine Erholung gönnte, kam er ganz von Kräften, sein<br />

Gesundheitszustand verschlechterte sich immer mehr, das Lächeln verschwand aus seinem<br />

gutmütigen Gesicht.“ Aber bald kam ihm das Schicksal selbst zu Hilfe. Etwas Unerwartetes<br />

ereignete sich, was er selbst für ein großes „Glück“ hielt. Er wurde wegen Streikbeteiligung<br />

ins Gefängnis gesteckt. Dort war es in jeder Beziehung schlecht bis auf das: er hatte viel freie<br />

Zeit. „Ich konnte mir“, so erzählte er später, „gar nichts Besseres wünschen, ich hatte meine<br />

Unterkunft; da hab ich denn immerzu gelesen, das war eine Freude für mich! Denn soviel<br />

Freiheit wie im Gefängnis hatte ich bei mir zu Hause nicht und werde ich auch nicht haben,<br />

und ich konnte dort so viel tun!“ Im Gefängnis „studierte er die. ganze Arithmetik und Geometrie,<br />

las er eine Unmenge Bücher, lernte in der Literatur die richtige Auswahl zu treffen,<br />

indem er mit dem Instinkt eines Wilden herausfühlte, was etwas taugte. Er nahm auch die<br />

Grammatik durch, er wollte sogar anfangen, Deutsch zu lernen“ usw., und dann sorgten die<br />

Behörden auch für seine höhere Ausbildung: er wurde in die Verbannung geschickt. In dem<br />

windigen Nest, wohin er kam, lebte eine Verbannte, eine kranke Frau aus den Kreisen der<br />

Intelligenz, Nadeshda Nikolajewna. Sie war es, die in dieser eigenartigen Universität die Rolle<br />

eines Professors aller Wissenschaften übernahm. Mit ihr nahm Fomitsch „die Geographie<br />

durch und begann, Algebra und Physik zu studieren“. Als Fomitsch später in seine Heimatstadt<br />

zurückkehrte, war er bereits ein recht gebildeter Mensch. Als nüchterner, arbeitsamer<br />

Schlosser, der sein Handwerk verstand, verdiente er in einer Mechanikerwerkstatt verhältnismäßig<br />

schönes Geld. So konnte er sich diesen europäischen Lebensstil schaffen, der Michailo<br />

so aufgefallen war. Den ganzen Tag über zäh arbeitend, las er am Abend Bücher und<br />

Zeitungen, beschäftigte er sich überhaupt nur mit geistigen Dingen. Dazu trug nicht wenig<br />

seine Frau bei, eben jene Nadeshda Nikolajewna, die früher, in der Verbannung, „am Ende<br />

der Welt“, seine Lehrerin gewesen war.<br />

Das ist in wenigen Worten die Geschichte dieses Schlossers. Sie läßt uns eine ganz interessante<br />

Besonderheit der Arbeit in der Stadt, der nicht landwirtschaftlichen Arbeit erkennen.<br />

Diese Arbeit kann nicht das ganze Denken, das ganze moralische Sein des Menschen in Anspruch<br />

nehmen. Im Gegenteil; wie Marx richtig bemerkt, beginnt das Leben des Arbeiters<br />

erst da, wo seine Arbeit aufhört. So kann er andere, außerhalb des Gebietes seiner Arbeit liegende<br />

Interessen haben. Unter günstigen Umständen, die, wie wir gesehen haben, auch in den<br />

russischen Städten vorkommen, erwacht sein nicht mit der Arbeit beschäftigtes Denken und<br />

verlangt nach Betätigung. Der Arbeiter wirft sich auf die Wissenschaft, nimmt die „Gramma-<br />

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