18.09.2015 Views

erschien nennen menschenähnlichen

Zur PDF-Datei... - Max Stirner Archiv Leipzig

Zur PDF-Datei... - Max Stirner Archiv Leipzig

SHOW MORE
SHOW LESS
  • No tags were found...

You also want an ePaper? Increase the reach of your titles

YUMPU automatically turns print PDFs into web optimized ePapers that Google loves.

OCR-Texterkennung durch Max Stirner Archiv Leipzig, 20.07.2013<br />

kommt noch, daß sie die Leibeigenschaft nicht mehr gekannt hatte. Sie betrachtete sich als<br />

„frei“, während eine Unmenge himmelschreiendster Bedrückungen sie ständig daran erinnerte,<br />

daß ihre „Freiheit“ durchaus keine wirkliche Freiheit war. Michail Lunin „fielen unwillkürlich<br />

die unerwartetsten Vergleiche ein. Freiheit... und ‚Auspeitschungen‘ (d. h. in der Gemeindeverwaltung)<br />

... freie Landwirtschaft... und das ‚Stück‘ (so nannte er das Brot, das mit<br />

allen möglichen Beimischungen hergestellt wurde und das, nach Ansicht Michails, gar nicht<br />

als Brot bezeichnet werden konnte). Unter dem Eindruck solcher Überlegungen verfinsterte<br />

sich sein Gemüt.“<br />

Das schlechte Essen wirkte sich auf den Organismus Michails ganz verheerend aus. Blutarm,<br />

schwächlich und klein ‚ war er sogar für den Militärdienst untauglich. „Das einzige Gesunde<br />

an der ganzen Gestalt war das kalte, aber ausdrucksvolle Gesicht mit den funkelnden, aber<br />

dunklen und rätselhaften Augen.“ Grübeleien führten Michail zu den bittersten Schlußfolgerungen.<br />

Er wurde ganz verbittert und begann vor allem seinen Mitbruder, den Bauern, die alte<br />

Generation des Dorfes zu verachten und „abzulehnen“. Zwischen ihm und seinem Vater kam<br />

es wiederholt zu solchen Szenen: der Vater wollte beweisen, er habe das Recht, ihn zu unterweisen,<br />

d. h. zu schlagen, allein, der Sohn wollte die Heilsamkeit des Stockes nicht anerkennen.<br />

„‚Nun, sei bloß mal so gut und sag’ mir ‚wendete er ein: ‚hast du denn ein schönes Los? Wie<br />

du lebst, ist das recht? Weißt du, ich denke, du hast Prügel genug bekommen.‘<br />

[603] ‚Aber was, ich bin ein rechter Bauer. Gott sei Dank! Ein ehrlicher Bauer!‘ sagte der<br />

Vater.<br />

‚Ein schöner Bauer bist du! Dein Leben lang treibst du dich bei fremden Leute herum, bist<br />

fort von daheim, vom Acker, hast kein Pferd, das was taugt, kein Dach über dem Kopf. Du<br />

bist ja bloß ein Bauer, damit du dir die Seele aus dem Leibe schinden kannst! Wenn du auf<br />

Arbeit gehst – schuften kannst du da, bis dir die Knie weich werden, und kommst du dann<br />

heim, kriegst du Prügel.‘<br />

‚Red’ nicht so, Mischka‘, erwiderte der Vater unmutig und bissig.<br />

‚Habe ich etwa nicht recht? Die Leibeigenschaft ist zu Ende, und doch kriegst du von allen<br />

Prügel.‘<br />

‚Mischka, hör’ auf!‘<br />

Aber Michailo tobte seine ganze Wut aus.<br />

‚Ja, ist denn an dir überhaupt noch ein einziger heiler Hautfetzen? Bildest du dir etwa ein,<br />

mich zu so einem Todeskarnickel abrichten zu müssen? Ich will das nicht!‘<br />

‚Leb’, wie du denkst, Gott helfe dir!‘ ächzte der Vater.<br />

Nun tat der Vater Michailo leid, unsagbar leid.“<br />

Michailo wollte nicht so leben, wie seine „Vorfahren“ gelebt hatten, aber er wußte noch<br />

nicht, was zu tun sei, um richtig zu leben, und dieses Nichtwissen quälte ihn schrecklich.<br />

„‚Da bist du am Ende mit deinem Latein! Wie leben?‘ sagte er eines Tages zu Pascha, seiner<br />

Braut.<br />

‚Wie andere Menschen auch, Mischa‘, bemerkte das Mädchen schüchtern.<br />

‚Welche anderen? – Unsere Alten da? Willst du das Leben <strong>nennen</strong>? Sich prügeln lassen, o<br />

Schande... Stroh fressen! Man will doch als Mensch leben... Aber wie? Und du, Pascha, weißt<br />

du es vielleicht? Sag’, wie soll man leben?‘ fragte Michailo lebhaft erregt.<br />

32

Hooray! Your file is uploaded and ready to be published.

Saved successfully!

Ooh no, something went wrong!